Re: Das Piano im Jazz

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gypsy-tail-wind
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katharsisWenn M.L. Williams Erwähnung findet, dann sollte zumindest auf Jutta Hipp hingewiesen werden, die durchaus das Potential gehabt hatte, von der Obskurität zu einem kleinen Stern zu werden.

Ja ja, Hipp ist ganz interessant – aber Mary Lou Williams wäre in jeder fairen Jazzgeschichte und wenn Jazz nicht so ein verdammt sexistisch und machistisch eine anerkannte Gigantin, neben Leuten wie z.B. Don Byas, Lucky Thompson, Nat Cole und anderen swing-to-bop Leuten!

Jutta Hipp blieb dagegen eine Marginalie… ihre Trios auf Blue Note sind allerdings sehr schön, da gibt’s nix dran zu rütteln! Auch das dritte Album mit Zoot Sims ist interessant, allerdings nur teilweise geglückt würd ich sagen. Mehr kenn ich von ihr nicht, hab aber irgendwo noch ein paar MP3s mit Sachen auf Frankfurt. Und ja, auf der „Saxophone Masters“ CD in der Reihe „Original Vogue Masters“ (BMG/RCA, ca. 1999/2000, vor ein paar Jahren gab’s mal noch ein paar Nachzügler in dieser tollen Serie), da spielt sie auch noch mit, ich glaub auf der Session mit Hans Koller (die anderen beiden Musiker, die da präsentiert werden sind Lee Konitz und Lars Gullin).

Glücklicherweise gibt’s ja mittlerweile einige tolle Pianistinnen (Sylvie Courvoisier, aber auch ältere wie Irene Schweizer und Bertha Hope) und auch andere Instrumentalistinnen (Joëlle Léandre, Susie Ibarra, Sophie Alour, Géraldine Laurent, Ingrid Laubrock, Hélène Labarrière um nur mal die paar zu nennen, die mir grad spontan einfallen).

Ich für meinen Teil kann immer noch nicht nachvollziehen, inwiefern Tyner ein brachialer Doppelfäuster sein soll? Vielleicht entsteht der Eindruck dadurch, dass er in Heavyweight-Bands spielt und sich dort behaupten muss?! Ich finde sein Begleitspiel zwar immer auch schwer, aber auch immer passend und in den richtigen Momenten sogar unglaublich leicht und federnd. Vor allem finde ich, dass er geschickt bei harmonischen Wendungen und Improvisationen war.
Ein schönes Beispiel für seine Leichtigkeit ist das „Nights of Ballads and Blues“ Album, oder auch das Zusammentreffen von Coltrane und Hartman. (Oder auch hier: http://www.youtube.com/watch?v=5tjlz3DYmTw&feature=related)

Natürlich kann Tyner äusserst lyrisch spielen, kanns irgendwie nicht besser erklären als schon geschehen (zwischen redbeans und mir). Ich halte des übrigen seine Impulse-Aufnahmen für eine Art hübsch-harmlosen Prolog für sein eigentliches Werk, das bei Blue Note dann explorativ wird (mit wechselndem Erfolg aber stets spannend!) und bei Milestone dann gewissermassen zu sich fand und die „Great Black Music“ in eine Art klassische Form goss. Berendt hat in „Ein Fenster aus Jazz“ einen schönen Aufsatz geschrieben über Tyner.

Die Nennung von Bill Evans ist insofern vielleicht etwas problematisch aber gerechtfertigt, weil er durch sein entschlacktes Spiel dem „weißen“ Jazz der 90er und 2000er Tür und Tor geöffnet hat. Das Problem ist, dass Evans (in meinen Augen) einer der tiefschichtigsten Pianisten gewesen ist, der diese Tiefe aber geschickt „überspielt“ und in melodischen Läufen getränkt hatte. Insofern wurde er ein leichtes Opfer unzähliger Epigonen, die diese Tiefe schlichtweg übersehen haben.
Schade ist auch, dass Evans hauptsächlich auf den Trio-Pianisten reduziert wird, der er zweifellos war. Aber Sessions mit Hubbard, Zoot Sims oder Eddie Costa geraten da ins Hintertreffen und verklären den Blick auch etwas.

Bill Evans als Einfluss ist wohl genauso fatal wie Coltrane oder Tyner. Das hatten wir ja schon… diese Einschränkung auf einen gewissen Stil (der ja dann nicht der eigene ist), der sich bei ganzen Generationen von jungen Musikern zeigt, das ist unglaublich öde… aber das kann man ja den „Originalen“ nicht vorhalten (auch Tyner nicht)!
Evans konnte auch ganz schön sperrig sein, siehe z.B. „Love for Sale“ auf der 1958er Studio-Session mit Miles (der Grossteil erschien zuerst als eine Seite von „Jazz Tracks“, aber „Love for Sale“ war auf einem dieser Columbia-Sampler zu finden).

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