Re: Lucinda Williams

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joshua-tree
Back from the Grave

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Richtig positiv:

Stefan Krulle
Spät entdeckt, aufregend Lucinda Williams verlässt gern mal die guten alten Country-Pfade und dreht auf

Karrieren wie die ihre waren schon immer eher selten und dürften inzwischen unmöglich geworden sein. Mit 25 debütierte Lucinda Williams als Recording Artist, doch ihr Album „Ramblin‘ On My Mind“ wurde eben solch ein Misserfolg wie die folgenden fünf Werke. Erst 1998, zwei Dekaden nach dem Erstling, gelang ihr mit „Car Wheels On A Gravel Road“ der Durchbruch. Das Album war ungefähr so schön wie die sechs voraus gegangenen, aber der Einsatz ihrer Single „Still I Long For Your Kiss“ in Robert Redfords Film „Der Pferdeflüsterer“ verschaffte der 1953 in Louisiana geborenen Künstlerin erstmals Gehör über die Szene der Country-Musiker hinaus.
Ein bisschen von der Tragik ihrer Historie trägt Lucinda Williams bis heute mit sich herum. Mit leichter Verspätung betrat sie am Dienstagabend die Bühne der Fabrik, um zunächst den Anschein zu erwecken, sich vor allem für Country Music zu begeistern. Für jene Sounds allerdings, bei denen man sagt, Country sei schon ziemlich schön, solange Country ein bisschen anders ist. Solange also Country eher nach Bob Dylan und Tom Petty als nach Nashvilles Grand Ol‘ Opry klingt.
Mit einer Stimme wie die eines Jungen, der sich über sein kaputt gegangenes Gokart ärgert, entfernte Lucinda Williams sich aber sowieso erstaunlich schnell von den gängigen Formaten und auch Klischees. Nach gerade einmal drei, vier halbwegs konventionell klingenden Songs redete die Sängerin sich Ballast von der geschundenen Seele und bemerkte in schwerem Südstaaten-Slang, sie fühle sich ja in Europa „viel besser als daheim, irgendwie verstanden und nicht ganz so eingeengt.“ Im Saal fand das ganz offenbar niemand so sonderlich verwunderlich. Was damit aber gemeint war, demonstrierte sie in den nächsten anderthalb Stunden. Zunächst brachte Williams ihre Begleiter auf Trab, bis aus der Country-Folk-Romantik veritabler Rock geworden war. Als dann die Kumpanen ungefähr so musizierten, als gelte es Neil Youngs Band Crazy Horse die Stirn zu bieten, fing Lucinda an zu singen, als sei sie die Dirne Lola, die oben von der Gallerie aus den nächsten Freier unten aus dem Saal zu kobern sucht, weil sie sich gern die Treppe ersparen möchte.
Dafür zitiert Lucinda Williams auf höchst phantasievolle Art aus der Rockgeschichte jener Tage, die sie noch als Noname verbringen musste. Mal intoniert sie kindliche Abzählreime in der Instrumentierung und vehementen Diktion, die Ende der Siebziger Patti Smith zur Ikone schmiedeten, dann wieder leitet sie ihre leicht vulgären und somit sexy Vokalisen mit Exzerpten aus Led Zeppelins „Heartbreaker“ ein. Immer lauter, immer proletenhafter und erotischer wird der Vortrag von Williams wie auch der ihrer Musiker, die Fans ihrer countryesken Werke sind schon ganz konstaniert.
Lucinda Williams ist zum Smalltalk aufgelegt, ganz anders als in all den Jahren zuvor. Sie redet über Gott und die Welt, auch über ihre Welt, die irgendwie nur selten intakt, aber auch ebenso selten langweilig ist. Wie mit der heißen Kartoffel im Südstaatenmund redet sie sich um Kopf und Kragen, hat aber stets einen Song auf Lager, der sie wieder errettet. Nach kurzer Pause bittet sie sich selbst, die Band und ihr Auditorium zu vier Zugaben, die uns so langsam auf normale Betriebs-Temperatur zurück bringen, aufs Midtempo, sozusagen, in dem sie sich ohnehin am wohlsten fühlt und das ihre schönsten Lieder umgibt. Warum diese Frau so spät zu Ruhm und Ehren kam, bleibt uns ein Rätsel. Dass sie es am Ende trotzdem schaffte, erscheint nach diesem denkwürdigen Abend als Selbstverständlichkeit. Für ihr nächstes Konzert in Hamburg reservieren wir uns Plätze vorne in der ersten Reihe. Und lernen mindestens drei Texte auswendig.

Quelle: Welt

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