Re: Electric Light Orchestra (ELO) – Jeff Lynne

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pelo_ponnes

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Idle Race – Idle Race(1969)

So, bevor es dann bald hoffentlich etwas zu Jeffs neuen Alben zu rezensieren geben wird und ein interessanter Artikel zu Secret Messages hier auftauchen wird :lol:, mache ich erst mal weiter mit dem längst nicht vollständigen Überblick über die alten Werke.

1. Hinführung

Das zweite Idle Race – Album war das erste von Jeff Lynne komplett selbst produzierte Album. Für eine Newcomerband war dies damals eine sehr ungewöhnliche Entscheidung der Plattenfirma, die zugleich wegweisend für Lynnes zukünftigen Karriereweg war. Das Album erschien in einem Jahr, in dem die musikalische Welt der Sechziger vollends im Umbruch begriffen war und völlig gegensätzliche Tendenzen wie Progrock und Back To The Roots und folkiger Pop das Spannungsfeld für Musikschaffende ausmachten.

2. Allgemeine Albuminformationen

– VÖ: November 1969 Liberty Records
– Studio: Trident Studios, London
– Aufnehmender Toningenieur: Robin Cable
– Produzent/Arrangements: Jeff Lynne
– Songs geschrieben von Jeff Lynne bis auf REminds Me Of You/Someone Knocking (Pritchard)
– Sleeve Design: Michael Hasted

3. Musiker und Mitwirkende

Die Band nahm in derselben Besetzung auf wie beim Debüt, also Jeff Lynne, Greg Masters, Dave Pritchard und Roger Spencer. Das Streicherarrangement für Going Home kam erneut von Cy Payne.
Als Gastmusiker trat Mike Batt in Erscheinung, welcher damals als Keyboarder für Liberty Records arbeitete. Er bediente die Tasten beim eigenwilligen Ziehharmonikaspiel der Gruppe auf Mr Crow.

Während der Aufnahmen hielt sich neben den Bandmitgliedern, einigen wenigen Gastmusikern und der Studiocrew übrigens oft noch ein weiterer Zeitgenosse in den Räumen auf: Marc Bolan, dessen Bekanntschaft die Band auf einem der Festivals, auf dem sie gespielt hatte, gemacht hatte und der später mit T.Rex zum Teeniesymbol aufsteigen sollte, hatte sich schwer beeindruckt gezeigt von den Performances der Idle Race und auch von ihrer Coverversion seines Stückes DEBORAH und war längst zu einem Vertrauten und Freund der Band geworden.

4. Albumentstehung und Aufnahmetechnik

Als Lynnes Gruppe sich im Frühjahr 1969 wieder ins Aufnahmestudio begab, um an neuen Stücken zu arbeiten, geschah dies zunächst unter Aufsicht des Produzenten Noel Walker, doch noch während der Arbeit an den ersten Stücken DAYS OF BROKEN ARROWS und WORN RED CARPET, welche im April 1969 als Single erschienen, zeigte sich, dass dieser der Band kaum weiterhelfen konnte, da Jeff Lynne vehement in die Produzentenrolle drängte.

Zwar wurde auch für das zweite Album teilweise anscheinend auch noch in den Advision Studios und anderen Studios aufgenommen, doch aus mehreren Gründen wurde das Gros des Aufnahmeprozesses in den Ende der Sechzigerjahre von den Brüdern Barry und Norman Sheffield im Londoner Stadtteil Soho eingerichteten Trident Studios abgewickelt: Die Möglichkeit zu den kostenlosen Wochenendsitzungen in den Advision Studios bestand nicht mehr, zumal auch die Toningenieure Offord und Chevin mehr oder weniger ihren Job dort verloren hatten. An ihre Stelle trat als federführender Toningenieur für die Idle Race nun ein gewisser Robin Cable. Ferner bot Trident gegenüber dem bisher konsultierten Studiokomplex den entscheidenden Vorteil einer für die damalige Zeit äußerst fortschrittlichen Studiotechnik, was sich nicht zuletzt im Vorhandensein einer Acht-Spurmaschine äußerte, während nahezu alle anderen renommierten Studios Englands inklusive der Abbey Road lediglich mit Vier-Spurmaschinen ausgerüstet waren. Die bessere Ausstattung der Trident Studios eröffnete den Idle Race einen größeren Spielraum im Hinblick auf die korrigierende Überspielung bestimmter Soundelemente und Overdubs, was damals ihrer Arbeitsweise entgegenkam.

Das Songmaterial kam erneut vorwiegend von Jeff Lynne, der allerdings durchaus seine Kollegen ermunterte, auch eigene Stücke beizusteuern, was zumindest bei Dave Pritchard zu einigen Ergebnissen führte. Obwohl dieses Mal auch innerhalb der Woche aufgenommen wurde und Liberty Records wohl einiges an Geld für Studiozeit vorschossen, dauerten die Aufnahmen wie schon beim Vorgänger länger als sechs Monate, ein für die damals übliche Praxis bei Plattenaufnahmen ziemlich langer Zeitraum. Nachdem bereits im Juli 1969 die Vorabsingle COME WITH ME/REMINDS ME OF YOU käuflich zu erwerben war, kam das Album schließlich im November 1969 auf den Markt.

5. Genre, Klangbild, Konzept

Eine revolutionäre Umwälzung des Idle Race – Sounds war das zweite Album zwar nicht, man kann allerdings sehr wohl von einer Neugewichtung der bereits auf dem Debüt vorhandenen integralen Bestandteile und damit einer Evolution des Bandsounds sprechen. Die Studiogimmicks und die exzentrischen Elemente wurden deutlich zurückgefahren. Wenn man denn schon nach einem Etikett für die stilistisch sehr vielfältig angelegten Lieder auf „Idle Race“ sucht, so handelte es sich am ehesten um an den Gruppen der Mitsechziger und insbesondere den Beatles geschulten melodieverliebten Pop mit Harmonien und Folkanleihen, der eher von Piano oder akustischer Gitarre als von treibenden E-Gitarren getragen wurde. Jeff Lynne bewies ein gutes Händchen für präzise, dichte Arrangements, kompakte Songstrukturen und wirkungsvolle Akkordfolgen. Auffällig ist auch der hohe Stellenwert, den der frischgebackene Produzent den Gesangsaufnahmen beimaß. Neben der Tatsache, dass sich auf dem Longplayer wirklich sehr viele verschiedene Spielarten wie Harmoniegesang, Falsettgesang, Sprechgesang oder effektbeladene Passagen finden, ist auch bemerkenswert, welche Liebe zum Detail Lynne bei der Intonation bestimmter Liedzeilen walten ließ. Bezüglich des Klangbilds hört sich im Vergleich zum Vorgänger alles etwas reduzierter und organischer an. Obwohl dies sicherlich zum Teil auch den veränderten Aufnahmebedingungen geschuldet war, wurde Jeff Lynne in Interviews damals nicht müde zu betonen, dass er sich ganz bewusst etwas von dem künstlichen, hochprofessionellen Studiozauber der „Birthday Party“ entfernt hatte und sich stärker an dem einfacheren Sound orientierte, den er auch zu Hause in seinem behelfsmäßigen Heimstudio herausholte.

6. Die Songs

Come With Me
Ein Song, der mit seinem natürlicheren, organischeren Klang, vielschichtigen Harmonien, der geradlinigen Struktur und den rasselnden Drums in eindringlicher Weise eine etwas veränderte Marschrichtung andeutete.

Sea Of Dreams
Ballade, von einer Akustikgitarre dominiert . Geschichte von einem einsamen Mädchen, welches sich in seiner Traumwelt in einen Seemann verliebt hat. Mündet in einem originellen Schlussteil, bestehend aus einem Meer aus Gitarren und endlosen Harmonien.
http://www.youtube.com/watch?v=DW6pful55ao
Going Home
melodie- und klavierbetonter Popsong rund um einen Charakter, der offensichtlich an einen früheren Ort zurückkehren will, wo er eine liebgewordene Person wiederzutreffen gedenkt. Die Nummer stellt gewissermaßen mit ihrem Streicherarrangement von Cy Payne eine geradlinigere, fokussiertere Weiterentwicklung von Songs wie THE LADY WHO SAID SHE COULD FLY dar und beeindruckt bei genauerem Hinhören ferner durch einige bemerkenswerte, um die Lyrics herumgewebte Gitarrenriffs.

Reminds Me Of You (Pritchard)
handelt vom Abbruch einer Beziehung handelt; der einfachere Songaufbau und das geradlinigere Arrangement sorgen für eine durchaus willkommene stilistische Abwechslung.

Mr Crow And Sir Norman zeigt mit seiner Volksfest-Atmosphäre und den vielen Produktionstricks besonders deutlich, dass Jeff Lynne die Herangehensweise des Vorgängeralbums dann doch nicht völlig aus den Augen verloren hatte. Der Song über einen Puppenspieler und seine Puppe wird mit Fistelstimmen, eingeblendetem Publikumsapplaus und Ziehharmonikaspiel wirkungsvoll in Szene gesetzt, wobei man gleich drei Leute benötigte, um dem letztgenannten Instrument die gewünschten Töne zu entlocken. Es ist symptomatisch für die Experimentierfreude der Band, dass man das eigentlich unbeabsichtigte, durch eine aufgehende Studiotür erzeugte Feedback einfach beibehielt.

Please No More Sad Songs
ist ein klassischer, balladesker Popsong mit aufsteigendem Gesang, feinen Gitarrensprengseln und einer mehr als erstaunlichen vokalen Brücke, deren entfernter, nachhallender Gesang im Kontrast steht zur intimeren Vortragsweise in den Strophen.
http://www.youtube.com/watch?v=u5mJb-L-zWI&feature=related
Girl At The Window
ein klimperndes Piano, eine zurückhaltend gespielte Akustikgitarre und ein clever zurückgemischtes Schlagzeug erzeugen die klangliche Kulisse, vor der Jeff Lynne zu einer klaren und direkten gesanglichen Darbietung ansetzt. Das Stück gewinnt ferner durch den interessanten Tempowechsel zwischen Strophe und Refrain.

Big Chief Wolly Bosher entführt in akustischer Form in die damals sehr beliebte Kinowelt des Wilden Westens. Zusammengehalten von sanft rollenden indianischen Trommeln und akzentuiert durch monumentalen, choralen Hintergrundgesang und einige seltsam klingende Soundeinwürfe wie beispielsweise eine Art Tröte und weitere Kostproben von Jeffs weinerlichem Violinengitarrensound, knüpft der Song thematisch an die originellen Texte des ersten Albums an. Präsentiert wird eine Art historischer Bericht von dem tapferen, aber letztlich erfolglosen Kampf der Indianer gegen die weißen Eindringlinge, welcher von Jeff teilweise schon sprechgesangartig intoniert wird (Der Song ist ein weiteres Beispiel für die schon vom Debüt bekannte indirekte Form von Sozialkritik.).
http://www.youtube.com/watch?v=pvA0zWavP6I
Someone Knocking (Pritchard)
Song, der von einem dahinrasenden Backingtrack dominiert wird, gegen den Dave ansingen muss, und ferner eine Gitarre mit Weltraumecho, einen prägnanten Bassriff und ein paar nette Blueseinlagen aufbietet.

A Better Life (The Weatherman Knows)
Bei diesem wieder langsameren Track zeigt sich besonders deutlich Jeff Lynnes Gespür für einprägsame Akkordfolgen, griffige Arrangements und melancholisch verträumte Stimmungen. Außerdem ist der Song eines der frühen Beispiele für Jeffs Affinität zum damals in der Popmusik noch jungen Stereoformat und darüber hinaus zur Räumlichkeit generell, indem sehr stark und originell mit nahen und fernen Klängen experimentiert wird.
http://www.youtube.com/watch?v=uxe8x85OVoY
Hurry Up John,
bezieht sich thematisch auf das Tourleben und einen Roadie der Idle Race und ist musikalisch mit dem schmetternden Schlagzeug, den treibenden, fast wie Dudelsäcke klingenden Gitarren, der satteren Soundproduktion und dem mehrstimmigen Gruppengesang der vielleicht rockigste Song auf einem ansonsten eher poporientierten Album ist.
http://www.youtube.com/watch?v=UyXHnTUiFHc

NON-ALBUM TRACKS
Single Days Of Broken Arrows/Worn Red Carpet
Die A-Seite DAYS OF BROKEN ARROWS war einer der innovativsten Songs seiner Zeit, welcher Elemente des harten Rocksounds der Move aufgriff, um sie in das eigene, von eingängigen Melodiebögen und harmonieträchtigem Gesang geprägten Soundkonstrukt zu integrieren. Das Stück kommt mit seinen treibenden Fuzzgitarren wesentlich geradliniger daher als alles vom ersten Album und knüpft eher an die rockige Richtung an, die die Band schon einmal mit der frühen Single IMPOSTORS OF LIFE’S MAGAZINE angedeutet hatte. Die B-Seite wiederum war ein solides, von Dave Pritchard geschriebenes und vorgetragenes Lied, dessen eigentliche Bedeutung aber wohl darin besteht, dass es das erste Stück war, bei dem die Produktion ausschließlich Jeff Lynne zugeschrieben wurde.
http://www.youtube.com/watch?v=NN8U5GdvrPo&feature=related

Alternative Versions und Outtakes
siehe Besprechung des ersten Albums und
Days Of The Broken Arrows Alt. Version (Compilation Back To The Story)
Morning – ein Song von Dave Morgan, den Idle Race aufgenommen haben, vielleicht noch mit Jeff Lynne. Soll auf zukünftigem BOxset erscheinen.

7. Fazit

In gewisser Weise reflektierten die beiden Idle Race – Alben bereits die zwei Herzen, die während Jeffs gesamter weiterer Karriere in seiner Brust schlagen und zu unterschiedlichen Phasen jeweils die Oberhand gewinnen sollten: der Hang zur grenzenlosen, überbordenden Studiobastelei einerseits und der völlig gegenläufige Wunsch nach Reduktion und organischem Klang andererseits. Und auch wenn er natürlich bei seinem Debüt als Produzent noch lange nicht sein gewaltiges, in ihm schlummerndes Potential ausschöpfen konnte und vielleicht auch den einen oder anderen Produktionsfehler beging, so meisterte er diese Herausforderung insgesamt doch in überzeugender Manier und lieferte eine feine Arbeit ab, die einiges für die Zukunft erwarten ließ.

Das zweite Album der Idle Race wurde wieder von kritischem Beifall überhäuft. Der angesehene Herausgeber von Disc & Music Echo, Ray Coleman, hatte gar einen Begleittext für das Album geschrieben. Es verkaufte sich über einen längeren Zeitraum betrachtet auch nicht so schlecht, trotzdem wurde es aber wieder keine Hitscheibe. Für die Band entwickelte sich das nun endgültig zu einem Trauma. Die Songs waren eingängig, und nachdem man die schrulligen Elemente reduziert hatte, schienen sie eigentlich wie gemacht für den Massenappeal. Warum klappte es also nicht?

Ein bisschen lag es vielleicht am Zeitgeist. In gewisser Weise waren die Idle Race zur falschen Zeit am richtigen Ort, denn während bei den meisten anderen Gruppen die Songs immer länger und produktionstechnisch aufwändiger wurden, hatte sich die Birminghamer Formation für den umgekehrten Weg entschieden (und bis zu einem gewissen Grad auch entscheiden müssen) und alles eine Nummer kleiner aufgezogen. Andererseits waren sie auch nicht wirklich allein mit dieser Kehrtwendung, gab es doch durchaus einige Bands aus dem psychedelischen Sektor – nicht zuletzt Pink Floyd – , die 1969 in der Hinwendung zum Einfacheren, Pastoralen und Folkigen einen modernen Weg sahen. Wahrscheinlich fehlte den Idle Race letzten Endes einfach ein trickreicher Manager. Ohne gute Promotion ging es eben nicht, und der junge Ray Williams befand sich als Manager eher noch in den Lehrjahren.

Quellen
Es ist sehr schwer, an Originalzeitungsartikel zu kommen, wenn man nicht gerade in England aufgewachsen ist. Angeblich gibt es ja viele Artikel aus dieser Zeit, aber selbst eine Nachfrage bei der Showdown-LIste führte für mich zu wenig Ergebnissen. Somit beziehe ich mich, abgesehen von einer Handvoll zeitgenössischer Rezensionen und dem Artikel „Why No Success For The Idle Race“ vor allem auf die Publikationen des Fanzines „Face The Music“: FTM 6/7 1989/1990 und die Interviewserie mit Idle Race FTM 16ff. 2010 gab Roger Ollie Spencer außerdem ein interessantes Interview für Retro Sellers-Webpage.

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