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Aus dem Musikalischen Tagebuch:
Sokrates
Rio Reiser – Rio I.
IrrlichtEindruck?
Den tumb-naiven Spontirock von Ton, Steine, Scherben mag ich gar nicht.
Aber Rio Reiser hebt sich als Solokünstler davon wohltuend ab. Mit „Rio I.“ legt er ein starkes Debut vor, vor allem dank so großartiger Songs wie „Alles Lüge“, „Für immer und Dich”, „Junimond“ oder „König von Deutschland“ – das ist kompositorisch zwingend und textlich originell, ganz eigenständig und in den Balladen geradezu poetisch. Kaum jemand kleidet menschliche Empfindungen so schön in Worte wie Ralph Möbius, ohne dass es jemals peinlich ist. Kaum einer findet so passende Bilder.
(„Junimond“ finde ich in der Echt-Version noch etwas besser, weil Franz Plasa sie mit mehr Dynamik in der Band-Performance, Live-Feeling, Gitarre und Streichern geradezu sensationell arrangiert und etwas mehr Leben eingehaucht hat).
„Rio 1“ ist auch deshalb eine gelungene Platte, weil Produzent Udo Arndt Rio mit exzellenten Musikern in Verbindung gebracht hat – Curt Cress am Schlagzeug, Peter Weihe an der Gitarre, Ken Taylor am Bass. So muss ich nicht irgendwelchen Anfängern bei ihren Übungen an Instrumenten zuhören, sondern es wird nach allen Regeln der Kunst Musik gemacht. :lol:
Keine Höchstpunktzahl, weil nach durchgehend hochklassiger Seite 1 die Album-Rückseite die Brillanz nicht ganz halten kann. Iss aber auch schwer. ****
P.S. Bei Dir habe ich Rio Reiser noch gar nicht in der Playlist bemerkt – oder?
IrrlichtDanke für Deine Einschätzung, Kai!
Die meine: Ich liebe den mystischen und optimistischen Weltverbesserungskreuzug der Scherben über (fast) alles. Bei keiner anderen Band habe ich je wieder so viel Enthusiasmus und Lebenswille zu hören bekommen. „Unser Schiff heißt Hoffnung!“
Rio Reiser ist für mich bisweilen auch der wunderbarste, eigendste und feinste deutsche Texter. Mit schlichten Worten greift er Großes auf, erschafft mit einfachen Wortspielen Bilder, die sogleich jegliche Befürchtung, jeden Anflug von Unsicherheit, in die ewigen Jagdgründe befördert. Dennoch finde auch ich „Junimond“ von Echt gelungener. Diese warme Ballade passt zu Frank’s Stimme irgendwie fast besser.
Auf „Rio I“ kam mir das schlichtweg abhanden. Nach intensiver TSS-Behandlung könnte man meinen Möbius hätte einen Teil seiner Bissigkeit geopfert, um sich der breiten Masse mehr gefällig zu machen. So wirken viele Stellen etwas platt, schwach auf der Brust und letztlich einfach so viel schwächer, als bereits in unzähligen Stücken zuvor gehört. Zumal auch die Musik selbst weit mehr an der Oberfläche aufspielt, sich nicht wie „Wir sind im Licht“ oder „Durch die Wüste“ ganz tief zum Kern des Hörers arbeitet. Alles in allem sind dennoch ein paar nette Stücke vertreten, allen voran „Ich leb doch“, aber auch „Menschenfresser“ und „König von Deutschland“. Für mich jedoch nie wirklich mehr als gute 3 Sterne.
Habe mir Deine Bewertung angeschaut: Du kommst von TSS, und bestimmt ist die flächige 80er-Produktion heute klanglich überholt und nicht sehr einladend, aber die erste Seite kommt bei Dir zu schlecht weg. Gerade die Echt-Interpretation zeigt, wieviel Substanz die Stücke haben.
IrrlichtEs geht ja nicht nur um die Produktion (die aber auch!). „Rio I“ ist nach den Scherben-Großwerken („Wenn die Nacht am tiefsten…“ & „Keine Macht für niemand“) in seiner Ausrichtigung einfach ungleich kraftloser. Natürlich ist das textlich immernoch gut zu hören, aber „Für immer und Dich“ wöllte ich mir nienienie mehrmals am Tag anhören. Weil es schwächlich ist? Auch – aber hauptsächlich, da es nach der Hälfte zu langweilen beginnt und die Spannungskurve nicht kriegt. Da halt ich mich auch nach Jahren noch lieber an meiner Liebe fest…;-)
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„Weniger, aber besser.“ D. Rams