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Gestern spielte das Trio von Vijay Iyer im Moods in Zürich. Der Laden war erstaunlich gut besucht – das Posterboy-Aussehen dürfte geholfen haben, der Damenanteil war viel höher als sonst, die Poster ausserhalb des Clubs waren schon in der Pause zum Teil verschwunden. Auch die hippe Jungs, sehr junge, waren unterwegs, Jazzschüler wohl, die „wegen Marcus“ da waren, wie sie sagten, oder wohl einfach, um Iyers anspruchsvolle, „verkopfte“ (auch das sagten sie) Musik zu hören.
Dieser Marcus, 26, mit Nachnamen Gilmore, ist Enkel von Roy Haynes und hat das Trommeln wohl in die Wiege gelegt gekriegt. Im ersten Set ist er es, der die Akzente setzt, sein Spiel erreicht eine Dichte und Wucht, die etwa dem entsprechen dürfte, was ich mir von Elvin Jones mit Coltrane, ca. 1965 vorstelle – da sind die Leute ja teilweise in ekstatische Tänze verfallen, haben Tische um- und Urschreie ausgestossen. Ganz so wild geht es im gesittet-zwinglianischen Zürich natürlich nicht zu und her, was aber nicht Gilmores Fehler ist. Es liegt eher am verhaltenen Spiel Iyers, der in den ersten Nummern etwas austauschbar wirkt, wie ein beliebiger, sehr guter Jazzpianist seiner Generation eben. Kontrabassist Stephan Crump steht zwischen den beiden auf der Bühne und ist auch musikalisch der Vermittler zwischen Beat und Melodie, zwischen Rhythmus und Harmonie. Er spielt einen eigenartigen Bass mit deutlich kleinerem Resonanzkörper und leider etwas wenig Volumen und Klangfülle gerade in den tiefen Lagen. Im ersten, etwa einstündigen Set wirkt die Musik etwas kopflastig. Man hört komplexe Strukturen und komplizierte Rhythmen, Iyer spielt neben perlenden Läufen auch zerhackte Passagen, rhythmisierte Kürzel, hängt früh im ersten langen Medley einmal kurz seinen iPod an, um einen Computer-Beat einzuspeisen. Die oft eng ineinandergreifenden Beats von Gilmore und die Bass-Licks von Crump könnten ganz schön grooven, aber das will nicht richtig gelingen. Das Trio wirkt zwar eingespielt, aber die Musik hebt nicht richtig ab.
Ganz anders dann im zweiten Set. Plötzlich gibt es auch etwas Wärme in der Musik, die Grooves greifen ineinander, das Versprechen des ersten Sets wird nun eingelöst. Iyer findet immer mehr zu einem idiomatischen Spiel, das seine ganz eigene Sprache enthüllt. Die Linien perlen nicht mehr dahin, die Vergleiche zu Jason Moran und der gelegentliche Anklang an Thelonious Monk aus dem ersten Set machen Raum für Bezüge auf andere eigenwillige Pianisten des Jazz, Herbie Nichols vor allem, von dem dann, in der Mitte des Sets, auch ein Stück gespielt wird – es zählt zu den schönsten des Abends, gerade weil es Iyer gelingt, die besondere Klangwelt von Nichols mit seiner eigenen zu überlagern, das Stück auch rhythmisch in seinem eigenen Sinn zu gestalten. Die drei finden jetzt wirklich zusammen zu einer eigenen Musik, immer noch rhythmisch anspruchsvoll, eng verzahnt, harmonisch gewagt – auch wenn Crump ein Solo spielt – und von enormer Dichte, getragen auf einem Donnergrollen der Drums, das aber auch mal zu einem Flüstern werden kann, ein gemeinsames An- und Abschwellen, Be- und Entschleunigen, wie man es sehr selten zu hören kriegt. Nach wohl einer Stunde, kurz nach dem Nichols-Stück, erhält die Band einen Applaus wie am Schluss des Konzertes. Aber ans Aufhören denken sie noch lange nicht. Iyer spielt eine bezaubernde Solo-Version des alten Van Heusen/DeLange Standards „Darn That Dream“, mit fein angedeuteten Strides der linken Hand und feinen, überraschenden Linien der Rechten. Dann spielt das Trio weiter, und nach wohl neunzig Minuten, ein Teil des Publikums ist bereits in der späten Nacht verschwunden, gibt es auch noch eine Zugabe, in der nichts von der Spannung verloren ging, die es davor aufgebaut hat.
Ich vergass: Drumrolls made in heaven – grossartig, wie Gilmore ein Feeling mitbringt, das am ehesten von Art Blakey zu kommen scheint, das mit seinem enorm dichten polyrhythmischen Spiel (EJ!) vereint und darüberhinaus auch die ganzen Funk- und Hip-Hop-Rhythmen der jüngeren Zeit berücksichtigt und einbaut.
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