Re: Bob Dylan

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bullschuetz

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bobsfanIch finde das nicht! ;-)
Denkt bitte an Dylans Liebe zum Outlaw – und hier schildert Bob knapp die Ursachen und die der Bestrafung folgende moralische Wandlung das Helden

Was „zum Kotzen“ ist an dem Song: Als ernstzunehmende biographische Studie über Joey Gallo ist das Lied ein schlechter Witz. Die Verherrlichung des existenzialistischen Gangster-Outsiders, die permanenten Kitsch-Anwandlungen – unser Held kommt zur Melodie eines Akkordeon zur Welt und steht immer auf der Outside, wo auch immer das sein mag, zwischen der bösen Polizei und den ebenso bösen Mobstern ist er eine Art einsam dem Sonnenuntergang entgegenreitender Lucky Luke, und am Ende heulen all die Frauen in der Familie, sein bester Freund Frankie sagt einen Satz von allerbanalstem Pathos, und der alte Pate fährt vorbei auf ein letztes Lebewohl … reichlich dick aufgetragen, oder? Und dazu scheint Dylans Gallo noch so eine Art Pazifist zu sein – es gibt zwar Gerüchte, wonach er seine Konkurrenten umbringe, aber das stimmt ja gar nicht, er hatte ja in seinen späteren Tagen nichtmal mehr Waffen bei sich, er wollte ja kein schlechtes Vorbild für die Kinder abgeben – Himmel! Man könnte endlos so weitermachen. Robert Christgau hat dazu geschrieben: Dylans Solidaritätshymne für Hurricane Carter sei ja toll – aber das Pathos in Joey sei so dick aufgetragen und unglaubwürdig, dass man nach dem Hören glatt anfange, auch noch an Rubin Carters Unschuld zu zweifeln. Gallo sei eben kein Underdog, sondern ein „Overdog“.

Warum ich den Song trotzdem toll finde: Es geht, wie in allen guten Gangsterballaden, nicht um die Wahrheit, sondern um den Mythos, nicht um den Gangster als reale Person der Zeitgeschichte, sondern als Projektionsfläche. Und besonders spannend ist, dass diese Mythologisierung ja tatsächlich bereits in Gallos echtem Leben einsetzte: Er beeinflusste Schauspieler mit seinem Charisma und war seinerzeit in seinem Gehabe von Gangster-Darstellern beeinflusst – ein faszinierender Rückkoppelungs-Loop zwischen Popkultur und Unterwelt und Popkultur und Unterwelt und … Radical chic.

In diesem Sinne finde ich den Song saumäßig unterhaltsam: eine Studie in Sachen Mythenbildung, die Umsetzung eines dreistündigen Mafia-Epos in einen zehnminütigen Song. Dramaturgisch finde ich das durchaus packend, und die einzelnen Bilder sind, gerade weil sie oft so klischeebeladen sind, eben auch extrem suggestiv – da wird souverän das Kopfkino angetriggert, da werden die in uns abgespeicherten Gangsterfilm-Archetypen mit wenigen Worten unfehlbar abgerufen. Das finde ich sehr cool gemacht.

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