Re: Spex

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go1
Gang of One

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Das Editorial der neuen SPEX ist eine interessante Polemik. Die neue Redaktion (an erster Stelle wohl Max Dax) grenzt sich darin ab von der SPEX der frühen 90er Jahre. Sie tut dies mittels einer tendenziösen Darstellung alter Diskussionen. Es lohnt sich, an diese zu erinnern.

In der Zeit von Rostock, Mölln und Hoyerswerda, der Zeit der rassistischen Pogrome im neuen, größeren Deutschland, hatte Diedrich Diederichsen die, so denke ich, korrekte Diagnose gestellt: „The Kids are not alright“. Damit wurde eine Illusion beerdigt: In der Vorstellung der „Poplinken“ waren Pop und Popkultur seinerzeit noch mit Jugendkultur verbunden und durch diese wiederum mit „Dissidenz, Revolte, Abgrenzung“ – Popkultur wurde von einigen Linken noch als dissidente Gegenkultur und damit als fortschrittlich vorgestellt. Als erkannt wurde, dass Jugendkulturen auch rechts und reaktionär sein können, platzte diese Idee. Es ist ja wirklich so: Popkultur ist politisch indifferent (also potentiell auch staatstragend) und oft nicht mehr als kulturindustriell angeleitetes Freizeitvergnügen. Gefordert war unter den damaligen Umständen aber ein echtes politisches Handeln (das Editorial erinnert an etwas hilflose antifaschistische Aktionen). Diese ganze Diskussion wird von Max Dax nur noch mit Unverständnis betrachtet. Die Überschrift des Editorials lautet demonstrativ: „The Kids are alright“.

Ebenso unverständlich erscheint der Redaktion die Diskussion, die aus Anlass von Kurt Cobains Selbstmord geführt wurde. Dessen Tod markiert das Ende von „Alternative“ als sinnvoller, inhaltlich bestimmter Kategorie. Es ging dabei nicht nur um eine musikalische Tradition (den vom Punk herkommenden US-Underground-Rock der 80er), sondern auch um eine Haltung und bestimmte Werte (Do it yourself, Antirassismus, Antisexismus und dergleichen); oft auch um eine Art Außenseitersensibilität (nicht dazugehören, Schwäche eingestehen, Beschädigung, Entfremdung usw.). Nirvana standen für all das (und gelten der neuen SPEX-Redaktion deshalb als „larmoyante Jesuslatschen-Band“). An ihrem Fall ließen sich auch allgemeinere Themen behandeln. Die spezielle Diskussion, auf die das Editorial Bezug nimmt (wiedergegeben in SPEX 6/1994), kenne ich nicht, aber soweit ich weiß, sah man damals Subkulturen unter anderem vor folgendes Problem gestellt: Beim Eindringen in den kommerziellen Mainstream löst sich alles auf in Image und Spektakel.

Nirvana hatten wohl erfolgreich sein wollen, aber die Folgen nicht vorhergesehen. Wie man weiß, litt Kurt Cobain darunter, dass seine Musik von den falschen Leuten gemocht wurde – auch von solchen, die ihn auf der High School noch verprügelt hätten. Wenn er auf der Bühne gelegentlich ein Kleid trug oder Zungenküsse mit dem Bassisten austauschte, waren das Gesten der Abgrenzung: Rednecks go home! Es half aber alles nichts. Die subkulturelle Identität, der er sich verpflichtet fühlte, ließ sich unter den veränderten Umständen nicht leben. Zugleich hing der Vorwurf des „Ausverkaufs“ über ihm. Musikindustrie und Musikfernsehen entdeckten, wie sich ein neuer Sound und Look und Stil vermarkten ließ. Was auf der Bühne und auf dem Bildschirm passierte, war Spektakel und ließ sich konsumieren. „Widerstandsgesten“ wurden zu Verkaufsargumenten, „Image“; die alternative Szene ging unter im Hype, der um sie veranstaltet wurde. Ohne die erwähnte SPEX-Ausgabe gelesen zu haben, vermute ich, dass den Poplinken seinerzeit ein Licht aufging: Eine Dissidenz, Abweichung, die vermarktet wird, stabilisiert das System und erschüttert es nicht. Sie geht auf in den Freizeitvergnügen, die die schlechte ökonomische Lage ertragen helfen. Eine Illusion perdu.

Max Dax und die SPEX-Redaktion können nur noch ihre Köpfe schütteln über diese „selbstmörderische Debatte“. Das Platzen der Illusionen über Pop und Politik war ja deshalb schmerzlich und bedeutend für die alten Poplinken, weil sie noch das Bedürfnis gehabt hatten, nicht „denen ihr Spiel“ zu spielen, wie Diederichsen es ausgedrückt hat (in seinem lesenswerten Buch Sexbeat). Dieses Bedürfnis ist der neuen SPEX-Redaktion offenbar fremd – sie kennt dafür das Bedürfnis, sich von „altlinken Zwangsreflexen“ abzugrenzen.

Dieses Editorial ist eine einzige Geste der Abgrenzung gegen jene linke Gesellschaftskritik, die in der SPEX einmal ein paar Vertreter gehabt hat. Genau das ist der „Punkt“, auf den der Text angeblich nicht komme. Obskur bleibt zwar, wofür man ist – man ist irgendwie für Pop und gegen Authentizität, wie es bei der SPEX ja Tradition hat -, aber wogegen man ist, wird einigermaßen klar: Man ist gegen eine „bedrückende“ linke „Weltsicht, die sich Mainstream-Strömungen vom Leib halten will“, und gegen die Unterscheidung von „uns“ und „ihnen“, Gegenkultur und Establishment, wie sie die alten Poplinken auf ihre Art noch gepflegt hatten. Willkommen in der Berliner Republik!

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To Hell with Poverty