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sido

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artikel aus DIE ZEIT, 34/2005

Avantgarde der Härte
Berliner Rapper schocken mit obszönen und blutigen Texten. Wie gefährlich sind sie?
Von Thomas Groß

Am Tag, als die Berliner Härte öffentlich-rechtlich wurde, war der Grusel groß. Zur späten Abendstunde, die Kleinsten schliefen bereits, flackerte zwischen den neuesten Arbeitslosenzahlen und den von Hurrikan Dennis angerichteten Verwüstungen ein Gespenst über den Bildschirm, dem nur mit moderatorischen Extremmaßnahmen zu begegnen war. Lange habe die Redaktion diskutiert, ob man sich dem Thema überhaupt nähern wolle, aber totschweigen – geht das denn? Im Folgenden öffnete sich ein Ausschnitt von eineinhalb Minuten, in dem gezeigt wurde, wie ein großflächig tätowierter Mann im Luxusschlitten durch die Stadt fuhr, wüste Dinge von einer Bühne herabschrie und sich dafür von den Teenagern im Publikum feiern ließ. Nachdem der Spuk vorbei war, lockerte sich die versteinerte Miene von heute-journal-Moderator Claus Kleber ein wenig, und er wagte, gleichsam als Moral der Geschichte, so etwas wie einen Rap. »Bushido lacht sich bestimmt krank« – Kunstpause – »auf seinem Weg zur Bank.«

Der Mann, von dem die Rede war, saß unterdessen zu Hause auf seiner Riesenpornocouch für 8.000 Euro vor seinem Superplasmabildschirm für 5000 Euro – und lachte sich tatsächlich krank. Bushido, der »King of Kingz«, Rapper aus Berlin-Tempelhof, Vater Araber, Mutter Deutsche, berüchtigt für seine jugendverderberischen Texte, live im ZDF – und dann trifft der Fernsehtyp auch noch den Nagel auf den Kopf! Gern würde Bushido dem Menschen mal die Hand schütteln und sagen: Coole Sache, Alter. Damit er merkt, was jeder merkt, der ihm gegenübersitzt: dass Anis Mohammed Yussuf Ferchichi, wie Bushido bürgerlich heißt, ein angenehmer und gebildeter Gesprächspartner ist, solange man ihm mit Respekt begegnet. Keineswegs muss er 24 Stunden am Tag den Charakter nach außen kehren, den er in seinem jüngsten Hit Carlo Cokxxx Nutten 2 verkörpert: einen Wortkrieger aus der Berliner Halbwelt mit enormen Qualitäten als Beischläfer und Drogenverticker. Ganz ohne Schrecken allerdings geht es nicht. »Ich spiel damit, auch mit diesem Buh-Effekt.« Schließlich ist die Härte der Reime das Berliner Markenzeichen. Und einen guten schlechten Ruf zu verlieren hat man auch.

Der Buh-Effekt ist das kostbarste Kapital, das derzeit in der frisch gekürten Rap-Metropole zirkuliert. Lange Zeit schien gar nichts zu gehen, werkelte die Szene ausschließlich im Verborgenen vor sich hin. Die musikfernsehende Welt schaute nach Stuttgart oder Hamburg, wo die Gymnasiasten das Sagen hatten, allenfalls ein paar besprühte U-Bahn-Züge und schlecht produzierte Tapes zeugten vom Treiben im Untergrund. Dann stieß Sido an die Oberfläche, der Mann mit der Maske, der zu einem Streifzug durchs Märkische Viertel lud, wo die Stütze-Empfänger wohnen und die Häuser 16 Stockwerke haben (ZEIT Nr. 32/04: Der Bauch Berlins). Dealer, Eckensteher und Pitbull-Halter geisterten durch das Video zu seiner gerappten Sozialstudie Mein Block, und plötzlich war es, als habe sich die Tür zu einer Unterwelt geöffnet, in der Gestalten namens King Orgasmus One, Prinz Porno oder Der Soziopathe ihr Unwesen treiben. Rapper, die zuvor niemand zur Kenntnis nahm und die wohl auch weiterhin niemand zur Kenntnis genommen hätte, stünden sie nicht plötzlich in enormer medialer Vergrößerung vor den Kinderzimmern und machten: Buh!

Inzwischen ist eine unübersichtliche und für viele profitable Gemengelage entstanden. Bürgerliche Teenager, die sich von echten Kerlen aus dem Problemkiez mit Gruseln über dunkle Geschäfte und bizarre Sexualpraktiken aufklären lassen, während mehr oder weniger berufene Instanzen die Stirn runzeln – wann hat es das zuletzt gegeben? Eine Musik steht zur Verhandlung, die nicht gecastet ist, sondern polarisiert, Verrohungsdebatten und Indizierungen inklusive. Kamerateams rücken an und stöbern in dunklen Ecken Berlins nach noch härterem Stoff, die Elite des bösen Rap provoziert unterdessen weiter den Mainstream. Seit auch noch Fler, der Jüngste der Bösen, mit Frakturschrift und Reichsadler eine »Neue Deutsche Welle« ausrief und die gesamte Szene in den Verdacht geriet, die fünfte Kolonne des Rechtsextremismus zu sein, kommen sogar Beobachter aus dem Ausland, um in der alten Frontstadt nach dem Rechten zu sehen. Bei Bushido hat sich ein Reporter der New York Times angesagt. Die Sache sei extrem wichtig, sagt Bushido und fährt mit der Hand über sein strichdünnes Backenbärtchen: Morgen früh muss er unbedingt noch zum Friseur.

Erster Befund auf der Suche nach einem Milieu: Die Heimkinder und Migrantensöhne, die den harten Kern von Berlins HipHop-Szene bilden, genießen das Interesse der Offizialkultur. So viel Aufmerksamkeit wurde ihnen in ihrem gesamten bisherigen Leben nicht zuteil. Rasant haben sie dazugelernt und wuchern mit ihrem Pfund, wenn immer neue Delegationen aus Politik und Fernsehen eintreffen. Was die Bundesprüfstelle anbelangt – soll sie doch weiter indizieren, das belebt das Geschäft! Aggro Berlin, die unabhängige Plattenfirma, die die Härte zum Markenzeichen machte, bekam im laufenden Jahr zweimal Gold; Bushido, der bei der siechen Industrie gelandet ist, kurvt mittlerweile im 7er BMW durch den Kiez. Jetzt gilt es, am Image zu feilen, ohne sich dabei zu verrenken. Denn manchmal wirken die Helden des Härte-Raps bereits wie Darsteller in einer Reality-Soap: Sido, der Lustige, Bushido, der Gentleman-Provokateur, Fler, der hässliche Deutsche. Was zum zweiten Befund führt: Der böse Rap ist eine Welt der Rollenspiele und wundersamen Verwandlungen. Im einen Moment verschwinden die Protagonisten in ihrer Kunstfigur. Im nächsten sind sie wieder nette Jungs aus der Nachbarschaft.

Zum Beispiel Robert Davis alias B-Tight: Das Cover seiner CD Der Neger (in mir) zeigt einen muskelbepackten Ghetto-Gangster in extremer Aktion. Die Tür seiner hübsch eingerichteten Wohnung im Stadtteil Wedding öffnet ein eher feingliedriger junger Mann mit Brille und flaumigem Bärtchen. »Künstlerische Freiheit«, findet B-Tight, Sohn einer Deutschen und eines Afroamerikaners – man muss auch ein bisschen übertreiben dürfen. Er führt ins »Ghetto-Zimmer«, wo Tony D gerade Ego-Shooter spielt. Tony D ist halber Libanese, ein paarmal mit dem Gesetz in Konflikt gekommen, »das Übliche eben«, nichts wirklich Ernstes. Dass er momentan ein Fußleiden kuriert, hindert ihn nicht daran, als Rapper zum »Damager« zu werden, der alle Konkurrenten von der Platte putzt.

»Ficken« wird das in den Texten des Härte-Rap ebenso durchgängig wie unermüdlich genannt, »Ich fick dich«, »Ich fick dich zurück«, »Jetzt fick ich dich aber erst recht«, eine Praxis, die nicht nur auf persönliche Rivalitäten begrenzt ist. Die eine Gang fickt die andere, der Wedding fickt Lichtenberg, Lichtenberg Schöneberg, Schöneberg Tempelhof, Berlin insgesamt den ganzen Rest, der Extremfick ist der »Kopfschuss«: Peng, du bist tot. Im Hauptstadt-Rap sei das nichts Besonderes, finden Tony und BTight, der Witz liegt für sie in Pose, Variante und Steigerung. Übertreibungen stellen sich automatisch ein, wenn man sich auf der Straße durchsetzen muss, Autoritäten anflehen gilt als »schwul«. Das, noch ein Befund, ist den meisten Berliner Rappern gemeinsam: Sie sind in einem Umfeld groß geworden, in dem jeder Konflikt untereinander geregelt wird. Im Zweifelsfall behält der die Oberhand, der das größere Maul hat. Oder den krasseren Cousin.

Das Drohpotenzial, das diese Kultur von unten für die Majorität entfaltet, liegt weniger in der obszönen Sprache als in der Ungewissheit, ob hier Werte der Zukunft generiert werden. Man weiß ja nicht, was alles noch kommen wird in Zeiten von Hartz IV und Alg II. Der Kampf um Status und Jobs hat die Mittelschichten ergriffen, und im Osten versinken ganze Landstriche. Längst ahnen auch die Kinder aus behütetem Hause, dass die Rede von Aufschwung, Vollbeschäftigung, von der Leistung, die sich wieder lohnen muss, selbst nichts anderes ist als ein Durchhalte-Rap, warum also sich nicht gleich dorthin durchschlagen, wo unverhohlen das Recht des Stärkeren gilt? Bushido lädt in sein Stammlokal, eines jener arabischen Cafés, wo Männer bei greller Beleuchtung über Wasserpfeifen und Kartenspielen sitzen und in der Ecke der Fernseher läuft. 800 Jahre Knast seien hier versammelt, sagt Bushido. Nachprüfen lässt sich das natürlich nicht. Doch es ist eine magische Welt der Clans und der Stämme, die in den Szenarien des bösen Rap aufscheint, eine Welt, in der der Männerbund Wärme spendet, während nach außen hin nur eine Moral gilt: Nimm dir, was du kriegen kannst.

»Die Situation wird sich weiter verschärfen«, sagt Specter, »bald kommen die Waffen.« Es klingt, als habe er das schon oft gesagt. Specter, bürgerlich Eric Remberg, ist die treibende Kraft hinter Aggro Berlin. Dass der frühere Kunsthochschüler bei der Ausgestaltung der furchterregenden Aggro-Charaktere etwas nachgeholfen hat, gilt in der Szene als offenes Geheimnis. Jetzt sitzt er im Konferenzzimmer des in Kreuzberg gelegenen Firmenimperiums und beschwört amerikanische Verhältnisse. Sozialstaat? Augenwischerei! Man muss sich doch nur mal umsehen: überall Desintegration, Überlebenskampf, gewalttätige Jugendliche – »das sind Leute, die sind nicht gesellschaftsfähig«. Deutschland sei ein Land der Träumer, sagt Specter, das Ghetto längst Wirklichkeit, und wie gerufen kommt Fler hereingeschneit. Fler beschwert sich über die ungerechte Berichterstattung in eigener Sache, kann aber jede Schlagzeile auswendig: Viel Feind, viel Ehr. Ob er in diesem Artikel auch wieder als Rechtsradikaler dastehen werde, fragt er und zeigt seine muskulösen Unterarme. Nein, sagt man, aber als jemand, der mit der Angst spielt. Da lehnt Fler sich zufrieden zurück und wird wieder zu Patrick Decker, dem gehänselten Heimkind. Die Angst der anderen ist gut, sie bedeutet in seiner Welt Respekt.

Zur Verunsicherung trägt bei, dass selbst die, die an den Schulen Basisarbeit leisten, der Faszination des Bösen ratlos gegenüberstehen. Rapper Gauner etwa kann sich »schon vorstellen«, dass die Beschallung jugendlicher Hirne mit FWörtern auf die Dauer »’ne beschiss’ne Wirkung« hat. Andererseits ist die Pubertät eine Zeit der Experimente, und vieles wird in den Medien übertrieben. Rapper Gauner zieht mit dem HipHop-Mobil, einer staatlich geförderten Einrichtung, über Berliner Schulhöfe. Zuerst kommt eine halbe Stunde Frontalunterricht zur Geschichte des Hiphop, wie die Kultur einmal übergreifend hieß, dann sollen die Schüler ein Erfolgserlebnis mit einem selbst geschriebenen Text machen – die rollende Kreativwerkstatt sozialdemokratischer Prägung. Als Pädagoge oder gar Sozialarbeiter sieht Gauner, ein Mann mit langen Rastalocken, sich trotzdem nicht. Zum einen weiß er, dass man das Gegenteil erreicht, wenn man Jugendlichen in schwierigen Übergangssituationen ihre Idole schlechtzureden versucht. Zum anderen fühlt er sich als langjähriger Aktivist, der auch Platten herausbringt, selbst der Szene zugehörig. Leider seien in der Zwischenzeit einige Werte verloren gegangen.

Gauner hat das Kommen und Gehen der Helden am lebenden Objekt verfolgt. Vor zehn, fünfzehn Jahren jammte die Gemeinde in finsteren Kellern und fühlte sich den politischen Idealen der alten Schule verpflichtet: Zusammenhalt, Artistik, fairer Wettkampf. Die so genannten Freestyle Battles (Freistilkämpfe) erlebte er als lustige Streitkultur, bei der der eine Rapper den anderen mit geschickt gewählten Worten auszog, ohne ihn gleich kaltmachen zu wollen. »Kennste Savas, kennste Sido, kennste Bushido?«, fragen die Schüler heute und kupfern, was sich mit geübtem Auge sofort erkennen lässt, den einen oder anderen rüden Vers von den neuen Kings der Schulhöfe ab. Eine wirkliche Zunahme der Gewalt, gar rechtsradikale Tendenzen kann Rapper Gauner dabei nicht beobachten, findet aber »diese Ghetto-Identifikation« bedenklich: Die eigene Lage noch schlechter reden, als sie ist, die Bedeutung, die Autos, Geld und Mädchen gewonnen haben, die Alphamännchen-Nummer. Das sei früher einmal anders gewesen. Ansonsten: Man müsste systematisch Interviews führen, wissenschaftlich an die Sache herangehen. Bis es so weit ist, bleibt die Berliner Härte ein Wesen, das sich in der Öffentlichkeit verbirgt.

Vielleicht ist es im Nordwesten der Stadt zu finden, wo Sami »Ben« Mansour einen schwunghaften Handel mit Hip- Hop-Devotionalien betreibt. Versteckt zwischen Fabrikhallen, voll gesprühten Wänden und Laubenkolonien liegt der kleine Laden, den das frühere Mitglied der Kreuzberger Straßengang »36 Boys« aufmachte, als klar wurde, dass die Sehnsucht nach Härte auch ein Markt ist. Jetzt ist er mit seinen 31 Jahren fast schon ein Veteran, das Geschäft brummt, hinterm Tresen steht seine Urberliner Mutter und fragt die Hereinkommenden: »Was kann ich dir Gutes tun, Großer?« Begehrt sind Leuchtdiodengürtel für 55,90 Euro und Ringe mit eingeprägten Kampfnamen, doch auch die eine oder andere Prinz-Porno-CD geht über den Tresen. Die Kunden, die hier ihren Bedarf decken, wirken nicht verhaltensauffällig, auf Nachfrage entpuppen sie sich als Gymnasiasten aus Wilmersdorf und anderen bürgerlichen Stadtteilen. Das sei die Regel, sagt Mansour, hinter den in Klein- und Kleinstauflagen zirkulierenden Underground-Provokationen steckten nicht selten Söhne aus gutem Hause. Einen Kulthit bescherte ihm kürzlich ein Waldorfschüler, der Sidos Mein Block unter dem Titel Mein Dorf parodierte. Es spricht einiges dafür, dass die, die beschützt werden sollen, zugleich die sind, vor denen gewarnt wird.

»Hiphop ist ein Mantel, den du dir umhängst«, sagt Mansour, »was der Einzelne daraus macht, ist sein Ding.« Nicht einmal ein Kleinpate wie er allerdings kennt seine gesamte Kundschaft, denn der Großteil der Ware geht in den Versand. Draußen, auf dem platten Land, könnte die wahre Avantgarde der Härte wohnen, in den Käffern Brandenburgs und Mecklenburg-Vorpommerns, wo die Leuchttürme einsam in der Gegend herumstehen und sonst keinerlei Orientierung geboten wird. Oder in Großstädten des Ostens wie Leipzig, Dresden und Halle. Schon jetzt kursieren in der Berliner Szene wilde Geschichten: von Neunjährigen aus der Platte, die an der Wodkaflasche hängen und nach Konzerten ihr Messer aufblitzen lassen. Die Frage ist, was passieren wird, wenn der Trend zum Gangster-Rap anhält und eine anonym gewordene Industrie Leute unter Vertrag nimmt, die keinen Sinn mehr für die Ironien des verbalen Kampfsports Rap aufweisen. Wird es dann die ersten deutschen HipHop-Toten geben? »Schwieriges Thema«, sagt Mansour und kratzt sich am Kopf. Der Schrecken, er ist immer woanders.

Am Abend desselben Tages treffen sich B-Tight, der »krasse Neger« und Tony D, der »Araber« in einem Neuköllner Studio, um letzte Hand an ihren jüngsten Streich zu legen. Die Herbstoffensive aus dem Hause Aggro steht bevor, die beiden sollen zur Ehre der Firma und zur Mehrung des eigenen Ruhms noch einmal allerhärteste Berliner Härte zu demonstrieren. Eine leichte Aufgabe ist das nicht, denn inhaltlich stagniert der Hauptstadt-Rap. »Das ist nur das Vorspiel, am 8.8. wird Deutschland gefickt!«, brüllen B-Tight und Tony D nach Leibeskräften ins Mikro, was folgt, ist die bekannte Suada aus Verwünschungen und Imponiergehabe, bei der das Leitmotiv »Ficken« zum Rammdösigwerden oft wiederholt wird, bevor endlich der Pizzabote kommt und das Abendessen bringt: Auch die Härtesten müssen irgendwann mal Pause machen.

Als Augenzeuge der Fabrikation der Provokationen fragt man sich, was passieren wird, wenn sich draußen im Land herumspricht, was die wahrscheinlichste Lösung des Suchrätsels Härte-Rap ist: dass die vielen F-Wörter so gewaltsam sind wie die eingebaute Vorfahrt in einem S-Klasse-Mercedes. Dass sie nichts anderes besagen als: Hoppla, hier komm ich! Dass es sich, mit anderen Worten, um eine bloße Form handelt, die die Wünsche und Ängste der Betrachter auf sich zieht und folglich genau jene Macht ausübt, die man ihr zugesteht. Wer nicht an Gespenster glaubt, erlebt den Sprechgesang Berliner Prägung in diesem Herbst nämlich vor allem als heiß gelaufene Ego-Maschine, die unter hoher Lärmentfaltung um die Tatsache ihres eigenen Erfolgs kreist. Es geht nur noch darum, sich so hart zu machen wie die Verhältnisse – nicht um sie zu brechen, sondern um von ihnen zu profitieren. Bis diese Erkenntnis sich durchsetzt, muss das Böse sich selbst anpreisen, um nicht jetzt schon als Ladenhüter zu enden. Heiße Ware heißt der neue Hit in spe von B-Tight und Tony D. Das Album, das in Kürze herauskommt, trägt den neckischen Titel Indexgefährdet.

Ob die Bundesprüfstelle das unmoralische Angebot annehmen wird, stand bei Redaktionsschluss nicht fest, doch unlängst setzte sich Monika Griefahn mit Sido für die Bravo zu einem »Krisengipfel« zusammen. »Sido, aus dir ist was geworden«, ging die Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Kultur und Medien in die Offensive. »Mach was draus, und trag dazu bei, dass unsere Gesellschaft und unsere Sprache besser werden!« – »Das tue ich!«, konterte Sido. Erst vor kurzem sei er wieder vor eine Schulklasse getreten, »und ich weiß: Bei diesen Kindern habe ich etwas bewegt!« Der Bock als Gärtner – das hat natürlich wieder ein Riesengewieher hinter den Kulissen gegeben. Sieger nach Punkten in diesem Kampf ist eindeutig Sido, zumal anzunehmen ist, dass Monika Griefahn die hinreißende Komik der Situation entgangen sein wird. So beweist dieser Krisengipfel wenigstens eine verloren geglaubte Wahrheit: Jugendkultur ist, wenn die Erwachsenen es nicht verstehen.

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ich verhandle nicht mit psychopathen[/b]