Re: Electric Light Orchestra (ELO) – Jeff Lynne

#2580747  | PERMALINK

pelo_ponnes

Registriert seit: 13.04.2004

Beiträge: 2,797

The Move – Looking On (1970)

1. Hinführung

Es war im März 1969, nach Trevor Burtons Ausstieg, als Jeff Lynne, das Multitalent der Idle Race, von Roy Wood die erste Einladung unterbreitet bekam, sich den Move anzuschließen. Doch Jeff glaubte zu diesem Zeitpunkt noch daran, dass sich das Blatt zugunsten der Idle Race wenden könnte. Ihm war klar, dass er bei den Move erst einmal wieder ins zweite Glied rücken würde. Er mochte auch die alten Lieder der Move nicht so sehr, als dass er sie ständig spielen wollte. Und die Gefahr, Kabarett-Gigs über sich ergehen lassen zu müssen und sein Underground-Image zu verlieren, lungerte auch irgendwie um die Ecke. Der langen Rede kurzer Sinn: Er lehnte dankend ab, und statt seiner stieß erst einmal Rick Price (Bass, Gitarre, Gesang) zur Gruppe hinzu. Doch Roy Wood blieb am Ball und umwarb seinen Kumpanen weiter. Beim zweiten Angebot nach dem Ausstieg von Carl Wayne Anfang 1970 hatte er dann auch ein glücklicheres Händchen, denn es fiel genau in die Phase, in der die Idle Race ziemlich am Boden lagen und Jeff nicht mehr weiterwusste.

Aus der Perspektive von Jeff wiederum waren die Arbeiten am ersten gemeinsamen Move-Album eine völlig neue Erfahrung, da er erstmals nicht die alleinige Chefrolle einnahm. Konnte er auch in Zusammenarbeit mit einem zweiten kreativen Kopf wirkungsvoll arbeiten und zu Ergebnissen gelangen, die ihm selbst zusagten?

2. Allgemeine Albuminformationen
3. Musiker und Mitwirkende

Neben den beiden Hauptverantwortlichen Roy Wood und Jeff Lynne (Piano, Gitarre) spielten auch die anderen Bandmitglieder Bev Bevan (Schlagzeug) und Rick Price (Bass) Parts ein, wobei Jeff Lynne allerdings auf einem Track anstatt Bev Bevan den Drummer gab und Roy Wood auch immer wieder mal zum Bass griff. Interessanterweise erhielt Roadie John „Upsy“ Downing Credits für perkussive Einlagen. Ausserdem gab es einige Gastbeiträge: Die beiden Soulsängerinnen Doris Troy und P.P. Arnold kann man auf Feel Too Good hören. Beim „alten“ Track Brontosaurus spielt Matthew Fisher von Procol Harum das Piano.

4. Zielsetzungen, Albumentstehung und Aufnahmetechnik

Die neuen Move nach dem Carl-Wayne-Austritt, mit dem man zeitweise in die lukrative Kabarettszene abgedriftet war (was Roy Wood sehr gewurmt hatte), wollten sich mit dem neuen Album endgültig in dem Spannungsfeld zwischen Hardrock und progressiver Attitüde etablieren, welches Ende der Sechziger immer mehr zum Leitbild von Bands wurde, die für sich in Anspruch nahmen, eben keine leichtgewichtige Popgruppe zu sein. Trotz der rasanten Ausdifferenzierung verschiedener Spielarten der Rockmusik war es Ende der Sechzigerjahre nichts Unehrenhaftes und vielmehr sogar Ausdruck der beschriebenen progressiven Haltung, verschiedene Rockstile miteinander zu vermengen, und dies galt insbesondere für die Melange von Kulturrock- und Hardrockelementen. Wenn Ende des Jahrzehnts eine Polarisierung bestand und mit in die neue Dekade genommen wurde, dann war es wohl eher diejenige zwischen singleorientierten Popbands und Albumbands, die manchmal gar keine Singles mehr veröffentlichten.
Das zweite, noch ohne Jeff Lynne realisierte, im Februar des Jahres veröffentlichte und ziemlich erfolglose Album „Shazam“ verfügte zwar über viele interessante Songs und Ideen und deutete bereits einen Richtungswechsel und die härtere Gangart an, aber irgendwie war es (vielleicht wegen der vielen Liveaktivitäten) noch nicht zu Ende gedacht, und es fehlte trotz allen Kritikerlobs immer noch der rote Faden und jemand, der die unterschiedlichen Strömungen in Roy Woods Sachen zusammenführen konnte. Nicht nur Roy Wood, sondern auch die anderen Bandmitglieder waren zuversichtlich, dass man in dieser Hinsicht mit Jeff Lynne den richtigen Fang gemacht hatte. „Jeff war großartig für Roy, vor allem in den ersten Monaten,“ beurteilte Bassist Rick Price auch Jahrzehnte später noch die Situation damals. „Seine Ankunft schickte Roy in eine völlig andere Richtung.“ Vor allem konnte er Roy zu mehr ernsthafter Studiotüftelei motivieren.

Nachdem im März 1970 bereits Brontosaurus (Wood) erschienen war, die erste Single der Move, auf der Jeff Lynne mitwirkte und die später auch mit auf das Album kam, arbeitete man ab etwa Mai 1970 konzentriert am dritten Move-Longplayer. Aufgenommen wurde diesmal mit dem Toningenieur Roger Wake in den Londoner Philips Studios (Marble Arch, in einer Seitenstraße nahe Bayswater Street gelegen), einem Studiokomplex, in dem schon Dusty Springfield viele ihrer Hits aufgenommen hatte. Im Grunde war es eine eher kleine, tendenziell altmodisch erscheinende Lokalität, dennoch bot sie der Band gute Aufnahmebedingungen. Die Aufnahmen sollten sich bis in den August hinein ziehen, zumal man die Räumlichkeiten wegen eines besonderen Deals der Plattenfirma anscheinend oft nur an wenigen Tagen der Woche und vor allem am Sonntagnachmittag in Anspruch nehmen konnte.

Da man dem instrumentalen Hintergrund und perkussiven Elementen viel Aufmerksamkeit schenkte und viele Ebenen im Overdubverfahren übereinander schichtete, stellte sich so etwas wie eine Wall Of Sound nach dem Vorbild Phil Spectors ein. Zugute kam diesen Bemühungen neben den Erfahrungen vor allem Jeff Lynnes, der darüber hinaus zweifellos auch bestens mit der Bouncing-Down-Methode der Beatles vertraut war, freilich auch die recht fortschrittliche 8-Spur-B&O-Bandmaschine des Studios, auf der man mehrere Spuren zusammenmischen konnte und so am Ende in Wirklichkeit fünfzig Spuren zur Verfügung hatte.

Obwohl Wood und Lynne von einem Songschreiberduo weit entfernt waren, haben sie doch in anderer Hinsicht „bei ziemlich vielen Sachen zusammen gearbeitet“, so auch Roy Wood zur Arbeitsweise bei The Move, „doch wegen unserer urheberrechtlichen Situation erschien das jeweilige Stück gewöhnlich als Roy-Wood- oder Jeff-Lynne-Song auf der Plattenhülle.“ [vgl. UM] Konkret bedeutete das, dass jeder der beiden Songschreiber auch bei den Stücken des anderen eigene Ideen beisteuerte und ihn quasi im gesunden Wettbewerb zu Höchstleistungen antrieb. Jeff Lynne war wohl auch ein wichtiges Korrektiv für Wood, indem er ihn einerseits ermutigte, bestimmte Dinge durchzuziehen, aber andererseits auch ein Gefühl für das Machbare hatte und ihm helfen konnte, die überbordenden Einfälle in ein sinnvolles Konzept einzubinden. [vgl. Paytress. Anthology.] Jeff wusste mehr als Roy, wie man aus Einzelsongs ein zusammenhängendes Album zusammenschustern konnte. Und mit seiner Studiobesessenheit hat er wohl auch seinen Kumpel mit der Leidenschaft, immer noch ein bisschen mehr als nötig am Arrangement herumzufeilen, angesteckt.

5. Genre, Konzept und Klangbild

Einerseits fiel das fertige Album, welches fünf Songs aus der Feder von Roy Wood [Turkish Tram … wurde lange als von Bevan ausgegeben , erst bei Remasters korrigiert] und zwei von Jeff Lynne geschriebene enthielt, noch eklektischer aus als alles, was die Move bis dahin veröffentlicht hatten. Zwar war die Gruppe schon immer für diesen Ansatz bekannt gewesen, aber dieses Mal ließ man wirklich alle Hemmungen fallen und bediente sich bei einem enormen Spektrum von Stilen und Genres – ob Rock ‚n’ Roll, Boogie Woogie, Blues, Soul, Prog, Jazz oder Klassik, die Move bewegten sich wirklich auf alles zu, was nicht bei drei auf den Bäumen war. Auch die Palette des eingesetzten Instrumentariums sprengte dieses Mal alle Grenzen. Roy Woods Hobby war es mittlerweile, Herr über immer mehr Instrumente zu werden und dies ganz im Sinne der Ideologie des Progrocks auch auf Platte auszuleben. So spielte er für „Looking On“ neben Bass und Gitarre auch Sitar, Cello, Oboe und verschiedene Arten von Saxofonen und weitere Blasinstrumente ein.

Dass es gelang, all die verschiedenen Stile und Instrumente in einem großen Fluss und in einem zusammenhängenden Klangkostüm zu präsentieren, ist wohl die große Stärke des Albums im Vergleich zum Vorgängerwerk. Die effektivsten Bindemittel waren wohl die generelle Rifforientierung, das wuchtige Schlagzeugspiel, der vordergründige rumpelige Bass, das raue, oft fuzzige Gitarrenklangbild und die grundsätzlich ausufernden und in der Regel deutlich über das dreiminütige Single-Format hinausgehenden Songstrukturen. Jedes Stück war irgendwie freaky, aus sehr unterschiedlichen Einzelteilen zusammengefügt und mit eingeflochtenen, seltsam klingenden Instrumenten und Studiotricks durchsetzt. Immer bog irgendwann ein abgedrehtes, mit Effekten versehenes Solo um die Ecke. Mal war es ein Saxofonsolo, dann wieder durfte sich Bevan, der an diesem Album sicher seinen Spaß hatte, hemmungslos an den Drums austoben, und so weiter und so fort. Und die Einflüsse aus den verschiedenen Musikstilen wurden nicht streng auf die einzelnen Stücke verteilt, sondern einfach bunt zusammengewürfelt. Ein Stück mochte eine dominante Ausrichtung haben, doch irgendwie war das, was man hörte, oft Blues, Soul, Jazz und Rock in einem.

6. Die Songs

01. LOOKING ON (Wood)
Achtminütiger, aus einer noch längeren Liveversion hervorgegangener und im Grunde aus zwei Teilsongs zusammengesetzter Titeltrack des Albums.

02. TURKISH TRAM CONDUCTOR BLUES (Wood)
mit unglaublichen Saxofoneinlagen und akustischen Gitarrenbreaks durchsetzter Rockaboogie

03. WHAT (Lynne) mit seinen vielen interessanten Akkordwechseln, effektvollem Pianoeinsatz und Schlagzeugbreak ist ein Musterbeispiel für einen epischen Progtrack, in den zugleich Jeffs Gespür für Melodien und das Grandiose einfließen. Durch einen weiteren Kunstgriff, die Verwendung von geheimnisvollen abstrakten Lyrics, fügt er dem Ganzen gleichzeitig eine obskure Note hinzu.

04. WHEN ALICE COMES BACK TO THE FARM (Wood)
Ein mit elektrischem Piano und wieder Saxofonen arrangierter heavy Rock’n’Roller
Im Oktober 1970 die zweite (leider erfolglose) Single.

05. OPEN UP SAID THE WORLD AT THE DOOR (Lynne)
beginnt mit etwas Boogie- Piano und Roy Wood an der Oboe sowie einigen Jazztupfern. Danach entwickeln sich Saxofon- und Sitar-gegen-Piano und Gitarre-Duelle, während opernhafte, im Falsett vorgetragene, aufeinandergetürmte Vokalharmonien auf den Höhepunkt des Stückes in Form eines ausgedehnten Schlagzeugsolos inklusive erstaunlicher Studiomanipulationen zusteuern. Zum Abschluss wird das Stück über einem Bolero-Beat in eine bedrohlich-grandiose, gigantische Klangkulisse eingetaucht.

06. BRONTOSAURUS (Wood)
Rauer, energetischer Riffrocker.

07. FEEL TOO GOOD Wood)
Soulinfizierter, über neunminütiger Progepic mit Jeff als Drummer und den beiden Soulsängerinnen Doris Troy und P.P. Arnold als musikalischen Gästen.

08. (The Duke Of Edinburgh’s Lettuce)

Die Nummern von Jeff Lynne, die dazwischen eingeschoben werden, unterscheiden sich zwar von Woods Werken durch Jeffs etwas stärker ausgeprägten Hang zum Melodrama und zum Grandiosen und die andere Art des Gesangs, die sich doch deutlich von Roys rauem Shouterstil absetzt, fügen sich ansonsten aber äußerst gut in das allgemeine Klangbild ein.

Non-Album Stücke und Outtakes

Alternative Mixes und Versionen

7. Fazit und Ausblick

„Looking On“ wirkte mit seinen harten, progressiven und aufgetürmten Arrangements wie ein krasser Gegenentwurf zum reduzierten, sanften und den konzisen Popsong in den Mittelpunkt stellenden Sound des letzten Albums Jeff Lynnes mit den Idle Race. Man kann davon ausgehen, dass Roy Wood bei allem das letzte Wort hatte und keine Zweifel an seiner Chefrolle aufkommen ließ, doch, so Rick Price, „Jeff war nie der Underdog“. „Sie haben sich die Produktion geteilt. […] Von Beginn an war Jeff ganz klar zuständig für sein eigenes Material.“ [vgl. Mark Paytress. “Looking On.” Liner Notes Januar 2008. Looking On Remastered Edition, 2008.] Es spricht einfach für den Experimentierwillen und die Vielseitigkeit von Jeff Lynne, dass er sich nun erfolgreich an komplexeren, längeren und rockigeren Stücken versuchte, gewissermaßen wieder eine völlig andere Disziplin als beim Vorgängeralbum. Selbst bei der Art der Texte, die er schrieb, vollzog er eine völlige Kehrtwendung verglichen mit den eher poporientierten Weisheiten, die er noch 1969 bevorzugte.

Jeff Lynne hatte sich zweifellos zur zweiten kreativen Kraft bei den Move entwickelt. Vielleicht lag ihm die Band als solche nicht so am Herzen, beim Album aber legte er sich voll ins Zeug, auch wenn er das Ganze womöglich als Fingerübung für andere, zukünftige Projekte gesehen haben mag. Letztlich kann man durchaus von einer funktionierenden Teamleistung im Studio sprechen, die dafür gesorgt hat, dass am Ende dabei das wohl homogenste Move-Album heraussprang.

„Looking On“ stand für Roy Wood und Jeff Lynne allerdings zu sehr im Schatten anderer Projekte, die mittlerweile angelaufen waren, als dass sie oder ihre Plattenfirma Anstalten dazu gemacht hätten, es ordentlich zu promoten. Trotzdem mussten sie dankbar sein für die Erfahrungen, die sie bei den Aufnahmen gesammelt hatten bezüglich exotischer Instrumentierung und Wall Of Sound, da sie eine Blaupause waren für das, was sie in den Siebzigern jeweils auf die Beine stellen sollten. In jedem Fall waren die beiden Musikfreaks ob des geringen Erfolgs ihrer aktuellen Scheibe alles andere als frustriert, denn sie sahen bereits nach vorne und dort das (elektrische) Licht am Ende des Tunnels.

So, muss doch einiges umschreiben und passend machen für dieses Format, deswegen erst mal genug. Wird fortgeführt.

UPDATES
22.10.2011: Songs und Fazit ausformuliert, Ergänzungen bei Albumentstehung

--