Re: Electric Light Orchestra (ELO) – Jeff Lynne

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pelo_ponnes

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Idle Race – The Birthday Party (1968)

Einführung
Dass Jeff Lynne schon vor ELO großartige und ja, von Kritikern und Musikerkollegen hochgelobte Musik machte, ist vielen gar nicht mehr bewusst.
Das erste richtige Studioalbum realisierte der junge Jeff Lynne bereits mit den Idle Race. Obwohl es in vielerlei Hinsicht einzigartig ist und für sich genommen schon ein herausragendes Werk darstellt, weist es schon auf viele Dinge hin, die später typisch für Jeffs Studioarbeiten wurden. Es war gewissermaßen sein Einstieg in die Welt der Studiozaubereien.
Was Jeff Lynne von vielen anderen jungen Musikern der aufkeimenden Beatmusikszene Birminghams in den frühen 60ern unterschied, war sein frühzeitig erwachtes Interesse an Sounds und Aufnahmetechniken. Als die Beatles 1966 mit „Revolver“ die Idee von Klangexperimenten im Studio endgültig salonfähig machten, stand der immer noch jugendliche Jeff Lynne als Prototyp eines Künstlers, der das Studio als Instrument nutzt, bereit und wartete auf seine Chance. Die Beatles wirkten als Katalysator, wichtig ist aber zu sehen, dass Jeff Lynne schon Anfang der 60er als Jugendlicher an Aufnahmetechniken interessiert war und nicht erst durch die Beatles dazu angeregt wurde. Er stellte sich bei Konzerten von Del Shannon oder Orbison immer schon die Frage, wie dieser oder jener Sound erzeugt wurde und warum alles anders klang als im Studio. Er begeisterte sich 1962 für Joe Meek und die Tornados (Telstar), der ja am Anfang dieser Entwicklung eines neuen Studioverständnisses/einer neuen Aufnahmeideologie stand. Und er richtete sich ein primitives „Studio“ zu Hause bei seinen Eltern im Vorraum ein, mit Plattenspielern, Tonbandgeräten, Instrumentarium, Verstärkern und später einem Bang&Olufson-Rekorder ein usw.

Im Folgenden versuche ich, die Band Idle Race, damals Lieblinge der Kritiker, und ihr Album „The Birthday Party“ den Interessierten näherzubringen

Allgemeine Albuminformationen

– VÖ: Oktober 1968 (UK) Liberty Records (Mono- und Stereoformate)
– Studio: Advision Studios, London
– Produziert und engineered von: Eddie Offord, Gerald Chevin und The Idle Race
– alle Songs geschrieben von Jeff Lynne außer Pie In The Sky (Dave Pritchard)

Cover

Die „Birthday Party“ kam in einem Klappcover, welches auf der Vorderseite eine Einladung zu einer Geburtstagsfeier der Idle Race zeigte. Auf der Innenseite wurde man Zeuge einer Party, bei der berühmte Politiker, BBC Radio 1 DJs, Leute von der Plattenfirma, Musikerkollegen wie Hank Marvin oder die Mitglieder der Move und Beatles sowie Bekannte und natürlich die Idle Race selbst (in jungen Jahren) mitfeierten. Dies war gewissermaßen eine weitere originelle Anwendung der Bildcollagetechnik, wie sie die Beatles bereits für ihr Album Sergeant Pepper angewandt hatten (in den Staaten, wo das Album einige Monate später erschien, verwendete man allerdings eine andere, surrealistische Collage mit Ballonen und ohne die ganzen Brummie-Referenzen).

Musiker und Mitwirkende

Die Idle Race waren eine typische vierköpfige Band der Sechziger mit Roger Spencer (Schlagzeug), Dave Pritchard (Rhythmusgitarre, Gesang), Greg Masters (Bass, Gesang) und Jeff Lynne (Gitarre, Gesang). Die Streicherarrangements bei einigen Songs stammen von Cy Payne. Ex-Nightrider Roy Wood hat entgegen der Aussagen in manchen Zeitungsartikeln bei keinem Song selbst mitgespielt (auch nicht auf der von ihm geschriebenen ersten Single Here We Go Round The Lemon Tree), wenn man den Bandmitgliedern Glauben schenkt. Bei Roger Spencer ist noch anzumerken, dass aus ihm später ein bekannter Komiker wurde. Er nennt sich nun Ollie Spencer.

Albumentstehung

Jeff Lynne wechselte im Frühjahr 1966 ins professionelle Musiklager. Er stieg bei der Birminghamer Band The Nightriders ein, die „bekannteste unbekannte Band“, in der bis Ende 1965 auch Roy Wood gespielt hatte. Letzterer half der Band, die sich nach einer erfolglosen Single Ende 1966 mittlerweile in Idle Race umbenannt hatte, auch zu neuerlichen Plattenaufnahmen, die dann letztlich zu den Sessions für „The Birthday Party“ wurden.
Wood, der mit den Move mittlerweile die ersten Hits gelandet und wichtige Beziehungen geknüpft hatte, wusste, dass die Londoner Advision Studios ihren jungen Studiotechnikern am Wochenende immer die Möglichkeit gaben, sich fortzubilden und neue Aufnahmetricks zu erlernen. Auf seinen Vorschlag hin kamen die Toningenieure Gerald Chevin und Eddie Offord, die mit den Move gearbeitet hatten und in dem Studio auf Teilzeitbasis angestellt waren, von London zum damaligen Mittelpunkt der Birminghamer Musikszene, dem Cedar Club, um sich die Idle Race anzuschauen. Nach einer überzeugenden Vorstellung unterbreiteten sie der Band das Angebot, mit ihnen als Produzenten jeweils am Wochenende einige Sachen aufzunehmen, da sie dann freien Zugang zu den Studios hätten. Somit fuhren die Bandmitglieder bald über einen längeren Zeitraum jedes Wochenende von Birmingham nach London, oft nachdem sie zuvor noch einen Gig in der Gegend rund um Birmingham gespielt hatten. Aufgenommen wurde dann meistens in der Nacht von Samstag auf Sonntag. Im Gegensatz zu anderen Newcomerbands konnten die Idle Race nach Herzenslust im Studio experimentieren und hatten unbegrenzte Studiozeit zur Verfügung. Das Aufnahmeverfahren war stark von der Idee der Klangbastelei geprägt, es ging nicht um die authentische Aufnahme der Live-Gitarrenrockband Idle Race, die ein völlig anderes Gesicht hatte.Im Laufe der Zeit war zu beobachten, wie Jeff Lynne sich mit zunehmender Erfahrung immer mehr zum Kopf der Idle Race aufschwang. Man traf sich in Jeffs Vorraum in Shard End, um Stücke zu schreiben. Zwar komponierte Dave Pritchard auch ein paar Songs, doch hauptsächlich war es Jeff, der der Band in der Regel ein selbstgemachtes Demo einer Songidee vorspielte. Mit wenigen Ausnahmen – etwa der spätere Idle Race – Song DAYS OF BROKEN ARROWS – hatte Jeff sehr klare Vorstellungen und war weitgehend festgelegt bezüglich der Ausführung. Im Studio selbst wurde der junge Musiker auch immer selbstbewusster und schlüpfte zunehmend in die Rolle eines Koproduzenten. Er konnte dabei viel von dem Produzenteam lernen: Nach Dave Pritchard war vor allem Eddie Offord, der später durch seine Arbeit mit der Progband Yes eine gewisse Berühmtheit erlangen sollte, schon damals ein herausragender Toningenieur: „Er zerschnitt oft Bandstücke mit einer Rasierklinge und stellte sie um oder fügte sie rückwärts ein, oder fügte sie in einen anderen Bandabschnitt ein. Wir lernten jede Menge solcher Sachen von ihm.“ (Gill, FTM. „How The Idle Race Was Won!“) Der Aufnahmeprozess dauerte über sechs Monate. Da es der Band, die zu Beginn ohne Manager und Plattenvertrag ins Studio eingezogen war, mittlerweile gelungen war, einen Deal mit der amerikanischen Plattenfirma LIberty Records (die gerade bemüht war, in England Fuß zu fassen) zu unterschreiben, folgten ab September 1967 erste Vorabsingles, die dann im Oktober 1968 schließlich in der VÖ des Albums gipfelten.

Konzept

Bei „The Birthday Party“ handelt es sich praktisch um den Prototyp eines Konzeptalbums. Sicher orientierte man sich bei der Suche nach einem gemeinsamen Rahmen für die Songs an „Sergeant Pepper“ (welches ja die Beatles ironischerweise gar nicht als Konzeptalbum sehen wollen/wollten) und fand diesen in der schon im Cover angedeuteten Showatmosphäre. Das Album vermittelt die Atmosphäre einer Konzerthallen-Varieteshow, welche dann mit Soundeffekten und Songs wie ON WITH THE SHOW auch noch zusätzlich unterstrichen wird. Im Gegensatz zu „Sergeant Pepper“ beschränkte sich das konzeptionelle Denken der Idle Race aber nicht nur auf den äußeren Rahmen, sondern mündete auch in einem übergreifenden lyrischen Konzept für das Album, das (fast) konsequent durchgezogen wird.
Denn bei genauerem Hinhören stellte man fest, dass irgendetwas faul war an dieser scheinbar so unbeschwerten Geburtstagspartystimmung. Im Grunde war das einigende Band der Platte die Beschäftigung mit den Außenseitern der Gesellschaft, also all den skurrilen Charakteren, Paradiesvögeln, Geisteskranken, unter Zwangsvorstellungen leidenden Menschen oder verwirrten Menschen, die irgendwie im Abseits stehen und zu deren Party niemand kommt, ähnlich wie beim (beinahe) Titelsong des Albums. Auf einer weiteren Ebene schwang dabei ferner unüberhörbar die damals recht angesagte Neigung zum typisch Britischen mit, die von Gruppen wie The Who und The Kinks und 1967 speziell auch den Syd Barrett-geführten Pink Floyd angeregt worden war. Auch in der Musik der Idle Race war diese tief in der englischen Tradition verwurzelte Grundhaltung, angefangen von den omnipräsenten Music Hall-Einflüssen über die Betonung des englischen Akzents in einigen Songs hin bis zur Beschäftigung mit typisch englischen Charakteren und Situationen überdeutlich. (Stellenweise kam auf der „Birthday Party“ trotz aller Skurrilität und Exzentrizität sogar eine Form von Sozialkritik zum Ausdruck, wenn auch in einer sehr indirekten Form und ohne den erhobenen Zeigefinger.)

Genre und Klangbild

In musikalischer Hinsicht ist das Debütalbum der Idle Race geprägt von der Klangästhetik des Psychedelic Rock, welcher ab 1965 von Amerika herüberschwappte, aber auf der Insel oft eine deutlich poppigere Ausrichtung erfuhr. Auf ihrem Plattenteller servierten Jeff Lynne und seine Kameraden dreiminütige, meist leicht schräge Popsongs auf der Höhe der Zeit, die zugleich vor Melodienreichtum nur so strotzten. Es war aber die Kombination mit den zum Teil bizarren oder zumindest ungewöhnlichen Texten, einfallsreichen Arrangements und im Überfluss vorhandenen innovativen Soundeffekten und kreativem Editing, die trotz der unüberhörbaren Bezüge zu zeitgenössischen britischen (The Move, Moody Blues, Kinks und Beatles und Pink Floyd), aber auch amerikanischen Gruppen (man beachte: Die Idle Race waren durch ihre Plattenfirma Liberty Records sozusagen an der Quelle für die neuesten Hits aus Amerika) eine höchst individuelle und so noch nie da gewesene Mixtur ergab. Die Kompositionen bestehen neben der Grundinstrumentation durch die Band mit Gitarren, Bass und Schlagzeug oftmals noch aus einigen zusätzlichen Ebenen wie einem Cello-Arrangement beim (beinahe) Titelsong, kleinem Streichorchester bei zwei Songs und natürlich den überbordenden Studiotricks und Soundeffekten. Besonders deutlich wird das bei Mrs Ward und den Gewehrfeuer/Granateneffekten und LUCKY MAN, das mit dem Beschleunigen der Tapes am Schluss im totalen Chaos endet. Der Song PIE IN THE SKY wird von Pritchard gesungen. Fast alle übrigen Songs wurden indes von Jeff Lynnes Gesangsstimme dominiert, wobei natürlich auch hier der Wille zum Klangexperiment zu oft interessanten Verfremdungen geführt hat, wovon die Tatsache, dass die Stimme manchmal klingt, als käme sie aus einem Kofferradio, nur einer von einer Fülle verschiedener Effekte ist.

Die Songs

Skeleton And The Roundabout
http://www.youtube.com/watch?v=fe65IdPCy1w&feature=related
Happy Birthday/The Birthday
http://www.youtube.com/watch?v=wOKFpEl_EPU&feature=related
I Like My Toys
http://www.youtube.com/watch?v=HG7_S3nv7uY&feature=related
Morning Sunshine
Follow Me Follow
http://www.youtube.com/watch?v=gPDW0ea0Mwk&feature=related
Sitting In My Tree
http://www.youtube.com/watch?v=q0KiEFLpIrA&feature=related
On With The Show
http://www.youtube.com/watch?v=eb-OptYSdjo&feature=related
Lucky Man
Mrs Ward
Pie In The Sky
The Lady Who Said She Could Fly
http://www.youtube.com/watch?v=Ow06m8m9XAI
End Of The Road
http://www.youtube.com/watch?v=AUfMre3-Kg0&feature=related

Non-Album-Tracks und Outtakes
– Here We Go Round The Lemon Tree (Wood)
– My Father’s Son (Pritchard)
– Impostors of Life’s Magazine
– Knocking Nails Into My House

Es gibt wohl ein paar Outtakes, von denen einige vielleicht auf dem geplanten Idle-Race Boxset erscheinen könnten

– Shard End Crescent
Outtake von 1968; entstand in der Zeit, als Roy bei Jeff Blackberry Way- Demo aufnahm.

Alternative Versions
Abgesehen von den Mono- und Stereomixen
– Lucky Man (Kompilation Back To The Story)
– Follow Me Follow (Kompilation Back To The Story)

Promotion, Rezeption, Fazit

Obwohl sich das Album nicht wirklich schlecht verkaufte, gelangte es letztlich ebenso wenig wie eine der Vorabsingles in die Charts. Alledings erhielt es gute Kritiken, und die Idle Race waren hochgeachtet in wichtigen , einflussreichen Kreisen. Zu den Fans zählten BBC DJs wie Kenny Everett (später gar Ehrenvorsitzender des Fanclubs) und nicht zu vergessen die damalige und heutige Ikone John Peel, der leuchtende Augen bekam, wenn es um die Idle Race ging. Weiter Stuart Henry und der „Echoes“ und „Disc“ – Herausgeber Ray Coleman (der sich dann an den Sleeve-Notes des zweiten Albums beteiligte). Letzterer sprach von „der aufregendsten britischen Popgruppe seit den Beatles“. Auch Musikerkollegen wie die Beatles und Marc Bolan (der dann beim zweiten Album im Studio mit der Band herumlungerte) lobten die Musik der Gruppe in höchsten Tönen. Live spielte man zusammen mit allen großen britischen Gruppen der damaligen Zeit, und an Orten wie dem Marquee oder „Speakeasy“. Die Band war so gut, dass bei Unikonzerten mit mehreren Bands andere sich oft weigerten, nach den Idle Race aufzutreten. Der junge Brian May schaute sie sich an, um sich einiges von Jeffs innovativem Violinengitarrensound aabzuschauen. Auch sonst verblüffte die Band mit verrückten Soundexperimenten auf der Bühne. Ohne die Idle Race wären viele amerikanische Stücke nicht so schnell in GB bekannt geworden, da sie immer an vorderster Front waren, wenn es darum ging, diese Nummern in ihr Repertoire zu integrieren. Status Quo sollen bei einem Festival sowas von beeindruckt von ihrer Vorgruppe gewesen sein, dass sie ihr ganzes Konzept überdachten (vgl. Brum Rocked On!). Und dann gab es noch die zahlreichen Radiosessions für die BBC, alleine 6mal bei Top Gear, der Show mit John Peel. Der Produzent der meisten Top Gear Shows, Bernie Andrews, war ebenso beeindruckt und hat rückblickend einmal gesagt, dass die erste Session mit den Idle Race mit zum Beeindruckendsten zähle, an dem er beteiligt war.

Wie dem auch sei, das Massenpublikum erreichten die Idle Race nicht (ein Grund mag im unerfahrenen Management gelegen haben, die manchmal genannten Texte sehe ich nicht als Hindernis, siehe Early Pink Floyd), aber sie waren eine Gruppe für Eingeweihte und Musikerkollegen, die hohes Ansehen genoss. Die Bedeutung des ersten Albums liegt einerseits darin, dass es ein erstklassiges Beispiel des britischen Psych Pop ist. Im Nachhinein gibt es so einige, die gar von einem Meisterwerk reden. Ferner hat Jeff Lynne viel über die Studioarbeit lernen können, so dass er – bei Newcomern damals sehr ungewöhnlich – schon beim zweiten Album zum alleinigen Produzenten aufstieg.

Quellen

Vor allem die Publikationen des Fanclubs Face The Music: FTM 6,7, 14 (zentrales rückblickendes Interview), 16, 21,22
Auch erwähnenswert das Buch „Brum Rocked On“ von Laurie Hornsby.
Dazu ein paar zeitgenössische Artikel wie „Why no success for the Idle Race“ und ein Top Gear Interviewauszug.
Empfehlenswert ferner der Internetauftritt von Ken Greenwell
http://members.iinet.net.au/~althomp/austelo/idle/index2.html

Na denn, Happy Birthday Jeff. Mögen recht viele Leute zu deiner Party erscheinen!

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