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Paul Weller
Die ganze Welt in seiner Nussschale
Von Markus Schneider
Paul Weller spielt Neues und raut klassische Songs aggressiv auf.
Foto: dapd
Berlin – Paul Weller zeigt sich mit neuen Songs im Berliner Huxley’s bemerkenswert gut in die Mittfünfziger hineingealtert. Dazu gibt er souverän einen Elder Statesmen der Arbeiterklasse und rempelt munter gegen Kollegen, die ihre Bands reformieren.
Auf eines kann man sich bei Paul Weller immer verlassen: Die Frisur sieht prinzipiell albern aus. Auch am Sonntag im Huxley’s hängen die grauen Fransen hinten lang, vorn zum Pony und um die Ohren zur Koteletten-Imitation zurechtgeschnitten. Rätselhafterweise wirkt er dennoch cool wie einst. Vermutlich ist es das Mod-Gen, dessen proletarische Eleganz sich nicht allein in modischem Bewusstsein und Savile-Row-Nadelstreifen offenbart, wie sie Weller abseits der Bühne gerne trägt, sondern vor allem die selbstbewusste Haltung prägt – wenn man nur ordentlich Zähne zeigt, kommt man mit allem durch.
Er ist bemerkenswert gut in die Mittfünfziger hineingealtert, das Gesicht schmal und kantig, die Figur drahtig, und die Bauchwölbung unter dem langärmligen T-Shirt könnten auch Muskeln sein. Während man sich noch fragt, ob er das Oberteil nicht schon wie ein abergläubischer Sportler beim letzten Berliner Konzert 2008 getragen hat, lehnt er sich mit der Band schon lässig ins Aufwärmprogramm von „Up the Dosage“, einer Nummer seines vorletzten Albums von 2010.
Preisgekrönte Ikone
Idiomatisch zielt diese Erhöhung der Dosis eigentlich darauf, den Kandidaten ruhigzustellen. Hier geht es wohl eher darum, den Adrenalinzufluss zu aktivieren und mit ein paar schnellen Nummern das Terrain abzustecken, mit dem Motown-Schuu-Hup von „That Dangerous Age“ und mit „Start!“, dem Klassiker seiner Neo-Mod-Band The Jam, den er verschwenderisch früh bringt. Kurz darauf kommt noch „Cost of Loving“ seiner Achtziger-Band Style Council, und so hat man – kompakter Sixtiesrock mit Soulanschub – die gesamte Weller-Welt seit 1976, wie man sagt, in einer Nussschale.
Das war’s dann allerdings auch schon im Wesentlichen mit den historischen Verweisen. Den Großteil des restlichen Konzerts bestreitet er mit jüngerem Material oder Sachen, die er in deren Sinne aufbretzelt. Denn anders als sein Ruf des ewigen Mods suggeriert, lernt Weller ständig ein paar neue Tricks. Im Huxley’s liegt natürlich, da darf man sich nichts vormachen, eine gewisse Nostalgie über dem Auftritt, im Publikum überwiegen Leute, die Weller vermutlich schon aus seinen Bandzeiten kennen.
In Großbritannien liebt man ihn dagegen mit immer neuer Frische als Ikone. Gefühlt wird er ungefähr jedes zweite Jahr für einen der größeren Preise wenigstens nominiert – dieses Jahr ist es der Q-Award – und der NME kürte ihn 2010 zum „Godlike Genius“.
Elder Statesmen der Arbeiterklasse
Weller gibt dazu souverän einen Elder Statesmen der Arbeiterklasse, rempelt munter gegen Kollegen, die ihre Bands reformieren, mault über „peinliche TV-Talentshows“ und verbot 2008 David Cameron, seine Musik gut zu finden. Schon im Jahr zuvor hatte er einen Orden des Empires mit der eleganten Begründung abgelehnt, das sei irgendwie nichts für ihn.
Dieses Jahr erschien das Album „Sonik Kicks“, auf dem er psychedelische Sounds und – das germanisierende K deutet es an – Krautrock-Tuckern entdeckt hat. Man muss das ziemlich unterhaltsame Werk nicht gleich experimentell finden, aber es bringt einen neuen, unerwarteten Drall ins Konzert. Auch eher klassische Songwriter-Songs raut er nun aggressiv auf, unter der letzten Single „Dragonfly“ liegt ein monotoner Beat wie aus David Bowies Berliner Zeit, und immer wieder gönnt er seiner Band schweifende Instrumentalpassagen in vage bluesrockigen Songs bis hin zu einem psychdedelisch lauten Solo in „Foot on the Mountain“, das seltsam an den frühen Neil Young erinnert.
Die Soulvorliebe, sonst vor allem erkennbar in dynamischen Basslines, wandert derweil ins Rockgosplige der Frühsiebziger, in ein düster transponiertes Cover von Marvin Gayes „How Sweet It Is“ oder eine nach Art der Reha-Phase Eric Claptons hochgerockte Version von „Porcelain Gods“.
Musikalisch bringt einen das logischerweise nicht viel weiter. Aber wie sich Weller in diesem schönen Konzert einen neuen derben Kick aus altem Stoff holt, klingt nicht nur sehr sympathisch und überraschend, sondern nimmt einen auch sauber mit. Und wer weiß, vielleicht traut er sich nächstes Mal auch an die Frisur.
(Berliner Zeitung)
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