Re: Electric Light Orchestra (ELO) – Jeff Lynne

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pelo_ponnes

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Albumbesprechung:

Wie angekündigt und schneller als gedacht nun die „Long Wave“-Besprechung.

Jeff Lynne – Long Wave (2012)

01. Einführung

Das Cover-Album erfreut sich gerade in den letzten Jahren wieder großer Beliebtheit, und das in den unterschiedlichsten Spielarten, bis hin zum kompletten Nachspielen von Alben anderer Künstler (man denke an die Flaming-Lips-Version von DSOTM, oder, was die Idee angeht, auch Becks Music-Club). Das Erstellen eines zwingenden Coveralbums (wohlgemerkt, hier steht nicht „swingenden“, liebe Robbie W-Fans ;-) ) ist zweifellos auch eine anspruchsvolle Disziplin. Als Jeff Lynne im Sommer 2012 aber bekanntgab, dass er als zweites Soloalbum (nach ewiger Veröffentlichungspause) demnächst ein reines Cover-Album herausbringe, da traf diese Meldung teilweise sogar auf Unverständnis bei den eigenen Fans. Die deutsche Musikpresse empfand es größtenteils sogar als überflüssig, dieses Projekt auch nur zu erwähnen, erschien es doch auf den ersten Blick positiv ausgedrückt als ein kleines Nebenprojekt oder drastischer formuliert sehr als das (dazu noch überkurze) Alibi-Album eines Songwriters, dem anscheinend nichts Neues mehr einfiel und der wohl hoffte, auf diesem Wege schnell ein bisschen Kasse zu machen. Im Gegensatz dazu bezeichnete der Künstler selbst aber das Album als eines seiner liebsten, für ihn persönlich wichtigsten Projekte, für das er sehr viel Zeit aufgewendet hat. Hauptziel vorliegender Besprechung ist es demnach, die Beweggründe für „Long Wave“ deutlich zu machen.

02. Albuminformationen

– VÖ: September/Oktober 2012 Frontiers Records

– Aufnahmestudios: Bungalow Palace LA (Jeffs eigenes Heimstudio)
– Produzent: Jeff Lynne
– Alle Songs geschrieben von Jeff Lynne außer Tracks 1-11 und Bonus-Tracks ;-)
– Aufnehmende Toningenieure: Steve Jay
– Abmischung: Jay und Lynne

03. Musiker und Mitwirkende

Fast alles wurde von Jeff Lynne im Alleingang eingespielt (Gesang, Gitarren, Piano, Bass, Schlagwerk, Keyboards, Vibraphon). Ein paar Gastbeiträge gibt es aber dann doch: Der von „Zoom“ und Co bekannte Marc Mann steuert „Strings“ (Samples?) bei und Steve Jay erhält Credits für Shakers (diverse perkussive Instrumente)und Tambourine.

04. Albumentstehung und Aufnahmetechnik

„Long Wave“ ist als Teilprojekt eines Gesamtpakets zu sehen, dass aus einem ELO-Best-Of, einem Cover-Album (Long Wave eben) und einem Album mit Eigenkompositionen (noch nicht veröffentlicht, aber schon weit gediehen) besteht und vor etwa 2008/2009 seinen Anfang nahm. Sechs Tage die Woche arbeitete Lynne mit seinen Helfern parallel und manchmal gar simultan an den drei Alben (wobei er eine riesige Zahl von Stücken aufnahm). Allerdings trug Jeff Lynne ähnlich wie bei „Mr. Blue Sky“ den Gedanken an ein solches umfassendes Projekt schon seit vielen Jahren mit sich herum, nachdem er mit seinen Interpretationen von SEPTEMBER SONG und STORMY WEATHER auf „Armchair Theatre“ (1990) wohl auf den Geschmack gekommen war. Ein richtiger Vorreiter war dann im September 2011 Jeffs Beitrag WORDS OF LOVE zum Buddy-Holly-Tribute-Album „Listen To Me“, das vom renommierten Musikproduzenten und Musikmanager Peter Asher koordiniert worden war.
Trotz der tendenziellen Rückwärtsgewandtheit sah das „Long Wave“-Konzept keineswegs eine Abkehr von den zuletzt präferierten produktionstechnischen Leitbildern vor (genauer nachzulesen in der „Mr Blue Sky“-Albumbesprechung). Vielmehr wurde in den neuen digitalen Möglichkeiten das Potential erkannt, die Klangarchitektur der altmodischen Musik in einer überhöhten, romantisierenden Form neu zu errichten. Eine gewisse Anpassung an das spezifische Projekt fand indes sehr wohl statt, indem vermehrt alte Technik und Equipment eingesetzt wurde, während die Weiterverarbeitung in Pro Tools andererseits ein wenig dezenter erfolgte. Um den Eindruck der guten alten Zeit entstehen zu lassen, konnte gerade auch die Raumklanginfrastruktur des Bungalow Palace gezielt genutzt werden, indem noch stärker als ohnehin schon üblich „die Dinge ein bisschen weiter weg mikrofoniert“ wurden. Besonders zentral wurde diese Devise bei der Einspielung der Schlagzeugparts, bei der fast komplett auf nahe Mikrofone verzichtet wurde, aber auch sonst dafür Sorge getragen wurde, dass der resultierende Klang demjenigen der alten Tage nahekam. Der Meister verriet, dass in dieser Hinsicht sein Gretsch-Schlagzeug gute Dienste leiste und er dazu häufig noch eine alte Ludwig-Basstrommel einsetze.

05.Konzept, Genre, Klangbild

Die Auswahl der Coversongs erfolgte nicht willkürlich, sondern ist eingebettet in ein Konzept, das in allen Bereichen inklusive Sound (Leitbild altmodischer Radiosound), Coverartwork (Birmingham der Sechziger) und Albumlänge (Bewusste Entscheidung: typische Länge früher Alben, Lynne hat mehr als doppelt so viele Stücke gecovert) als Leitlinie dient: Der angestrebten Kollektion alter Klassiker liegt sehr stark Lynnes Wunsch zugrunde, im Nachhinein eine eigene Version eines Popalbums der frühen Sechziger zu liefern, einer Zeit also, in der Jeff selbst noch keine Plattenaufnahmen gemacht hatte. Auf einer weiteren Ebene war es wohl ein Anliegen, den tiefen Spalt, der damals scheinbar zwischen den Musikvorlieben von Vater und Sohn klaffte, zu überwinden. So bestand der größte Reiz wohl darin, gerade auch jene Songs des Vaters, die in ihrem ursprünglichen Arrangement so etwas wie der Gegenentwurf der auf Simplizität abzielenden Popwelt der Jahre um 1960 darstellten, letztlich so umzudeuten, dass sie sich rückblickend doch noch in den eigenen musikalischen Kosmos von damals integrieren lassen.
Logischerweise waren es vor allem die ursprünglich nicht dem Pop-Bereich zugehörigen Klassiker, die die größte Mühe bereiteten. Am Songskelett, den Akkordfolgen und den Worten der Originale wollte der Nostalgiker zwar wenig rütteln (allenfalls mal einen Akkord hinzufügen). Sein Ziel musste es aber sein, die Stücke von ihren übergroßen Arrangements zu befreien und in ein vereinfachtes, Sixties-Pop-affines Schema einzupassen. Um sich die essentiellen Bestandteile anzueignen, „saß ich einfach da und spielte einen Gitarrenpart; ich hörte mir das Ganze wohl hundert Mal an und fokussierte mich auf die Elemente, die ich lernen musste.“ Bei den frühen Popsongs, die in die Auswahl gelangten, war die grundsätzliche Art des Arrangements weniger das Problem. Hier lief die Behandlung in der Regel darauf hinaus, die verschiedenen Interpretationen, die davon auf iTunes kursierten, miteinander zu vergleichen und, unter Zugabe eigener typischer Zutaten, ein Amalgam aus ihren jeweils besten Bestandteilen anzurühren.
Im Vergleich zu ELO-Alben wirkt „Long Wave“ trotz Hinzufügen einiger ELO-Elemente wie zum Beispiel der Streichersamples bzgl. des Arrangements reduzierter und stellt den Gesang und Harmonien sehr stark in den Mittelpunkt. Das Rock-Element blitzt nur selten, etwa bei Mercy Mercy und Let It Rock, auf. Vorherrschend sind Balladen und geradlinige, romantische bis emotionale Popsongs. Beim Schlagzeugspiel weicht Lynne häufig von seinem patentierten ELO-Muster ab und bietet ein größeres Spektrum an Spieltechniken.

06.Die Songs (wird noch genauer ausgeführt)

She
http://www.youtube.com/watch?v=jpU1AgVtgVM
If I Loved You
http://www.youtube.com/watch?v=M9WvPr1pND0
So Sad
Mercy Mercy
Running Scared
Bewitched, Bothered And Bewildered
Smile
At Last
http://www.youtube.com/watch?v=HmaO4sFub8I
Love Is A Many Splendored Thing
http://www.youtube.com/watch?v=bG1GiOTC75M
Let It Rock
Beyond the Sea
http://www.youtube.com/watch?v=cs_xeUk_N3U

Bonusstücke, B-Seiten,Outtakes etc

Songs

Jody (Bonus Japan-CD)
http://www.youtube.com/watch?v=7_nHuMzM0QU

„Down The Lane And Far Way“,
ein Pre-Release-Sampler aus 2011, zeigt, dass Jeff Lynne doppelt so viele Songs im Kasten hatte und die Beschränkung bewusst gewählt war. Die zusätzlichen Coverversionen auf dem Sampler waren THE SUNSHINE OF YOUR SMILE, STARDUST, SALLY, ALL ALONE AM I, SLEEPWALK, SOME ENCHANTED EVENING, NIGHT AND DAY, MY PRAYER, GOODBYE MY LOVE, YOU’LL NEVER WALK ALONE und SATURDAY NIGHT AT THE DUCK POND.

Words Of Love (Buddy Holly-Tribute-Album Listen To Me)
http://www.youtube.com/watch?v=yw4F8ozOzHY
Claire De Lune (Film American Hustle)
2011gab es auch die Meldung, dass Lynne einen Song zu einem Paul-Mc-Cartney-Tribute-Album beisteuern werde.

07. Würdigung und Fazit

Aus Sicht von Jeff Lynne war „Long Wave“ „eine radikal persönliche, radikal egoistische Scheibe“, die „ausschließlich altes Zeug präsentiert, das vermutlich nur noch mir so nahe ist.“ Dass das Projekt gerade 2012 erschien, hatte natürlich auch marketingtechnische Gründe. Schon 2008 etwa hatte der damals noch sehr eng mit Jeff Lynnes Beraterstab in Kontakt stehende ELO-Archivator Rob Caiger von der Notwendigkeit der Ausarbeitung einer langfristigen Strategie zur Wiedereinführung des lange aus der Öffentlichkeit verschwundenen Künstlers Jeff Lynne berichtet, zu der neben einem Best Of zum Beispiel auch ein Album mit Standards gehören könnte. Mit einem Album voller Cover-Versionen (gerade in GB sehr beliebt) in Kombination mit „Mr Blue Sky“ konnte man gut bei Plattenfirmen hausieren gehen und für ein schönes Antrittsgeschenk sorgen. Bei entsprechendem Erfolg wäre der Weg bereitet für weitere Veröffentlichungen.

Tatsächlich sollte sich die geballte Medienpräsenz im Vereinigten Königreich (auf das man sich als Lehre aus dem „Zoom“-Desaster bewusst konzentrierte) auszahlen, denn es konnte so etwas wie ein kleiner Coup gelandet werden: Am 14. Oktober standen gleich drei Alben des Künstlers in den Top 10 der UK-Charts: „Long Wave“ (Platz 7), „Mr. Blue Sky“ (8) und, Sonys alte ELO-Best-Of „All Over The World“ (10). Überdies bedeutete es Platz 1 und 2 in den UK-Independent-Charts. Was für eine Rückkehr!

Bei all diesem Abheben auf marketingtechnische Belange darf zum Abschluss eine Würdigung der künstlerischen Bedeutung nicht fehlen. Die Erkundung der eigenen Wurzeln war für Jeff nicht nur befreiend, sondern ließ ihn sowohl in kompositorischer als auch musikalischer Hinsicht weiter wachsen. Jeff wurde gesanglich und instrumententechnisch zu Höchstleistungen angetrieben. Ebenso bereits herausgestellt wurden die hohen Anforderungen an seine Arrangierkunst. Schließlich förderte das meist praktizierte Freilegen der Songstrukturen erstaunliche Erkenntnisse für das eigene Songwriting zutage, insbesondere was sein besonderes Interesse an Akkordstrukturen anbelangt. Es war wie ein kleiner Auffrischungskurs, denn Lynne erkannte auch, dass viele seiner besten ELO-Songs wie Livin Thing oder auch All Over The World dadurch zu etwas Besonderem wurden, weil er dabei immer etwas abwich von den typischen Akkordfolgen und den ein oder anderen seltsamen Akkordwechsel einbaute (unterbewusst beeinflusst durch die musikalische Dauerbeschallung seitens des Vaters mit den alten Meistern in der Jugend). Sollte es zuletzt beim eigenen Songwriting zu so etwas wie Routine und Plateaubildung gekommen sein, so kamen nun wieder neue Impulse. In dieser Weise standen die Cover-Versionen letztlich auch nicht neuen Eigenkompositionen nicht im Wege, sondern wirkten sogar als Katalysator.

QUELLEN
Ich habe so ziemlich jedes aktuelle Radio-Interview und Magazin-Interview mit Jeff ausgewertet. Für die technischen Informationen sind vor allem das Musicradar-Interview, der BillboardQ&A, Mix Magazine sowie die Unterhaltung am 29.Oktober mit Jim Ladd wichtig.

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