Re: Electric Light Orchestra (ELO) – Jeff Lynne

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livinthing68

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elo4evermattHier mein Bericht …

Wir schreiben den 14. September 2014.
Heute ist Jeff Lynne Tag. Ich bin in London, wo sich ab 11:30 die Pforten des Hyde Parks öffnen um etwa 50.000 Menschen den Zutritt zu einem Gelände zu ermöglichen, auf dessen Bühne gegen 19:30 Uhr der Mann auftritt, den ich als Hauptverantwortlichen meines heutigen Musikgeschmacks ausgemacht habe.
Ich war 5 als ich Jeff Lynne das erste mal singen hörte. Aus den Lautsprechern der Stereoanlage meines großen Bruders.
„Mr. Blue Sky“ hiess der Song und sollte fortan das Lied sein, das mich mein Leben lang begleiten würde. Durch dick und dünn. Das Lied und ich. Wir sind eine Einheit geworden. Es ist für mich der Inbegriff des perfekten Songs.
Die Schlangen vor den Eingängen sind enorm. Ich sehe Menschen aller Hautfarben, höre Sprachen aller Herren Länder. Männer, Frauen, Kinder, Greise, Lahme, alle sind dabei. Viele haben Campingstühle dabei, ja ganze Zelte. Die Sonne wärmt, das Wetter ist wechselhaft aber auch im späteren Verlauf des nachmittages wird es nur einmal regnen.
Nach etwa 45 Minuten bin ich auf dem Gelände. Die Menschen strömen nach vorne. Auch ich will mir später einen guten Platz vor der Bühne sichern, jedoch vorher ein wenig auf der Decke entspannen.
Der Geruch von Bratwurst steigt in meine Nase. Ja, ich bin in England. „German sausages“ gibt es. Das Stück im Hotdog Brötchen für 8 Pfund.
Das sind etwa 10,50 Euro. Oder 4 Kilogramm. Weder der eine noch der andere Vergleich kann mich zum Kauf bewegen.
Chrissie Hynde steht bereits auf der Bühne und spielt ihre größten Hits. „I stand by you“, unbestritten ein großartiger Song, löst bei mir zum ersten aber nicht letzten mal an diesem Tag dieses wohlig-warme Gefühl aus, das man bei der Gartenparty der besten Freunde nach dem 4. Bier empfindet.
„Don’t get me wrong“ läuft zwar jeden 3. Tag im Radio, klingt hier und jetzt aber frisch und unverbraucht.
Kacey Musgraves beeindruckt mit einer tollen Version von Nancy Sinatra’s „These boots are made for walking“. Danach soll es für mich etwas uninteressanter werden. Bellowhead spielen Musik, die auch in einem Irish Pub nach dem 6. Guinness nicht wirklich gut wird, jedoch dort eindeutig besser hin passt als auf diese Bühne.
Danach werden 45 Minuten Jazz, dargeboten durch Gregory Porter, der Auslöser sein, sich ein wenig umzusehen und das ein oder andere Bier zu holen oder wieder wegzubringen.
Interessant wird es wieder mit Erscheinen Billy Oceans, wohl aber hauptsächlich der Tatsache geschuldet, dass Jeff Lynne’s Auftritt nur noch knapp 2 Stunden entfernt ist. Die Menge schwooft und tanzt. „When the going gets tough“ wird zu einer Art „Evangelischer Kirchentags Hymne“, es hat etwas spirituelles. Billy im schneeweissen Anzug mit ebenso schneeweissen Rastalocken.
Auftritt Blondie. Und nun wird es Zeit sich langsam aufzumachen Richtung Bühne. Die Wartezeit war hart.
Debbie Harry ist über 70. Sie trägt ein Kostüm, das auch nach dem knapp einstündigen Auftritt noch nicht wirklich gut aussieht. Die Menge geht sehr gut ab. „Atomic“ und „Heart of glass“ gefallen. Tighte Band. Guter Sound.
Meine Hoffnung, dass ich nach Blondie noch weiter Richtung Bühne vordringen kann erfüllt sich, als einige entgegenkommende mir zurufen: „You are ELO fans, we are Blondie fans, so there“ und bereitwillig ihre Plätze abgaben.

Ich stehe günstig und schaue gebannt den Bühnenumbauten zu. Nach einer gefühlten Ewigkeit ist es dann angerichtet. Passend zu der Lightshow, die uns alle jeden Moment erwartet, ist es draussen nun auch dämmerig geworden, die Sonne geht schnell unter. Chris Evans betritt die Bühne und heizt die Menge an nur um sie dann abermals für etwa 3 Minuten vor Spannung platzen zu lassen. Es läuft Hot Chocolate’s „You sexy thing“ aus der Konserve. Und welch passenderes Intro kann es für diesen Mann geben? Das BBC Orchestra betritt die Bühne als erstes und stimmt seine Instrumente. Die Band folgt. Richard Tandy erhält den ersten Jubelsturm. Jeff kommt als letztes. Die Menge tobt bereits jetzt Ein thumbs-up, ein Winken und los geht’s mit „All over the world“. Von allen möglichen Songs, die als Opener infrage kommen würden, hatte ich an diesen als letztes gedacht. Aber es passt wie die Faust aufs Auge.
Die Videowand zeigt eine Animation mit Weltkugel, die Farben sind fantastisch. Der Sound absolut unglaublich. Nicht der übliche Soundbrei, bei dem die Bassdrum mit Hall alles überrollt.
Jeff’s Monitorbox für den Gesang scheint zu leise, er wirkt etwas irritiert, versingt sich, verwechselt Songpassagen. Teleprompter gibt es keine. Doch er kommt immer besser rein. Mit dem Ende des Songs bricht ein Jubel aus, der seinesgleichen sucht. Jeff tritt ehrfürchtig einige Schritte zurück, schaut in die Menge, ist schier überwältigt. „That’s fantastic, thank you very much, you’re wonderful!“ Gibt es einen demütigeren Musiker?!
Mein Herz rast. Ich habe das Gefühl zu zerbersten. Es intensiviert sich derart dass ich denke von dem Monster Emotion unzerkaut verschluckt zu werden. Ich versuche es weg zu lächeln. Noch nicht. Bitte noch nicht.
„And now we want to play „Evil Woman“ for you“. Intro Richard. Der Sound wird immer besser. Die Bühne wird immer größer. Mein Herz auch.
Auch hier noch eine kleine Textunsicherheit Jeffs, die sehr zu Richards Amusement ausfällt.
Ich werde mit „Ma ma belle“ und den rockigen Gitarren etwas in die Realität zurück geholt. Dann „Showdown“. Es ist einfach nur unglaublich, dieser Sound und dieses Licht. Das Orchester kratz über die Celli, die Band ist losgelöst, Jeff’s Stimme von einem anderen Stern. Ich muss an John Lennon denken, der einst aufgrund dieses Songs ELO als „Son of Beatles“ betitelte.
Eine gut gekleidete, recht ansehnliche Dame mit Violine betritt von links die Bühne. Ich weiss was das heisst. „Livin Thing“ ertönt. Die Menge rastet nun völlig aus. Die 3 Akkustikgitarren, die das Songgerüst bilden klingen fantastisch weich und warm. Meine Gänsehaut erreicht den Kopf.
„Now we’d like to do a slow one for you“. Ein gefühlvolles Intro zu „Strange Magic“ folgt. Jeff trifft die hohen Töne mühelos!
Es folgt ELO’s allererste Single „10538 Overture“ bei der das Orchester besonders glänzen kann. Hat Jeff auf diesem 1972 aufgenommen Song noch sehr stark nach Melodie gesucht, so hat er sie 2 Jahre später in „Can’t get it out of my head“ gefunden und unsterblich gemacht. Der Song ist das bisherige Hghlight. Ich merke, das Tränen in mir aufsteigen. Blicke auf die Videowand, Jeff in Großaufnahme, verschwommen irgendwie.
„Sweet talking woman“ reisst mich aus meiner Lethargie. Alle lächeln. Die Band schaut immer wieder zu Jeff. Ungläubig. Stehen wir wirklich hier? Ist das Jeff Lynne? Sind wir an diesem Abend ELO? Jeff hetzt durch „Turn to stone“. Der Moog wubbert gewaltig, mittlerweile ist es dunkel geworden.
Ich höre zwischen den einzelnen Songs aus allen Ecken Menschen rufen. „We love you, Jeff!“ Mr. Lynne wirkt völlig überwältigt, schaut ungläubig zu Richard Tandy als wollte er sagen „Hey, sollten wir nicht um diese Uhrzeit eher mit einem Glas Milch und einem Cookie im Sessel sitzen und die Füße hochlegen?!“
Mit meiner Zurückhaltung ist es nun endgültig vorbei. Jeff erzählt, dass der nun folgende Song vom Album Out of the Blue sei und immer schon einer seiner liebsten war, er ihn damals aber nicht richtig hinbekommen hätte. Ich weiss, dass hiermit nicht „Mr. Blue Sky“ gemeint ist. Dieser wird mit Sicherheit aus dramaturgischen Gründen zum Schluss folgen. Ich weiss, dass es um „Steppin‘ out“ geht. Ein Song, der mir selbst sicher schon immer genauso viel bedeutete wie Jeff selber.
Die Band intoniert ihn leise und vorsichtig. Die Emotion frisst mich auf. Ich schaue zu Boden. Ich sehe nichts. Schliesse die Augen. Sie brennen.
Dieser Moment. Jetzt. Ich bin so glücklich, denke ich. Bleib hier. 3 Minuten vergehen schnell.
In meinem Herzen klingt es nach, noch während Jeff einen Song „of my other group“ ankündigt und mit „Handle with care“ viele überraschte Gesichter hervorruft. Ich hänge immernoch in „Steppin out“ fest. Kneife mich in den Unterarm um wieder zu mir zu kommen. Es funktioniert.
„Everybody got somebody to lean on“ … der Gesang der 50.000 erinnert mich an „You’ll never walk alone“ im Stadion.
Jeff widmet den Song seinen verstorbenen Freunden George und Roy.
Ein Blick auf die Uhr sagt mir, dass nicht mehr viel Zeit bleibt. Was fehlt noch?! Was hat er vergessen? Ich schaue auf mein Handy. Auf mein Telefon. Natürlich: „Telephone Line“. Jeff lächelt als wollte er sagen „Lass mich nur machen, Kleiner. Wart ab!“
„Rock’n’Roll is king“ überrascht mich. Nun also doch wenigstens EIN Song aus den 80ern (sieht man einmal von „All over the world“ ab, was ich allerdings, nicht zuletzt aufgrund des Sounds, zu den 70ern zähle). Mehr davon, denke ich! Wo sind „Hold on tight“, „Secret Messages“ und „Calling America“? Wie wäre es mit „Here is the news“?! Dazwischen gabs noch „Don’t bring me down“. Leider ohne Gitarrensolo, welches mir bei den beiden ZOOM Konzerten von 2001 so sehr gefallen hatte.
Meine Tränen sind getrocknet. Es kommt wie es kommen muss: „Mr. Blue Sky“. Und wieder singen 50,000 so lauthals aus einer Kehle mit, dass Jeff Angst und Bange wird. Sein Solo, Richards Vocoder Parts, das Finale in dem nochmal richtig die Bremsen gelöst werden … alles ist surreal. Ich frage mich, ob ich wirklich gerade hier stehe oder doch alles nur träume. „Please turn me over“, der Song ist aus mit einem Knall. Der Hyde Park explodiert, die Band marschiert von der Bühne, lässt sich aber nicht lange bitten um anschliessend mit „Roll over Beethoven“ alle Vermutungen sie wären heute hergekommen um seichte Popsongs zu spielen hinweg zu rocken. Jeff und Richard wechseln sich mit Soli ab. Knapp 7 Minuten dauert dieser letzte Song, den ELO an diesem Abend im aus allen Nähten platzenden Hyde Park spielen.
Die Menge drängt nach draussen. Alles läuft jedoch sehr entspannt und friedlich ab.

Ich sitze auf dem Boden, starre in’s Leere. Ob ich nicht an einem solchen Tag, an dem sich ein Lebenstraum für mich erfüllt, etwas heiterer drein blicken müsste, werde ich gefragt. Ich habe keine Antwort darauf. Ich merke, wie glücklich ich gerade bin, wie erfüllt. Meine Gedanken wollen und können sich nicht von dem gerade erlebten lösen. Ich sitze noch eine Weiole da. Dann stehe ich auf, mache meine Jacke zu und entschwinde in die Londoner Nacht.

Danke für den tollen Bericht, mir fehlen die Worte !
You are a real true fan !;-)

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