Re: Bob Dylan

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jarvis_cocker

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Beiträge: 522

Sehr provokant hat es wieder mal Herr Blumenau in seiner beliebten Kolumne bei FM4 auf den Punkt gebracht:

buon divertimento….

Journal ’03. dreizehnterjuli.
Love and Theft.
Hat der große Dylan abgeschrieben?

Präambel

But users, cheaters,
six-time losers
Hang around the theaters
Girl by the whirlpool,
lookin‘ for a new fool
Don’t follow leaders
Watch the parkin‘ meters

Subterranean Homesick Blues,
Bob Dylan,
1965

It takes a thief to catch a thief
For whom does the bell toll for, love? It tolls for you and me

Die Kunst des Zitats

Wenn beispielsweise jemand wie unser DJ DSL eines Abends einen seiner Lieblingssprüche loslässt und der ebenfalls anwesende Dirk von Lowtzow fällt vor Lachen unter den Tisch und fragt, ob er das verwenden darf und der Stefan sagt „Ja, sicher!“, und wenn dann „Hi, Freaks“ mit den unsterblichen Worten des großen Erdbergers beginnt („Hi Freaks, look at me – Autogramme vis-a-vis“) dann ist das ein Zitat im guten Sinn.

Dann hat ein Künstler eine Äußerung eines anderen Künstlers genommen und drumherum ein neues Stück geformt.

Darauf basiert die gesamte Kunst des Samplings, die ja seit jeher Bestand hat, in der bildenen oder der Konzept-Kunst, ehe sie Handwerker und Schein-Puristen in der Musikbranche verstörte.

Aber auch die Beatles und Dylan haben verstört, Beuys oder Punk, Public Enemy und Aphex Twin. Und das ist gut so.

Millionen glauben den Zusammenhang
von Schweiß und Gefühl und Ehrlichkeit
In Wahrheit zählt nur die Kunst des Zitats
In Wahrheit zählt nur der richtige Moment

Die Kunst des Zitats
Fehlfarben
1983

„There must be some way out of here,“ said the joker to the thief, „There’s too much confusion, I can’t get no relief.
Businessmen, they drink my wine, plowmen dig my earth,
None of them along the line know what any of it is worth.“

„No reason to get excited,“ the thief, he kindly spoke,
„There are many here among us who feel that life is but a joke.
But you and I, we’ve been through that, and this is not our fate,
So let us not talk falsely now, the hour is getting late.“

Der richtige Moment

Aber es soll hier nicht um das Zitat an sich gehen, sondern um einen Fall von Einschleichdiebstahl.

Keinem gravierenden, wie ich finde – ich setze das mit ‚als Kind Eis aus der Tiefkühltrühe im Supermarkt klauen‘ gleich – aber einem insofern bemerkenswerten, weil es sich beim Thief auch gleichzeitig um den Joker handelt.

Um den wichtigsten Poeten des 20. Jahrhunderts.
Bob Dylan eben.

Konkret geht es um Dylans „Love & Theft“-Album von 2001.
Und um den 1991 veröffentlichten Roman „Confessions Of A Yakuza“ vom japanischen Schriftsteller Junichi Saga.

Tears of rage, tears of grief,
Why must I always be the thief?
Come to me now, you know
We’re so alone
And life is brief.

Dieser Literatur-Kriminalfall kam extrem langsam ins Rollen.

Am 12. Mai stellte der Dylan-Fan Chris Johnson eine von ihm erlesene Tabelle auf die Dylan-Fan-Page dylanchords.

Dort werden üblicherweise nette Tabs von Dylan-Songs gesammelt und den eifrigen Lagerfeuer-Gitarre-Dylan-Nachspielern dieser Welt frei zugänglich gemacht.

Wohl auch deswegen blieb dieser Link einige Zeit unbeachtet.

Johnson, wie Dylan aus Minnesota, ein Fan und keineswegs ein Enthüllungsreporter, hatte Junichi Sagas ‚Confessions of a Yakuza‘ gelesen und (Zitat) „found a load of lines that strikingly resemble lines is a recent studio album by a certain American icon (with a title that alludes to unlawful appropriation).“

No, I do not feel that good
When I see the heartbreaks you embrace
If I was a master thief
Perhaps I’d rob them

Love & Appropriation

Im folgenden listet Johnson 12 Beispiele auf, wo Dylan ziemlich einszueins den Saga/Yakuza-Original-Text in die Stücke von „Love & Theft“ (oder Love & Appropriation, wenn man es milde wie Johnson sieht…) einwebt.

Gleich sechs Einzeiler/Strophen-Teile sind in „Floater“ enthalten.

Die restlichen Ausborgungen betreffen die Stücke „Po‘ Boy“, „Summer Days“, „Honest With Me“ und „Lonesome Day Blues“.

Dabei handelt es sich keineswegs um zufällige Themen/Wort/Zeilen-Gleichheit, sondern um ganz gezieltes Abschreiben.

Ein Beispiel:

Saga, Seite 57/58:
My mother…was the daughter of a wealthy farmer… she died when I was eleven…my father was a traveling salesman…I never met him.
my uncle was a nice man, I won’t forget him…
After my mother died, I decided it’d be best to go and try my luck there.

Dylan , Po‘ Boy:
My mother was a daughter of a wealthy farmer
My father was a traveling salesman, I never met him
When my mother died, my uncle took me in – he ran a funeral parlor
He did a lot of nice things for me and I won’t forget him.

Now you stand with your thief, you’re on his parole
With your holy medallion which your fingertips fold,
And your saintlike face and your ghostlike soul,
Oh, who among them do you think could destroy you

Manche Zitat-Beispiele sind verschwommener, als ob einzelne Zeilen wie in einem trunkenen Echo nachhallen.

Wenn man sich „Floater“ allerdings genau anschaut, dann ist etwa ein Drittel (!!) dieses Textes aus der Yakuza-Geschichte geborgt.

Johnson, der mittlerweile in Japan lebt (weshalb er offenbar auch auf das Buch gestoßen ist) gibt als Abschluss-Kommentar seiner akribischen Zitate-Sammlung folgendes zum besten:

It’s a fascinating read in it’s own right, and obviously Dylan liked it. What more recommendation could you possibly need?! It’s available quite cheap in paperback from amazon.

Dabei blieb es zunächst einmal.

Well, John the Baptist after torturing a thief
Looks up at his hero the Commander-in-Chief
Saying, „Tell me great hero, but please make it brief
Is there a hole for me to get sick in?“

Love & Theft

Irgendwann nahm dieses Insider-Gerücht dann aber den Weg in den weltweitwirbelnden Journalismus.

Und wie man zB hier im Spiegel nachlesen kann, ging es via „Wall Street Journal“ und „Entertainment Weekly“ um die Welt.

Das deutsche Feuilleton kommentierte in den Samstags-Ausgaben – wohlwollend.

Offizielle Stellungnahmen gab es bislang (auch hier auf der Dylan-Homepage) nicht.

Es gibt ja auch keinen Geschädigten in dem Sinn.
Sagas Yakuza-Buch verzeichnet mittlerweile enorme Bestellungen, jeder Dylanologe, der was auf sich hält, wird es kaufen MÜSSEN, der Autor profitiert also definitiv von diesem Diebstahl.

Scherzhaft wird bereits von einem Tausch (Dylans Bild auf dem Buch-Cover … the book that inspired the genius … bzw Saga als Co-Autor auf eventuellen Love &Theft-Neuauflagen?) gesprochen.

Don’t you cry and don’t you die and don’t you burn
For like a thief in the night, He’ll replace wrong with right
When He returns.

Was bleibt ist natürlich ein schaler Nachgeschmack.

Dylan hat in seinem Künstlerleben schon oft geklaut (wie es unter Brüdern üblich ist): ob er jetzt Ramblin‘ Jack Elliott kopierte oder bei Ric Van Schmidt Arrangements entwendete, man verzieh Dylan alles mit dem Hinweis auf sein Genie (und unter Außerachtlassung seines ebenso legendären schlechten Charakters).

Das waren allerdings auch Sünden vor seinem Aufstieg zum wichtigsten Song-Autor des Planeten.
Nachher hatte Dylan keine Probleme Covers als solche anzugeben.

Seine Zusammenarbeit mit den Musikern von „The Band“ (vor allem auf den „Basement Tapes“) und auch seine Songwriter-Partnerschaft mit dem Broadway-Autor Jacques Levy für sein famoses Album „Desire“ gelten als vorbildlich.

You may be a business man or some high degree thief,
They may call you Doctor or they may call you Chief
But you’re gonna have to serve somebody,
Well, it may be the devil or it may be the Lord
But you’re gonna have to serve somebody.

Andererseits ist spätestens seit 1993 der Burn-Out Dylans unübersehbar.

Während der Mann selber das mit einer neverending Welt-Tournee quasi überspielt, hat er seither 5 recycelte (teilweise tolle) Alben (Greatest Hits, Live, Unplugged etc…) und nur exakt zwei (von der hungrigen Kritik teilweise hochgelobte) Alben mit neuen Songs veröffentlicht.

Und sich bei einem davon offenbar heftig inspirieren lassen müssen.

Irgendwer hat anlässlich von Dylans 60er vor zwei Jahren gesagt, dass er, der Meister, sinnbildlich der größte verloschene Vulkan der Welt ist, der Vatnajokull, von dem man immer noch hofft, dass er irgendwann wieder Feuer speien wird.

Diese Hoffnung ist jetzt wieder ein Stückchen kleiner geworden.

Dazu gibts übrigens auch eine herzhafte Diskussion in den Kommentaren zum Artikel, wo auch Martin Blumenau mitdiskutiert…www.fm4.at

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Genie kommt von Genieren, dicht sein kommt von Dichtung, Schnaps kommt aus der Flasche, Volk kommt von Vernichtung. Werner, oh Werner. Werner! Oh Werner, oh Werner. Werner!