Re: Pressemappe

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cassavetes

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Marcus Staiger letzte Woche in seinem MySpace-Blog:

Für Zwischendurch: Große Gesellschaftsanalyse oder Freunde & Freundinnen der guten Unterhaltung

Vor einiger Zeit habe ich mal einen Royalbunker Newsletter geschrieben, der mit der Überschrift versehen war „Freundinnen und Freunde der guten Unterhaltung“ und ehrlich gesagt, das passt noch immer.

Damals habe ich den Newsletter aus einem ganz aktuellen Anlass geschrieben. Die Vorfälle an der Rütli-Schule waren in aller Munde und Deutschland nahm erstaunt zur Kenntnis, das es ein Ausländische-Jugendliche-Problem hatte. Schnell meldeten sich die üblichen Verdächtigen zu Wort. Von Rechts tönte es: „Raus, raus, raus. Wenn die sich nicht benehmen können, dann müssen sie ausgewiesen werden!“ Von Links kam: „Die armen Ausländer. 30 Jahre verfehlte Integrationspolitik. Wen wundert’s?“

Zwar gehöre ich tendenziell der Position von Links an, aber wenn man sich eingehend mit dem Thema beschäftigt und vor allem, wenn man tagtäglich mit den Leuten zu tun hat, dann merkt man, dass man mit den Theorien aus seiner kuscheligen, marxistischen Arbeitsgruppe an der Universität nicht wirklich weiter kommt und dass im Endeffekt die alten Fragen nicht mehr richtig sind, was eben auch bedeutet, dass die alten Antworten für den Arsch sind.

Mittlerweile dürfte nämlich jedem klar geworden sein, dass Deutschland weniger ein Immigranten Problem hat – wobei dieses Wort für Menschen, die hier geboren sind, sowieso von vorne herein falsch ist – als ein wirkliches Unterschichten-Problem. Den folgenden Artikel habe ich aus keinem bestimmten Anlass heraus geschrieben. Also keine Schlagzeilen. Keine Toten in der U-Bahn. Keine ausgetilten Ghettoschläger auf Tiledin.

Diesen Artikel habe ich deshalb geschrieben, weil ich letzte Woche in das beschauliche Örtchen Augsburg eingeladen war, um dort vor einer Horde wildgewordener Pädagogik-StudentInnen, einen kleinen Vortrag zu halten.

Ehrlich gesagt, war die Fahrt dorthin, in einem Kleinbus mit mehreren Flaschen Wodka und sehr redseligen Reisebegleitern das eigentliche Highlight. Da ich an diesem Abend aus unerfindlichen Gründen NICHT mitgetrunken habe und gegen Ende der einzige war, der noch aufrecht stehen konnte, müsste ich eigentlich genau darüber schreiben. Ich habe Sachen gehört und Dinge erfahren…, die ich leider erst nach meinem Tod veröffentlichen kann. – Ich sage nur Analverkehr war einer der Themenschwerpunkte und deshalb muss ich an dieser Stelle den Mantel des Schweigens darüber ausbreiten.

Dementsprechend vorbereitet betrat ich also am darauffolgenden Tag die Volkshochschule Augsburg und stellte mich an das Rednerpult. Mein Vortrag hieß… ehrlich gesagt weiß ich das schon gar nicht mehr, aber im Endeffekt wollte ich über das Abreißen des Dialogs zwischen den Gesellschaftsschichten sprechen, meinem großen Lebensthema. „Was jetzt kommt, ist keine leichte Kost!“ Es ist lang und allumfassend und kaum einer wird das hier durchhalten. Ich poste das trotzdem. Ich muss es tun denn ihr wisst ja „a man gotta do, whut a man gotta do“ und daran halte ich mich:

Ich begann meinen Vortrag also mit einer relativ allgemeinen Einführung über Hip Hop als eine Kultur, mit der man sich sehr stark individuell identifizieren kann. Über die eigene Leistung, Competition und (früher mal) Originalität kann man sich einen eigenen Namen machen.
Aber auch der Crew Gedanke spielt eine große Rolle, denn am Schönsten ist es oder war es, wenn man Teil einer Gruppe ist, die man repräsentieren kann.
Dabei organisieren sich die Crews im Hip Hop, meiner Meinung nach, in so etwas wie Stämmen und ähnlich wie urzeitliche Jagdverbände bleiben die Gruppierungen so lange aktiv, so lange sie nützlich sind.
So lange genug Mammut auf den Tisch kommt, bleibe ich drin. Wenn ich mit einer anderen Crew oder alleine mehr Mammut bekommen kann, dann gehe ich in eine andere Crew oder gründe eine neue.

Am Schönsten war das natürlich früher. Am allerschönsten natürlich in den 90er Jahren, des letzten Jahrhunderts, in der goldenen Ära und verklärte Flaggschiffe des Crew-Gedankens kommen einem in den Sinn: Kolchose, Eimsbusch, Zulu Nation, Native Tongues Posse und so weiter.
Da ist in den letzten Jahren definitiv einiges kaputt gegangen und der Crewgedanke verblasste auch wenn jetzt die Breaker aufschreien werden, und behaupten, dass bei ihnen alles noch intakt ist und die Sprüher schreien: „wir sind noch real“. Schauen wir der Tatsache aber ins Auge, dann hat sich einfach sehr viel verändert in den letzten 10 Jahren und vor allem haben sich ein paar Grundeinstellungen verändert im Hip Hop. Was zum Teil sehr bedauerlich ist.

Wenn nämlich früher wichtig war, was man geleistet hat für Rap oder Hip Hop, wenn es früher hieß: „Es ist nicht wichtig, woher du kommst, sondern was du machst“, so sind heute ganz andere Dinge wichtig. Ganz am Rande natürlich so etwas wie Nationalität – mit vorne dabei Fler als explizit deutscher Bad Boy, aber auch diverse andere Künstler, die ihre jeweilige nationale Herkunft voll ausspielen. In diesem Zusammenhang ist es auch ein wenig bedauerlich, dass diverse Hip Hop Medien diese Diskussion überhaupt nicht aufgegriffen und diskutiert und einfach mal gesagt haben, dass Kategorien wie Nationalität im Hip Hop einfach mal nichts verloren haben. Still und heimlich wurde das akzeptiert und eine Diskussion hat nicht wirklich stattgefunden.

Das nur am Rande, was nämlich in den letzten Jahren, mit dem Aufkommen des sogenannten Straßenraps, noch viel wichtiger wurde als die Identifikation mit so etwas wie Nationalität, ist die Identifikation mit seiner sozialen Herkunft, der Schicht, aus der man kommt und die auf keinen Fall zu hoch oder zu gut sein darf.
Bekanntester Clash der Vorurteile und sozialen Klassen sind hier natürlich Bass Sultan Hengzt mit dem Statement „Rap braucht kein Abitur“ und die F.R. Antwort mit „Rap braucht Abitur“.

Wobei die Straßenrapper mit der harten Authenz (das ist Absicht) natürlich im Vorteil sind, weil der Satz „Ich war nie ein schwuler Student“ aus irgendeinem Grund immer noch cooler klingt als „Ich war immer schon ein cooler Student“.
Irgendwie scheint das Modell des schwulen/coolen Studenten nicht wirklich attraktiv zu sein, zumindest sind die Erfolge der Leute, die mit dem Studentenimage offensiv umgehen, relativ überschaubar und die Masse an „authentischen“ Rappern spricht dafür, dass der Böse Junge ein Erfolgsmodell ist.

Die Frage muss natürlich aufgeworfen werden, warum der Bad Boy in unserer Gesellschaft immer interessanter ist als der Good Guy, aber im Endeffekt sind schon die dunklen Charaktere in jedem Disney Film um ein Vielfaches interessanter als die glatten, angepassten Prinzen mit dem Zahnpastalächeln. Gangsterfilme, Mafiapaten und lässige Drogendealer. Jeder hat ja auch irgendwelche Freunde, die echt hart drauf sind und irgendwie ist es ja dann doch auch aufregend, wenn die guten Freunde krumme Dinger drehen oder Koks in der Küche abwiegen, oder in ländlichen Gebieten einfach mal so verwegene Sachen machen, wie kiffen.

Das wilde und aufregende Leben findet eben nicht im Hörsaal statt und natürlich möchte man ein Verbrecherleben nicht in letzter Konsequenz selbst erleben, aber ein bisschen Nervenkitzel darf’s dann schon sein – und wenn’s nur von der CD ist – da können sich die Bürgersöhne und Töchter auch mal austoben und Fantasien ausleben. Da wird der Fabrikantensohn zum Banger und die Lehrertochter zur Schlampe. Flirting with the Mafia.

Auf der anderen Seite gibt es aber auch die ganz klare gesellschaftliche Reaktion auf diese Art von Musik: „Bäh. Iiiih. Das sind Asoziale. Damit will ich nichts zu tun haben.“ Wobei man mit dieser Reaktion genau ins Raster der spießigen Mittelschicht und der schwulen Studenten fällt, die mit der harten und „ehrlichen“ Straße nichts zu tun haben wollen, was dann wiederum die ausführenden Künstler freut, und bestätigt. Auf der anderen Seite ist aber genau diese Reaktion eigentlich ehrlich und authentisch von der bürgerlichen Seite bedeutet aber auch, dass da ein Graben sich öffnet und eine gesellschaftliche Spaltung akzeptiert wird.

Wir gegen sie. Sie gegen uns, denn auf der anderen Seite wiederum gibt es ja tatsächlich sehr viele und immer mehr Menschen, die bildungsfern und in gewisser Weise auch in existenzieller Armut leben oder leben müssen. Es gibt diese Leute, die das wirklich ernst meinen. Die sich deshalb mit den Texten identifizieren können, nicht weil sie sich als Kleinkrimineller, Stesser oder Gangster fühlen wollen, für die Dauer einer Party, sondern weil sie tatsächlich Kleinkriminelle, Stresser oder Gangster sind. Die deshalb kein Student sein wollen, weil sie Studenten wirklich schwul finden und jede Form von Intelligenz als „Eierkopf“ beschimpfen. Die deshalb kein Student sein wollen, weil sie gar keine Chance haben, da mitzumachen. Weil es gar keine Frage ist, ob sie sich für oder gegen ein Studium entscheiden, weil es ganz einfach ist: Mit einem erweiterten Hauptschulabschluss gibt es kein Studium. Punkt.

Mit einem erweiterten Hauptschulabschluss gibt es allerdings heutzutage auch keine Arbeit und keinen Ausbildungsplatz mehr UND was dazu kommt: deinen Kindern wird es ebenfalls nicht besser gehen. Warum auch? In Deutschland ist der soziale Aufstieg eine ganz schwierige Sache und das nur als Beispiel, aber in Deutschland kommen nur 7 Prozent der Hochschulabsolventen aus einem Nicht-Akademiker Haushalt. Das heißt 93% der frischen Akademiker haben mindestens ein akademisch ausgebildetes Elternteil.
Deutschland vererbt seine Eliten und gleichzeitig vererbt es aber auch die Chancenlosigkeit, die Perspektivlosigkeit, die Arbeitslosigkeit und heraus kommt dann Hartz IV in der dritten Generation und ein steigender Bevölkerungsanteil, der auf Dauer von sogenannten Transferleistungen lebt.

Das Problem dabei ist, dass schlecht ausgebildete Menschen bis vor 20 Jahren noch gutes Geld in der Produktion verdienen konnten, sprich man konnte als relativ schlecht ausgebildeter Mensch einen Fabrikjob abgreifen, mit dem man einigermaßen am Wohlstand dieses Landes teilnehmen konnte.
Fakt ist. Diese Arbeit gibt es nicht mehr.

Und es ist ja noch nicht mal so, dass es keine Förderung gäbe. Natürlich bieten diverse soziale Träger Fortbildungskurse und Bildungsangebote an. Natürlich versuchen alle Bildungsträger auf die Erfordernisse der modernen Dienstleistungsgesellschaft einzugehen, aber all die Agenturen und stylischen Konzepterbüros, die sich in sozial schwachen Stadtteilen, wie zuletzt in Berlin Kreuzberg oder Neukölln, angesiedelt haben: Die werden Mesut, den Straßendealer aus dem Kiez nicht einstellen, obwohl er vom türkischen Bund einen HTML Kurs bekommen hat.
Abgesehen davon, dass Mesut selbst keinen Bock darauf hat in so einer Agentur zu arbeiten, die Leute vom türkischen Bund als Eierköpfe bezeichnet und sich weit mehr für seine Hugo Boss Unterwäsche und Alpha Industries Jacken interessierte, als für das Praktikum, dass ich ihm bei Royalbunker angeboten habe. Ehrlich gesagt habe ich ihn in seiner Praktikumzeit relativ selten gesehen und wenn, dann musste er alle 10 Minuten raus. Jeschäfte! Und das alles dann noch irgendwie sozialromantisch verklärt mit den Worten: Na ja. Mann muss halt tun, was man tun muss. So ist das Leben im Ghetto. – Ja klar. Dumm sein gehört da auch dazu.

Dieser Junge ist definitiv draußen – auch durch seine eigene Schuld – und der einzige Grund warum so jemand Bushido scheiße findet ist, weil er Bushido nicht für real genug hält.

Worauf ich aber letztendlich hinaus will. Wir haben also auf der einen Seite eine gebildete, bürgerliche Schicht, die sich aus Spaß und phasenweise auf das Niveau von Straßenrap herablässt, oder es eben iiih findet und auf der anderen Seite Leute, die auf diesem Niveau leben, leben müssen und sich zusätzlich noch in einer Art Ghettoromantik eingerichtet haben und letztendlich auch den Eindruck haben, so leben zu wollen zu müssen, weil es echt ist und die stolz drauf sind, dieses Leben zu meistern. Zu recht!

Viele dieser Menschen findet man irgendwie in einem Hip Hop Umfeld und irgendwie fühlen sie sich auch Hip Hop und das im Gegensatz zu früher, nicht weil sie die Kultur geil finden, sondern weil Hip Hop anscheinend die Ausdrucksweise dieser Klasse ist.

Das führt, ehrlich gesagt, zu sehr mittelmäßiger Kunst und auf der anderen Seite wiederum dazu, dass die Gesellschaft und die (bürgerliche) Presse Hip Hop als grenzdebile Asozialen-Musik wahrnimmt und ihr auch mit einer gewissen Überheblichkeit entgegentritt.

Hip Hop ist die am weitest verbreitete Jugendkultur und gleichzeitig die missverstandenste.

Da kommen dann Journalisten mit ihrer romantischen 90er Jahre Hip Hop Einstellung und quatschen immer noch vom Rap als CNN der Schwarzen.
Da kommen Journalisten und fragen ernsthaft, ob es so etwas wie Gangster oder Gangster Rap in Deutschland überhaupt geben darf, weil es ja anscheinend keine Ghettos gibt hier in Deutschland.
Dann frage ich mich: Wo leben diese Leute? Und dann frage ich sie, ob sie Kokain konsumieren? Und natürlich nimmt keiner von ihnen Koks.
Dann frage ich sie, ob sie Freunde haben die Kokain konsumieren? Und natürlich hat jeder von diesen Menschen „Freunde“, die das machen. Und dann frage ich sie, ob sie glauben, dass dieses Kokain von Studenten aus Berlin Dahlem in dieses Land gebracht wird?

NEIN! Dieses Kokain wird verdammt noch mal von organisierten Kriminellen in dieses Land gebracht. Und neben dem organisierten Drogenhandel gibt es auch noch Waffen- und Autoschieber sowie Mädchenhändler und Menschenschmuggler und sie alles sind Mitglied diverser organisierter Banden und die Banden kann man eben auch Gangs nennen und die Mitglieder einer Gang heißen nun mal Gangster und so wird es eben auch so etwas wie Gangster Rap geben und geben dürfen.
Und wenn eine Gehttosituation eben eine Situation ist, aus der man sich strukturell nicht oder nur mit sehr großem Aufwand befreien kann, dann brauche ich keine Ghettos wie in Sao Paolo oder in St. Petersburg, um davon zu sprechen, dass es in Deutschland so etwas wie Ghettos gibt.

Aber das will keiner hören.
Ich sage nicht, dass die Sozialkritik in den erfolgreichen Raptexten jetzt eine übergeordnete Rolle spielt, oft genug ist sie nur dekoratives Beiwerk und da gibt es ganz viel peinliche Ghettoromantik, ganz viel BlaBla und Überhöhung.
Aber es steckt eben auch ein wahrer, struktureller Kern drin und wenn Bushido auf seiner Website schreibt, dass er vom Aufschwung (den es mittlerweile wegen der sogenannten Finanzkrise gar nicht mehr gibt) in Neukölln nicht viel mitbekommt, oder wenn SIDO einen Track über die Schule und über das verfehlte Bildungssystem macht und zu dem Schluss kommt, dass man dann eben ein Hustler oder Junge von der Straße werden muss – dann beschreiben sie damit ein Lebensgefühl. Dann beschreiben sie damit das Gefühl, dass viele Leute haben. So fühlen sich die Menschen und vielleicht wollen die sich auch so fühlen und richten sich in diesem „ich gegen den Rest der Welt“ Gefühl auch ein – ABER und das ist das Entscheidende: Letzten Endes ist es vollkommen egal, wie sich diese Menschen ihrer Situation gegenüber verhalten, weil die gesellschaftlichen Entscheidungen, die wirklich wichtigen Entscheidungen vollkommen unabhängig von ihnen getroffen werden.
Letzten Endes haben diese Menschen überhaupt keine Möglichkeit an so etwas wie gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen mitzuwirken. Überhaupt keine!

Weil die wahren Entscheidungen werden in den Vorstandsetagen der großen Konzerne und in den Hinterzimmern der Politik getroffen, Orte, wo diese Menschen definitiv niemals hinkommen werden.

Und wenn dann Monika Griefan in einer Podiumsdiskussion sitzt und sich über die derbe Sprache der Rapper aufregt und sagt, dass diese Sprache Konsens sei auf den Schulhöfen und dass es ein Bedürfnis einer Minderheit gäbe, die davor geschützt werden müsse – dann stimmt das nicht.
Diese Sprache ist nicht die Sprache der Mehrheit. Diese Sprache ist immer noch die Sprache der Ausgeschlossenen, der Menschen ohne Perspektive, der Menschen ohne Arbeit, ohne Hoffnung und ohne Aussicht darauf und wenn es tatsächlich die Sprache der Mehrheit der Bevölkerung ist, dann ist das Problem aber mal richtig groß.

Und deshalb ist die Diskussion darüber, ob Rapper Verantwortung tragen sollten absolut lächerlich.
Es gibt keinen einzigen Gangbang unter 14 Jährigen weniger, wenn Frauenarzt aufhört Pornorap zu machen. Es gibt kein einziges Gramm Kokain weniger, keinen Schulabbrecher weniger, wenn Bushido, SIDO und all die anderen vollkommen andere Texte machen würden. Es gäbe keine einzige Gehaltserhöhung mehr für eine Frau, wenn Rapper aufhören würden frauenverachtende, sexistische Texte zu schreiben. Das ist alles nicht schön und hier soll auch nichts künstlich verteidigt werden, aber dass es Dinge wie Homophobie immer noch in dieser Gesellschaft gibt, dass es Kriminalität gibt, dass Frauen strukturell immer noch weniger Lohn als ihre männlichen Kollegen bekommen und dass in den Vorstandsetagen immer noch kaum Frauen vertreten sind – dafür können Rapper leider gar nichts.

Und wenn es tatsächlich mal eine Chefin gibt und sie schlecht drauf ist, oder ihre männlichen Untergebenen abkanzelt. Was heißt es dann, aus durchaus gebildetem Mund? – Die muss mal wieder ordentlich gefickt werden!

Das sind Probleme meine Damen und Herren, aber darüber wird im Endeffekt herzlich wenig diskutiert. Weder über die sozioökonomischen Probleme noch über die sexuell- gesellschaftlichen.
Da wird in den meisten Fällen mit den Rappern noch nicht einmal über Kunst geredet, sondern gerne und ausführlich über Images, Verantwortung, Häuser, Groupies, Gang Bang und die Leute werden vorgeführt als Ghetto Affen: Guck mal unser Gangsterjunge oder iiiih der Ekelrapper aus dem Ghetto.

Natürlich gehört das alles zur Selbstinszenierung dazu, keine Frage, aber über das, was an inhaltlicher Botschaft doch noch drin steckt und selbst wenn es sich um eine Verweigerungshaltung der Gesellschaft gegenüber handelt – darüber wird nicht gesprochen.

Und deshalb sage ich, anhand des Beispiels meiner Kultur, anhand vom Umgang mit Hip Hop und Rapmusik, dass ich das Gefühl habe, dass die Gesellschaftsschichten auseinanderdriften und der Dialog abreißt. Selbst innerhalb der Hip Hop Szene.

Deshalb sage ich, dass wir in absehbarere Zeit das Problem haben, dass es Viertel geben wird, die nicht mehr betreten werden und höchstens mit dem vergitterten Ghettosafariebus durchfahren werden können und dass es auf der anderen Seite sehr viel mehr Reichenghettos geben wird, die geschützt werden.
Mit Mauern, Überwachungskameras und privaten Secutrityfirmen. Townhouses im Prenzlauer Berg. Sicherheitssysteme inbegriffen.

Deshalb sage ich, dass ich die Befürchtung habe, dass sich dieser Konflikt stark radikalisiert und dass die Solidarität mit dieser Gesellschaft von beiden Seiten, von arm und reich abnimmt. Ich habe das Gefühl, dass hier Menschen aufgegeben und die Dinge einfach so hingenommen werden.

Wenn wir aber weiterhin einigermaßen friedlich zusammen leben wollen und uns Grundwerte wie Freiheit, Liberalität, Gerechtigkeit und Solidarität wichtig sind, dann sollten wir sehr schnell dafür sorgen, dass dieser Dialog nicht abreißt.

Das muss man dann angehen. Das kann man nicht mit lustig, lustig Gehtto, Ghetto, hahaha gibt’s ja gar nicht abtun. Da muss man dann kämpfen, so komisch und altmodisch und verrückt das klingt.

Für Liebe, Toleranz, Demokratie und Menschlichkeit.

Wow. Jetzt kommen mir selber ein paar Tränen.

Abschließend hätte ich dann also folgende Fragen:

Hat dieser Dialog, von dem ich rede, überhaupt jemals stattgefunden?

Ist dieser Dialog überhaupt erwünscht?

Wenn ja. Wie kann man diesen Dialog herstellen. Auf welchen Ebenen. In welchen Medien. Wer muss ihn führen?

Und warum sollen sich die Reichen oder Gebildeten oder die Reichen und Gebildeten oder die Reichen und Ungebildeten überhaupt um die Armen und Ungebildeten oder Armen und Gebildeten oder armen Gebildeten kümmern?
Lasst sie verrecken und sich gegenseitig abstechen – den Abschaum. Auch das wäre eine Alternative.

In diesem Sinne,

Guten Abend.