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Anonym
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Witek Dlugoszbullschuetz, hast du schon mal darüber nachgedacht, wie schwer es ist, einen komplizierten Sachverhalt in kurzen verständlichen Sätzen darzulegen? Dann ist dir vielleicht auch der Gedanke gekommen, dass das herausfordernder und ambitionierter sein kann als sich in endlosen Schachtelsätzen auszulassen.
Lange Sätze, kurze Sätze … ja, Witek, Du hast Recht: Komplexes stilistisch dicht, schlackenlos und verständlich auszudrücken, ist eine Kunst und auch aus meiner Sicht durchaus ein Stilideal (bloß eben nicht das einzig denkbare). Ich mag auch die angelsächsische Historikerschule, deren Autoren immer verständlich bleiben und erzählen können – was ja in Deutschland phasenweise regelrecht verpönt war als „populärwissenschaftlich“.
Woran ich mich aber störe, ist zweierlei:
Zum einen hat Hofacker die These vertreten, wenn der Leser einen Satz zweimal lesen müsse, habe der Autor was falsch gemacht. Dieses Der-Leser-ist-Kunde-und-der-Kunde-ist-König-Zugänglichkeitsdogma ist aus meiner Sicht, ums in Hofackers Worten auszudrücken, „haarsträubender Unsinn“.
Zum anderen ärgert mich die Verallgemeinerung: Nur das Kurze, Klare, auf Anhieb Verständliche sei das Gute , Richtige, Wahre. Nein, ist es nicht!
Dass das Ideal der konzentrierten Schlichtheit in der Welt der Literatur nicht unbedingt zu gelten hat, brauche ich ja wohl kaum zu begründen (so ziemlich jeder erster Satz einer Kleist-Novelle ließe sich natürlich ordentlich in kurze, auf Anhieb verständliche, ein zweites Lesen weder fordende noch dazu anregende Hauptsätze zerlegen – aber das wäre echt beschissen; von Thomas Mann, Thomas Bernhard, Peter Weiss mal ganz zu schweigen). Aber auch im Journalismus, überhaupt in jeder Form des kommunikativen Austausches in den Medien halte ich das Einfachheitsprinzip nicht für alleinseligmachend. Beispiel „Philosophisches Quartett“: Die Sendung war oft schachtelsatzgesättigt, kompliziert und nicht immer leicht verständlich – und gerade deshalb eine Wohltat gegenüber diesen Jauch-Illner-Lanz-Runden mit ihren berechenbaren Empörungsritualen, verteilten Keifrollen und unter den Gesichtern stichwortartig eingeblendeten Kernthesen (XY findet die Energiewende zu teuer, YZ hat seit Fukushima umgedacht, ABC glaubt nicht an den Klimawandel).
Manchmal tut es gut, wenn jemand die mediale Diskurs-Norm, die herrschende Ausdrucksidee der Zeit (sei kurz und verständlich und diene dem Leser) souverän ignoriert oder gar bewusst unterläuft. Manchmal tut sogar forcierte Verkomplizierungslust gut – als Gegengift in Zeiten des allgegenwärtigen Vereinfachungswahns.
Und genau dafür steht für mich Spex: eine Zeitschrift, die sich Sperrigkeit, Schrägdenkerei, intellektuellen Größenwahn, gedankliche Verstiegenheit, kühne Kurzschlüsse, ambitioniertes Ringen um poptheoretische Deutungshoheit erlaubt und weder vor Schachtelsätzen noch vor Fremdworten noch vor Seminarjargon zurückscheut. Ich empfinde sowas als erhaltenswerte Alternative.
Das heißt nicht, dass ich was gegen kurze Sätze und verständliches Deutsch habe.
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