Re: Rio Reiser

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mitchryder

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Zehn Jahre gestorbene Unsterblichkeit
(zum 10. Todestag von Rio Reiser)

Er war weder der Held noch Antiheld einer deutschen Musikrockszene. Er war umstritten und oftmals angegriffen; von den einstigen Anhängern, sowie von seinen Kritikern und Feinden. Ja, Rio hatte viele Feinde, die einst mal Freunde waren. Aber wie heißt es bereits in einer Redewendung: „ Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde!“

Er war Politrocker, er was sensibel, er war aber einfach auch nur ein Mensch mit Sehnsüchten, Träumen und Wünschen. Er hat das Gen für wunderbare Lyrik sowie ein weiteres, sich und die Welt auf den Arm zu nehmen. Er war unzufrieden… oftmals mit sich selbst, aber genauso oft über die menschliche Dummheit. Er hatte eine gewisse Arroganz entwickelt, die zumeist nur ein Selbstschutz war. Und er war schwach, wenn alles ihm aus den Händen glitt. Seine Zuflucht, wie bei vielen Musikern, war der Alkohol und die Drogen.

Seine innere Welt spielte sich oft um das Erlangen von ein wenig eigenes Glück und der Utopie einer besseren Welt ab. Doch es war zu spät. Kaum jemand wollte ihm wirklich zuhören. Umso mehr düstere und verächtliche Musik warf er dem noch zuhörenden Publikum zu, die ihn dann immer noch nicht verstehen wollten.

Der 20. August 1996 war wie ein Schock für mich und schon damals hatte ich die böse Vorahnung, selbst nach seinem Tod will ihn kaum jemand so sehen, wie er wirklich war. In einem seiner letzten Stücke für Ton Steine Scherben „Wo sind wir jetzt?“ kommen all seine Bitternisse und Enttäuschung zu Tage. Ein Bruch, der ihn sehr schmerzte, kam kurz danach. Fresenhagen war ein kleines Stück Heimat für ihn geworden, wo er die Ruhe und Kraft fand, sowohl schöpferisch als auch menschlich weiter zu machen. Doch diese Heimat stand auf dem Spiel und so kämpfte er darum, selbst wenn er seine Ideale und Utopien dafür verkaufen musste. Das wohl mit tragischste an der Geschichte ist wohl, dass kurz vor seinem Tod, der Pakt mit dem Teufel auslief.

Eine Frage, die mich in diesem Zusammenhang sehr beschäftigt hat und noch beschäftigt: „Kostete ihm, der zwar die Pläne und Wünsche im Kopf, aber deren Umsetzung bevorstand, vielleicht das Leben?“ Es wäre für ihn ein weiterer Neuanfang gewesen, da er bereits anhand der ersten Versuche deutlich zu spüren bekam, sie wollen keinen neuen und anderen Rio Reiser alias Ralph Moebius. Doch er wollte endlich das Image auf der einen Seite des Politrockers auf der anderen Seite „Der König von Deutschland“ endlich begraben. Er wollte sich selbst definieren dürfen und nicht von anderen als eine definierte Ikone sein.

Sein Tod beendete den Kampf und ließ andere um sein Erbe streiten. Ein Erbe, was jeder, der seine Musik hört kennt. Und selbst um diesen ideellen Teil seines Erbes wurde gestritten und oftmals Schindluder getrieben. Unverfälscht bleibt jedoch für jeden, der sich daran nicht beteiligt, seine Texte und seine Kompositionen, die wohl einmalig in Deutschland bleiben werden. Satire, Ironie, Freude und Leid, menschliche Ängste und Träume spiegeln sich weiter in seinen Liedern, die nur er so interpretieren konnte. Dur oder Moll, er fand die passende Tonart; die Melodie, die einem Text die nötige Relevanz gab.

Ich wäre ihm damals weiter gefolgt. Ja, vielmehr, ich hätte ihn begleitet… ohne Ansprüche und Erwartungen abzuverlangen. Leider taten das viel zu wenige und so bleibt nicht nur Trauer über seinen Tod bei mir zurück, sondern Wehmut und ja, auch Verachtung all derjenigen, die heute noch, sich als geistige oder legitim Erben von ihm ausgeben. Sein Vermächtnis sind seine Lieder und Texte, Tonaufnahmen, bleibende Begegnungen, die jeder für sich soweit er will, in Anspruch nehmen kann.

Weder Sony, noch irgendein Wegbegleiter (Ausnahme R.P.S. Lanrue) oder andere Instutition haben das Recht das geistige Eigentum von Rio Reiser alias Ralph Moebius für sich in Anspruch nehmen zu dürfen. Rio Reiser und das war ihm bewusst, war eine öffentliche Person, die antrat etwas zu bewegen und sich niemals vereinnahmen zu lassen.

Behalten wir ihn so in Erinnerung. Behalten wir seine Lieder, Texte und sein Engagement in uns wach, so werden wir einem großen deutschen Künstler und Musiker nach seinem Tod die Ehre erweisen. Ich werde es… „Ich denk an dich“…

Günter Becker für das RS-Forum am 19.08.2006

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