Re: Electric Light Orchestra (ELO) – Jeff Lynne

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pelo_ponnes

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Electric Light Orchestra (ELO) u.a. – Xanadu (1980)

Abgesehen davon, dass ich die „Time“-Rezension überarbeiten will, will ich bald auch mal im Rahmen von ELO Related das Harrison-Album „Cloud Nine“ aus der Perspektive des Produzenten vorstellen, zumal hier nachwievor einige falsche Vorstellungen kursieren und in der Musikpresse immer wieder auftauchen. Gleiches gilt für „Xanadu“, das oft als Beispiel für ELOs Abstieg angeführt wird, ohne dass die Schreiber wissen, was wirklich dahinter steckte. Also im Folgenden der Versuch, dieses Projekt mal näher zu beleuchten.

1. Einführung

Mit „Xanadu“ versuchte sich Jeff Lynne erstmals im großen Stil an Filmmusik. Zwar entdeckten Filmeschaffende schon früh, dass ELOs Klangwelten sich sehr gut für die Untermalung von Visuellem eigneten, doch verwendeten sie bisher ausschließlich bereits veröffentlichtes Material der Band. Jeff Lynne hätte allerdings nur allzu gerne die Musik zu einem Blockbuster komponiert. Tatsächlich hatte der Birminghamer die Möglichkeit gehabt, die Musik für das vielfach ausgezeichnete amerikanisch-britische Drama Midnight Express (1978, deutscher Titel 12 Uhr nachts) zu schreiben, doch er lehnte höflich ab und musste so mit ansehen, wie später Giorgio Moroder einen Oscar für die beste Filmmusik absahnte. Jeffs Problem war, dass er aufgrund der ständigen Tourneen Mitte der Siebziger einfach zu wenig Zeit für solche Nebenprojekte hatte. 1979, nach Veröffentlichung von „Discovery“, hatte Jeff Lynne nun endlich Zeit, da erstmals seit Ewigkeiten keine Tournee zur Promotion des aktuellen Albums vorgesehen war. Trotzdem war der Longplayer enorm erfolgreich und ELO in aller Munde. Genau in dieser Phase erhielt der Soundbastler dann das Angebot als Songschreiber eines Teils der Musik für „Xanadu“.

2. Albuminformationen

– VÖ: August 1980 UK: Jet Jet LX 526/USA: MCA MCA 6100

„Xanadu“ besteht zur Hälfte aus ELO- und Olivia-Newton-John-Tracks. Für die ELO-Songs (einschließlich Titelsong) gilt:

– Aufnahmestudios: Musicland München
– Produzent: Jeff Lynne
– Songs geschrieben von Jeff Lynne
– Aufnehmender Toningenieur: Mack

3. Musiker und Mitwirkende

Jeff Lynne: lv,bv, Elektrische Gitarren, akustische Gitarren, Synthesizers
Richard Tandy: Pianos, Synthesizers und alle anderen Tasteninstrumente
Bev Bevan: Schlagzeug, Perkussion
Kelly Groucutt: Bassgitarre und Hintergrundgesang

Obige Auflistung darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Album stark von Lynne und Tandy dominiert wurde. Die anderen Musiker kamen erst später hinzu (siehe unten). Es konnte aber auch vorkommen, dass Jeff selbst zur Bassgitarre etc griff, wenn ihm alles zu langsam ging. Als Gast übernimmt Olivia Newton John auf dem Titelstück den Hauptgesang. Daneben verwendete man wieder ein großes Streichorchester (dirigiert von Louis Clark) und einen Chor, der aber bei den Albumstücken selbst keine Rolle spielt (aber zu hören ist bei Sessionmaterial) (es sei denn, es wäre kein echter Chor).

4. Das Filmprojekt

Xanadu war ein Projekt des Regisseurs Robert Greenwald für die traditionsreichen Universal Studios im Los Angeles County und stellte sich in die Tradition solcher damals angesagten Musikfilme wie Saturday Night Fever (1977) oder Grease (1978). Mit letzterem teilte es den Versuch, einen Spagat zwischen Moderne und Tradition zu wagen, in diesem Falle die Verknüpfung von Rollerdisco-Bewegung, Fantasy und klassischen Broadway-Elementen der Big-Band-Ära der 40er-Jahre. Dieser Ansatz gewann noch zusätzlich an Eigendynamik, als das Projekt immer größere Dimensionen annahm und man neben dem Star des modernen Popmusicals, Olivia Newton John (Sängerin und Schauspielerin, die mit John Travolta in Grease gespielt hatte), keinen Geringeren als Schauspieler und Tänzer Gene Kelly, neben Fred Astaire wohl die Ikone des klassischen Hollywood-Musikfilms (z.B. Singin‘ In The Rain), engagieren konnte (Er hatte sich in den Siebzigern eigentlich schon weitgehend aus dem Geschäft zurückgezogen). Die Rolle des jüngeren männlichen Hauptdarstellers hingegen ging an einen vergleichsweise unbekannten Schauspieler, Michael Beck, mit dem das Produktionsteam bei früheren Filmen bereits zusammengearbeitet hatte. Rund um diese drei Hauptcharaktere wurde dann die Story konzipiert, im Wesentlichen eine Liebesromanze zwischen Sonny Malone (Beck) und Kira (Newton-John), die in einem mit Hilfe des väterlichen Freundes und alternden Musikers Danny McGuire (Kelly) erschaffenen Rollerdisco-Traumtanzpalast namens Xanadu auf ihren Höhepunkt zurollt und ihren besonderen Reiz dadurch erhält, dass es sich bei Kira in Wahrheit um eine nur vorübergehend das irdische Dasein genießende Muse handelt.

5. Albumentstehung und Aufnahmetechnik

Eine Story, die mit dem Einbruch des Fantastischen in eine reale Welt spielte und die Magie von Träumen beschwor – diese Grundidee passte eigentlich sehr gut zur Musik von Jeff Lynne. Eine Beteiligung an dem Projekt musste Jeff Lynne deshalb sowohl als künstlerische Herausforderung als auch Erfolgsgarantie erscheinen. Während die Dreharbeiten Mitte September 1979 in Los Angeles anliefen, schrieb der Maestro (der sich dazu längere Zeit in LA aufhielt, wo er mittlerweile nach der Heirat mit Sandy eine Wohnung hatte) wohl bereits an Songs für das Musical und produzierte erste Demoaufnahmen.

Ursprünglich als Nebenprojekt mit Richard Tandy (und nicht als ELO-Album) geplant, mutierte das Ganze spätestens im November des Jahres 1979 zum neuen ELO-Unterfangen, als der Filmregisseur seine Unzufriedenheit mit den vorläufigen Ergebnissen äußerte und um Neuaufnahme der bisher bezüglich des Sounds reduzierter und ohne Streicher daherkommenden Aufnahmen mit den Mitgliedern des ELO bat. Ferner wurde Jeff Lynne von der zusätzlichen Aufgabe, auch den Score für den Film zu liefern, entbunden, welche nun Barry De Vorzon (bekannt für seinen Instrumentalhit von 1976, Nadia’s Theme) zufiel.
Jeff Lynne verbrachte deshalb einen Großteil der ersten drei Monate des Jahres 1980 damit, in den Münchner Musicland Studios mit seinen Kollegen weiter an den Backing Tracks für die „Xanadu“-Stücke zu feilen. Zur Aufnahme des Titelsongs wurde Olivia Newton John extra nach München eingeflogen. In der zweiten Märzhälfte 1980 kam sie für ein Wochenende zusammen mit ihrer persönlichen Assistentin.

Die Aufnahmetechnik dürfte sich nicht sehr von dem Overdubverfahren der Vorgängeralben unterschieden haben. Bei der Ausarbeitung der Streicherarrangements überließ er Louis Clark diesmal womöglich etwas mehr Freiraum als bisher. Bezüglich Arbeitstempo und Arbeitsschritten musste sich Jeff Lynne bei diesem Filmprojekt gehörig umstellen: „Xanadu ist eine völlig andere Erfahrung als ins Studio zu gehen und ein Album zu machen“, sinnierte der mittlerweile erfahrene Produzent noch während der Arbeiten am aktuellen Projekt. Im Gegensatz zu gewöhnlichen Studioaufnahmen, wo er sein eigener Herr sei und sich alle Zeit der Welt nehmen könne, müsse er sich momentan „völlig dem verschreiben, was auch immer [er] gerade aufnehme, und sagen ‚das ist es, hier ist das fertige Produkt, das ihr im Film benutzen könnt‘ “ Hinzu kam, dass es mehrfach Meetings gab, auf denen der Musiker den Leuten vom Film seine Demos vorzuspielen und mit den entsprechenden Szenen aus dem Film abzugleichen hatte und dass er viel stärker auf die Wünsche anderer Personenkreise Rücksicht nehmen musste als sonst. Ein weiterer Punkt war, dass die andere Hälfte des Soundtracks von John Farrar geschrieben wurde, der eher zu einfachen Popsongs tendierte, und beide Stile sich bis zu einem gewissen Grade annähern mussten, damit es stimmig wurde. Fast sechs Monate später als geplant und über drei Monate vor der Premiere des Films Xanadu im September fiel im Mai 1980 der Startschuss für eine Reihe von Vorabsingles aus dem Soundtrackalbum. Der Longplayer wurde schließlich im August veröffentlicht.

6. Genre, Konzept und Klangbild

Die klangliche Ästhetik des „Xanadu“-Zeitalters orientierte sich stark an dem Sound, zu dem Jeff Lynne mit „Discovery“ gefunden hatte und das zweifellos das ELO-Referenzalbum für die Filmemacher war. Viele bekannten Facetten dieser Ära werden bestätigt. Blubbernde und zirpende Synthesizer, vielschichtige, trickreiche Keyboard- und Soundeffekte, interessante Tonartwechsel sowie elektronisch bearbeitete Gesangsstimmen und Harmonien und der Einbau von Discoelementen und Discobeat. Den lange Zeit oft viel dominanter eingesetzten Streicherklängen kommt wirklich nur noch die durchaus einfallsreich umgesetzte Aufgabe zu, das Ganze abzurunden und Lücken im ohnehin dichten Klangdickicht auszufüllen. Im Unterschied zu „Discovery“ wird auf Chorpassagen verzichtet. Bezüglich der Songstrukturen fallen die „Xanadu“-Stücke noch eine Spur geradliniger und kürzer als die vom letzten Album aus. Im Gegensatz zum Vorgänger sind rockige Gitarren nun fast völlig verschwunden. Wenn man nach einer Stilbezeichnung für die Stücke sucht, so könnte man von Elektro-Pop oder, bezüglich der Atmosphäre, auch von Dream-Pop, sprechen. Die Art-Pop-Komponente von „Discovery“ ist hier nachwievor zu finden, denn auch bei den „Xanadu“-Songs finden sich bei Analyse der Backing Tracks sehr viele Raffinessen.

7. Die Songs (mit ELO)

01. I’m Alive
Up-Tempo-Nummer mit viel Keyboard-Zaubereien und einer Prise Disco. Zu den Feinheiten zählen etwas Morsing, Richard Tandys außergewöhniches Synthiintro und der ungewöhnliche Break und interessante Phasing-Effekte. Einiges deutete schon auf Twilight.
02. The Fall
Jeff Lynnes zweitliebster Song der Sessions nach dem Titelstück. Es bedient sich in etwas modifizierter Form des von TELEPHONE LINE bekannten Kunstgriffs, echobeladenen, wie durch einen Telefonhörer vernommenen Gesang in den Strophen in einen vielstimmigen, die Schlagzahl deutlich erhöhenden harmoniegetränkten Chorus überzuführen. Besondere Beachtung verdient auch die Discobasslinie, die sich im Verlauf des Songs hinzugesellt und das Stück auf seinen finalen Höhepunkt zutreibt.
http://www.youtube.com/watch?v=eACL81GlS98 (hier die Alternativversion)
03. Don’t Walk Away
Powerballade, bei der üppige Backing Vocals, variable Streichermotive und Keyboardlinien, die die Vorstellung von herabrieselndem Sternenstaub evozieren, eine träumerische Atmosphäre transportieren, in die eine von Jeff Lynnes besten gesanglichen Darbietungen überhaupt eingebettet ist: Deutlich angelehnt an die Balladen von „Discovery“, ist seine Stimme hier weitaus vordergründiger und direkter zu vernehmen als auf den anderen “Xanadu“-Kompositionen. Im Film leider völlig verschenkt durch Einbettung in Zeichentricksequenz.
04. All Over The World
Eine Art erhabener, Größe evozierender Gute-Laune-Feier-Song. Pumpender Bass und Falsettrefrain erinnern an das Discogenre. Exzellenter Satzgesang und Gitarrenakkordzaubereien auf der Gibson Les Paul und einige wortwitzige Textzeilen, bei denen Jeff Lynne in eine Auflistung einer Reihe von Großstädten auch seinen Heimatort Shard End hineinschmuggelt. Vocoder-Break im Mittelteil, peitschende, crashige Schlagzeugeinlagen. Im Film völlig deplatziert in einer albernen Glitzerland-Szene.
05. Xanadu
Die vereinnahmende Wirkung des – für ELO untypisch – ohne instrumentale Brücke auskommenden, ätherischen Disco-tauglichen Songs, welcher sich über einer raffinierten Piano-Akkordsequenz aufbaut und mit den einschmeichelnden, glockenklaren Leadvocals Olivia Newton-Johns garniert ist, lässt sich nicht leugnen.
http://www.youtube.com/watch?v=7m1UWSD-FaA
06. Drum Dreams (Film und B-Seite)
Dieses Stück liefert den Beweis, dass Lynne weiterhin darauf bedacht war, allzu limitierende Formate für seine Musik zu umgehen: Das mit einer ganzen Armada von Trommel- und Perkussionsklängen am Hörer vorbeimarschierende Instrumentalstück soll wohl die betörende Atmosphäre eines Karnevals imitieren.
http://www.youtube.com/watch?v=7w5k28-pN3c&feature=related
07. Xanadu Overture (nur Film, gekürzte Version)
http://www.youtube.com/watch?v=wnpDJCZhuK4 (hier alternative Version)

OUTTAKES

a) Songs

Es könnten noch einige komplett unbekannte Songs existieren, zumal ursprünglich als Soundtrackalbum gar an ein Doppelalbum gedacht war. Lynne bekundete zu Zoom-Zeiten einmal, dass es aus der „Discovery/Xanadu“-Ära noch einige Songs gebe, die er selbst aber als nicht so besonders toll erachte.

Rob Caiger erwähnte als ELO-Archivist auch einmal, dass es aus der Xanadu-Zeit noch Material gäbe. Auch aus der Session mit Olivia würde noch so einiges Interessantes existieren. Ob er damit Songs oder alternative Versionen von Xanadu meinte, ist unklar.

b) Alternative Versionen

Neben diversen gekürzten Versionen, auf die ich hier nicht gesondert einghe, gibt es 5.1. Mix-Versionen von der Xanadu-DVD. Die Abmischung der Filmversionen unterscheidet sich meiner Meinung nach bei allen ELO-Songs ein bisschen vom Album, aber bei einigen Stücken fällt es besonders auf bzw. es gibt weitere Unterschiede.

– I’m Alive Demo
http://www.youtube.com/watch?v=2VXpVuCcKsI&feature=related
– I’m Alive Backing Track (Fantreffen 2004)
– I’m Alive Filmversion (Längeres Intro)
– The Fall Demo
http://www.youtube.com/watch?v=eACL81GlS98
– Don’t Walk Away Filmversion (anderer Leadgesang)
– All Over The World Demo (Instrumental)
http://www.youtube.com/watch?v=zeA3XlYZTG8&feature=related
– Xanadu Demo
http://www.youtube.com/watch?v=gBzKDBUnlDE
– Xanadu Film Version (alternatives Ende)
– Xanadu Streicher Remix Film Version (andere Streicher, Space-Version)
– Xanadu Rough Mix (Fantreffen 2004)
– Xanadu 2000 (Flashback, 2000)
Komplette Neuaufnahme mit vielen rockigen Gitarren, Piano und kaum Keyboards. Jeff Lynne singt dieses Mal selbst, und das ganz bewusst mit kantiger, rauer Stimme. Es ging nicht darum, Olivias Version zu verdrängen, sondern eine alternative Rockversion anzubieten, um auch den Leuten, die Xanadu wegen der poppigen Sounds ablehnten, zu beweisen, was für ein guter Song Xanadu ist. De Facto ist es eines von Lynnes Lieblingsstücken überhaupt.
– Drum Dreams (38 Sekunden-Demo)
– Drum Dreams Alternative Mix (Fantreffen 2004)
Version, bei der Perkussion und Synthesizer mehr im Vordergrund sind.
– Xanadu Overture Alternative Version
Es gibt mehrere alternative Versionen. Eine davon ist diese hier (siehe auch oben)
– Xanadu Overture (Komplette Version mit Klavier-Intro)
Gespielt auf einigen Fantreffen.
– Drum Dreams/Xanadu (Special Disco Sampler)
– All Over The World/Last Train To London (Promo)

c) Sonstiges

– Drum Dreams Count (Fantreffen 2004)
Etwa 15 Sekunden hört man das Schlagzeug von Bev mit lauten Basstrommelschlägen.

8. Promotion, Fazit, Ausblick

Obwohl ELO selbst so gut wie gar nicht Werbung für das Soundtrack-Album machten, war das kein großes Problem, da das Ganze eingebunden war in eine der ersten umfassenden Corporate-Identity-Werbekampagnen der Popkulturgeschichte, zu der unter anderem eine eigene Fernsehdokumentation (The Making Of Xanadu), T-Shirts, Poster, Magazine, Comics und eine Modelinie gehörten. Sowohl die ausgekoppelten Singles als auch das Album Xanadu (Platz Eins in UK, BRD und 4 in USA) waren ein großer kommerzieller Erfolg. Mit dem Titelstück Xanadu gelang ELO auch ihre einzige Nummer Eins in den Singles-Hitparaden der großen Musikmärkte (hier England und Deutschland). Natürlich wurde das allzu gerne unterschlagen, da viele sich auf die Sängerin konzentrierten und vergaßen, dass es sich eigentlich um einen ELO-Track zusammen mit Olivia Newton-John handelte.

Trotz dieses kommerziellen Erfolgs muss man ELOs Beteiligung am Film Xanadu im Rückblick als ziemliches Eigentor für die Gruppe betrachten, da er in Amerika zu einem Karriereknick führte und allgemein einen Ansehensverlust bedeutete. Das hatte weniger mit der Qualität der abgelieferten Stücke zu tun als vielmehr mit dem Film selbst und dem damals im Vergleich zu heute noch viel deutlicher ausgeprägten Schubladendenken von Kritikern und Musikfans. Ganz entscheidend war, dass der begleitende Film ein unausgegorenes Konstrukt war und sich zu einem ziemlichen Flop entwickelte. Obwohl Lynne den Film nach eigenem Bekunden nie in ganzer Länge gesehen und ja das Drehbuch als solches nicht verbrochen hatte, passierte das, was immer in solchen Fällen passiert: Unfähig oder unwillig, zwischen Musik und Leinwand zu trennen, identifizierten die Leute ELO mit Xanadu. Die Oberflächlichkeit, der Kommerz und der hohe Kitschfaktor des Films wurden mit Jeff Lynnes Gruppe in Verbindung gebracht, ELO wurden zum Film und Jeff zum Sonny, der mit der Olivia tanzte. Es war nun ein leichtes Spiel für eine sehr stark unter dem Eindruck von Punk- und New-Wave-Revolution und dem Abebben der Discowelle stehende Kritikerschar, ihre Sicht der Dinge von ELO als einer seichten, ultrakommerziellen Popkapelle unter das Volk zu bringen. Die Sichtweise, dass Pop in Reinkultur nicht minderwertig ist, ließ sich damals noch viel schwerer als heute verteidigen. „Pop ist heutzutage zu einem schmutzigen Wort in der Industrie geworden“, beklagte Bev Bevan 1981 in einem Interview. Völlig zu Unrecht, wie er am Beispiel der Arrangements klarzumachen versuchte: „Manchmal verbringen wir mehrere Tage nur damit, einen bestimmten Keyboard-Sound hinzubekommen. Die Leute sind sich der Feinheiten gar nicht bewusst, die in all dies einfließen.“ Wollte man den Spieß umdrehen, könnte man also sagen, dass die Leute, die diesen Aspekt in der aktuellen Musik von Jeff Lynne übersahen, die eigentlich oberflächlichen Betrachter waren. Bevan plädierte jedenfalls dafür, ELO als Melodieband statt als Popgruppe anzusprechen, um in Zukunft nicht mehr in einen Topf geworfen zu werden mit den wahrhaft seichten Acts jener Ära, von denen es sicher viele gab.

Selbst in Bezug auf die Erwartungshaltung der eigenen langjährigen Fans, die ja auch von diesem Zeitgeist beeinflusst waren, war „Xanadu“ das völlig falsche Signal nach „Discovery“, das trotz seiner schrulligen Elemente wie den abgedrehten Intros und Chorgesängen von vielen schon als zu stromlinienförmig empfunden wurde. Lynne hatte den Sound zwar wiederum nur um Nuancen geändert, aber er hatte ihn so geändert, dass das Ergebnis Pop in Reinkultur war, wo doch ELO eigentlich in den letzten Jahren eher für eine ausgewogene Mischung aus Rockelementen und Popappeal gestanden hatten. Und dann ging man auch noch eine Liaison mit Olivia Newton John, der Ikone der Popkultur ein, die manche vielleicht sogar für ein neues ELO-Mitglied gehalten haben mögen.Vielleicht war es deshalb der größte Fehler von Jeff Lynne, den Wünschen der Filmgesellschaft nachzugeben und den Markennamen „ELO“ für das neue Produkt zuzulassen. Als Seitenprojekt unter eigenem Namen hätten sich die Leute frei von irgendwelchen Erwartungshaltungen einfach unbefangener der Musik genähert, und all die negativen Kritiken an Xanadu wären nicht so sehr auf ELO zurückgefallen.

9. Quellen

Interviews gab es damals von Jeff und ELO so gut wie keine. Zu den wenigen Ausnahmen zählt ein kurzes Gespräch Jeffs mit der Doncaster Free Press vom 17. April 1980. Zentral ist aber die TV-Dokumentation „The Making Of Xanadu“ von 1980. Einiges erfährt man auch noch in einem Bev Bevan Interview mit dem Hitparader vom März 1981. Hinzu kommen die üblichen INfos aus FTM-Magazinen und Newslettern. Eine sehr informative Internetseite ist Xanadu Preservation Society: http://www.donosdump.com/xanadu.html

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