Re: Spex

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ah-um

Registriert seit: 24.02.2006

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Nun habe ich mir zum ersten Mal überhaupt eine spex wirklich gekauft. Was mich bisher abgeschreckt hatte: Das Stylische, das hochglänzende „Wir machen hier Kunst!“-Layout, der Modescheiß, die Hipster-Attitüde.
Die Texte allerdings sind viel besser als der erste Eindruck. Das befürchtete schnöselig-selbstverliebte Geschreibsel hält sich in engen Grenzen, nicht schlimmer als beim RS jedenfalls. Alles wirkt sehr sorgfältig und mit Überzeugung gemacht. Man muss eben nicht diese lästige Classic-Rock-Klientel bedienen. Auch gibt es nicht diese oft lieblos wirkende Zweitverwertung englischsprachiger Artikel.

Also: Gut lesbar und interessant. Man merkt dabei ständig eine Affinität zur Meta-Ebene, zur Theorie, zum Grundsätzlichen und Allgemeinen durchscheinen. Ich mag sowas. Da ist es fast zweitrangig, ob über Burial und Hot Chip oder über die Stones und Springsteen berichtet wird.
In dem Artikel über Susan Sontag steckt mehr food for thought als in einer ganzen Jahresausgabe des RS. Auch die erhellenden Interwiews über „Kunstsprache“ finden dort kein wirkliches Äquivalent. Und der Palermo-Artikel schlägt alles Vergeichbare im RS.

Trotzdem bleibe ich skeptisch über die Herangehensweise der spex. Eine Zwangsheirat von Pop und bildungsbürgerlichem Elitarismus braucht niemand und kann auch nicht funktionieren. Ist daran nicht auch schon der Kommunismus gescheitert? Hö hö.
Wenn etwa ein Act mit dem Namen „Kommando Sonne-nmilch“ (der Bindestrich gehört da hin, wahrscheinlich Kunst) nach Ansicht der Redaktion ein „existentialistisch-kathartisches Werk“ vorgelegt haben soll, dann trägt das schon etwas unfreiwillig komische Züge. (Natürlich kenne ich die Platte nicht.) Allerdings bleiben solche Stilblüten die seltene Ausnahme. Und davon bin ich positiv überrascht.
Sehr clever ausgedacht war auch der blindfold test/das Interview mit RZA. (Warum gibt es sows im RS eigentlich nicht?) Leider hat die deutsche Pop-Intelligentsija den guten RZA offenbar etwas überfordert. Die Wirklichkeit ist wohl doch banaler als man sich das in den Redaktionsstuben der spex vorstellt.
Das Vorhaben, DEN JAZZ auf 14 Seiten darzustellen, war kühn, wenn nicht gar anmaßend. Immerhin ist es gelungen, die Grundkonflikte der Jazz-Gegenwart anschaulich werden zu lassen. Die Plattenauswahl bleibt zweifelhaft.

Insgesamt muss ich feststellen: Die spex ist das interessantere, ambitioniertere, anspruchsvollere, das bessere Magazin als der RS. Aber sie ist mir immer noch zu wichtigtuerisch und dandyhaft. Der uncoole Onkel „Rolling Stone“ bleibt sympathischer.

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There is a crack in everything; that's how the light gets in. (Leonard Cohen)