Re: Electric Light Orchestra (ELO) – Jeff Lynne

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pelo_ponnes

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Electric Light Orchestra (ELO) – The Night The Light Went On (In Long Beach) (1974)

1. Allgemeine Albuminformationen

– VÖ August 1974 Warner Brothers (nicht in UK/US vö)/Remix 1985 Epic
– Aufzeichnung vom 12. Mai 1974, Long Beach, Kalifornien
– Nachproduktion: Jeff Lynne
– Songauswahl = Mischung aus Lynne-Originalen, Coverversionen und sogar Beiträgen anderer Bandmitglieder (Mik Kaminski)

2. ELOs Bedeutung als Liveband

Das Projekt ELO steht heutzutage so sehr für ausgetüftelte Studioproduktionen, dass dabei gerne vergessen wird, dass die Band in den Siebzigerjahren eine der ganz großen Liveattraktionen darstellte. Dabei legten ELO nicht, wie vielleicht zu vermuten wäre, den Grundstein für ihre Livereputation in ihrem Heimatland, sondern in Amerika. Die erste Amerikatournee ab Juni 1973 war solch ein großer Erfolg, dass man sie bis in den August hinein verlängern musste. Nach dem Konzert im Hollywood Palladium in L. A. schrieb die L. A. Times beispielsweise: „Wenn die brilliante und frenetisch gefeierte Show, die ELO hier im Hollywood Palladium ablieferte, ein Vorgeschmack ist, dann wird diese Debüt-Tour von Englands MOVE-Ableger neue Superstars auf zwei Kontinenten fest etablieren.“ Natürlich folgten bald weitere Amerikatourneen, so auch von April bis Mai 1974. Die Gruppe spielte an den bisher größten Veranstaltungsorten der Bandgeschichte wie dem Santa Monica Civic Auditorium und der Long Beach Arena in Kalifornien und knüpfte nahtlos an den Erfolg der Auftritte im Jahre 1973 an. Das Publikum rastete völlig aus, und die Musikpresse überschlug sich vor Begeisterung über die „guys with the big fiddles“.

3. Musiker und Mitwirkende
Jeff Lynne – Leadgitarre und Gesang
Bev Bevan – Schlagzeug und Perkussion
Richard Tandy – Keyboards
Michael de Albuquerque: Bassgitarre und Hintergrundgesang
Mik Kaminski – Violine
Hugh McDowell (zurück von Wizzard) – Cello
Mike Edwards – Cello
Die Liveband unterschied sich personell zwar nicht von den Leuten, die mit den Studioalben in Verbindung gebracht wurden, doch war es in der Praxis so, dass der Anteil der Musiker neben Jeff Lynne an der Gesamtwirkung der Musik auf der Bühne viel größer war. Wie auch Jeff Lynne zugab: „It’s very much a group thing onstage,“ he maintains. „It’s in the studio where I take control, ‚cause I’m contracted to write all the stuff by my publishing deal, which I can’t possibly get out of. And I’m the producer, so it’s mostly in the studio where I’m in control. Drummer Bev Bevan konnte live mehr Fills spielen, Bassist Albuquerque lieferte deutlicgh mehr Hintergrundgesang. Es gab viele Möglichkeiten für die Musiker, in Solos ihre Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Und bei den Konzerten sah man auch, über welche herausragenden Musiker die Band verfügte. Dies bestätigen auch die Aussagen der Bandmitglieder, wie z. B. Mike de Albuquerque: The ELO I was in had musicianship of a very high standard and that always makes a bandleader’s life easier and more enjoyable.

4. ELOs Livesound und Liveshow in den frühen 70ern
Obwohl ELOs Livesound der frühen 70er Jahre sich durchaus an die Herangehensweise bei den damaligen Studioalben anlehnte – man beachte, dass die frühen ELO-Alben ja im Hinblick auf die Bühnenpräsentation geschrieben wurden und die Schere zwischen Studio- und Livesound erst so richtig aufging, als Jeff große Orchester im Studio antanzen ließ und zunehmend die Studiotüftelei einem Live-In-the-Studio-Sound vorzog – hatten ELO-Konzerte aus verschiedenen Gründen dennoch bereits einen eigenständigen Charakter: Zunächst einmal umfasste ELOs Set neben den Albumstücken eine Reihe von Rock ‚n’ Roll Standards, die nur live gespielt wurden. Die Albumstücke wurden ferner oft mit zusätzlichen Soloparts oder Zwischenstücken versehen und so zu proggigen Longtracks ausgeweitet. Manche Stücke wurden auch zu Medleys zusammengefügt, und zwar oft in solch einer Weise, dass der Eindruck eines ganz anderen Songs entstand. Bei einigen Nummern wurde auch Raum für virtuose Soli geschaffen . Waren ELO schon auf ihren Alben der Frühphase eher eine raue Rockband, so wirkte live alles noch eine Spur heavier und zügelloser. Mike de Albuquerque mit seiner rauen, tiefen Stimme, der außerdem mit seinem komplexen Basspiel diese frühen Konzerte prägte, durfte live viel mehr Gesang beisteuern. Auch Richard Tandy, der souverän die Tasteninstrumente bediente und sich die Bedienung des Minimoog inzwischen selbst so gut beigebracht hatte, dass er ihn sehr effektvoll einsetzen konnte, unterstützte Jeff beim Hintergrundgesang. Lynn Hoskins, ehemals DJ und später dann Administrator der offiziellen ELO Mailing Liste, beschrieb den Eindruck, den die Band hinterließ mit folgenden Worten: „ Es war ziemlich harter Rock, aber es klang gleichzeitig nach Orchester, obwohl es nicht nur ein Orchester war. Es war mehr wie zehn Orchester, die alle gleichzeitig spielten und sich gegenseitig überlagerten. Es war sehr heavy und man konnte es irgendwie am ganzen Körper spüren. Ich war damals sehr jung, als ich es hörte und dachte nur: ‚Oh mein Gott, was ist das?’“ Face The Music Story Of ELO BBC 2005
Schließlich fand sich in den ELO-Shows bereits ein Element, das zum festen Bestandteil kommender Liveshows werden sollte: die Solodarbietungen der Streicher. Das Publikum war begeistert vom teuflischen Geiger Mik Kaminski, fasziniert vom ersten Rock ‚n’ Roll Star-Cellisten Hugh Mc Dowell und völlig hin und weg vom ekzentrischen Cellisten Mike Edwards, dem die Rolle eines Bühnenclowns wie auf den Leib geschrieben war und der eine Show in der Show ablieferte: Gekleidet mit einem Frack, Wollmütze und Gummistiefeln, interpretierte er mit seinem Cello den sterbenden Schwan. In seiner linken Hand hielt er eine Orange, die er auf den Saiten auf und ab rollte. Ein anderer origineller Showeffekt war es, wenn Mike mit seinem Cellobogen durch Jeffs Beine hindurch auf dessen Gitarre spielte. Die Band erfand immer weitere Gags rund um die Person von Edwards, von denen der spektakulärste schließlich das explodierende Cello war: Mike hatte ein besonderes, mit Rauchbomben und Sprengkörpern präpariertes Instrument, welches aus sieben Einzelteilen und einem versteckten Knopf bestand. Für das Publikum sah es so aus, als ob er gerade ein Solo spielen würde, aber in Wirklichkeit ging dies auf das Konto von Hugh McDowell, der versteckt im Hintergrund agierte. Wenn alles gut ging, drückte nun Mike Edwards den Knopf und das Cello explodierte. Oft ging der Trick aber auch daneben, und das Publikum applaudierte höflich für ein doch etwas langatmiges Cellosolo. Manchmal explodierte das Cello zwar, nur nicht zum richtigen Zeitpunkt.
Diese schrägen Showeffekte rund um die „Jungs mit den großen Fiedeln“, die wild über die Bühne tanzten und sich gegenseitig mit den Bögen stachen, ergaben zusammen mit dem komplexen, virtuosen, melodiösen und doch hart rockenden Sound (sie tourten nicht umsonst mit Deep Purple, und Led Zeppelin waren Freunde) der Band eine seltsame Mixtur. Da war doch tatsächlich eine Rockband mit progressivem Anspruch, die zugleich sich selbst und die Klassik auf die Schippe nahm. All dies machte ELO zu einem äußerst originellen, abenteuerlichen und noch nie da gewesenen Liveact.

5. Albumentstehung

Pläne zu einem ELO-Livealbum gab es schon länger, sie wurde aber immer wieder verworfen. Bei der Amerikatournee 1974 schienen die Voraussetzungen günstig. Ursprünglich sollten verschiedene Konzerte der Tour mitgeschnitten werden und daraus eine Auswahl getroffen werden. Dies erwies sich jedoch als zu teuer und zeitraubend, so dass man sich dafür entschied, nur das Konzert vom 12. Mai 1974 in Kaliforniens Long Beach Auditorium aufzunehmen. Zu allem Übel traf man wegen einer Panne unterwegs auch noch zu spät ein, so dass man nicht einmal Zeit für einen Soundcheck hatte. 9 Die Band war deswegen selbst überrascht, dass alles dann doch recht gut lief. Und wenn doch mal etwas daneben ging, so konnte man sich glücklich schätzen, dass das Konzert auf, für die damalige Zeit, großzügigen, sechzehn Spuren aufgenommen wurde und somit später im Studio gut nachgeregelt werden konnte. Manches wurde gar komplett neuaufgenommen. Insbesondere betraf das die Gesangsharmonien, es wurden aber auch noch einige Instrumentenspuren hinzugefügt.

6. Die Songs

Das Set baute im Wesentlichen auf dem der vorherigen Tourneen auf. Der Konzertopener war DAYBREAKER, ROLL OVER BEETHOVEN die Schlussnummer. Dennoch hatte man sich für 1974 auch einige neue Dinge überlegt. Insbesondere waren IN THE HALL OF THE MOUNTAIN KING und GREAT BALLS OF FIRE mittlerweile zu einem ausufernden Mammutstück mit einem Gitarren- und Violinenduell im Mittelteil zusammengefasst worden, während das DO YA -Riff zu einem Zwischenstück in 10538 OVERTURE geworden war. Der Song erschien durch sein elegantes, klares Arrangement, Jeffs Gesangsphrasierungen und Richards erhebende Moog-Synthesizerparts nun endgültig in einem völlig anderen Licht als zu Zeiten des Debütalbums. Weitere Highlights des Sets waren eine über achtminütige Version von SHOWDOWN mit langem angehängtem Soloteil (SOLO THEME) und die Beatles-Nummer DAYTRIPPER, treibender gespielt und angereichert mit Songzitaten aus Klassik [Händels ANKUNFT DER KÖNIGIN VON SHEBA (Sinfonie aus dem 3. Akt von Salomon) , Mozarts Klaviersonate in C-Dur (Erster Satz)], Rock (der Riff vom Rolling Stones – Stück SATISFACTION) und Filmmusik (Bonanza-Melodie). Der neue Geiger Mik Kaminski spielte virtuose Soli, die dann immer in ORANGE BLOSSOM SPECIAL, einen Instrumentalhit aus den 60er-Jahren, übergingen.
Zu hören gab es auf dem Album bei einer Gesamtspielzeit von etwa 40 Minuten zum Teil etwas gekürzte Versionen von DAYBREAKER, SHOWDOWN, DAYTRIPPER, 10538 OVERTURE, MIK’S SOLO/ORANGE BLOSSOM SPECIAL, IN THE HALL OF THE MOUNTAIN KING/GREAT BALLS OF FIRE und ROLL OVER BEETHOVEN. Bei Miks Solo, das bei den einzelnen Konzerten sehr unterschiedlich ausfallen konnte, hatte man sich für ein kurzes, flottes Stück entschieden. In einigen europäischen Ländern wurde eine gekürzte Version von DAYTRIPPER als Single veröffentlicht. Neben den Kürzungen fehlten auf dem Album einige Stücke des Konzerts, insbesondere einige von On The Third Day. Bei der Remix-Version von 1985 erfolgten die Songkürzungen an anderen Stellen, so dass man teilweise andere Passagen hören/nicht hören kann.

7. Gesamtfazit

Die Frage, inwieweit das Album einen gelungenen Versuch darstellte, das Live-Zusammenspiel der Band und das typische Feeling der Musik auf Rille zu pressen, hängt auch ein bisschen von der persönlichen Erwartungshaltung bzgl. der Frage, wie ein gutes Livealbum zu klingen hat, ab. Die Vorgehensweise der Nachbearbeitung im Studio war für jene Zeit nichts Ungewöhnliches und hatte mehr mit dem damaligen Stand der Live-Aufnahmetechnik als mit limitierten Fähigkeiten von Musikern zu tun.
Die Idee beim ELO-Livealbum war anscheinend, es bis zu einem gewissen Grad zu einem selbständigen Oeuvre im Gesamtschaffen der Band zu machen. So wurden bei der Songauswahl Überschneidungen mit den Studioalben vermieden und gerade die Coverversionen und Solodarbietungen aufgenommen, die ELO im Liverepertoire hatten, aber nicht für eine Studioaufnahme vorgesehen waren. Hinzu kamen dann mit ROLL OVER BEETHOVEN, IN THE HALL OF THE MOUNTAIN KING/GREAT BALLS OF FIRE, SHOWDOWN und 10538 OVERTURE gerade die Albumstücke, die sich live aufgrund anderer Arrangements, Improvisationen oder zusätzlicher Soloteile sehr stark von den Studioversionen unterschieden.
Leider sorgten einige Missverständnisse (es wurden Bänder verwendet, die eigentlich als nicht zur Veröffentlichung vorgesehen gekennzeichnet waren) und unglückliche Songkürzungen (beispielsweise wurde aus IN THE HALL OF THE MOUNTAIN KING/GREAT BALLS OF FIRE das geniale Gitarren/Violinenduell herausgekürzt) dafür, dass das Album zunächst nicht der große Wurf war und sich zunächst nicht einreihen konnte in die Liste großer Livealben. Erst ein Remix von 1985, bei dem die Gitarre mehr in den Vordergrund gemischt wurde, die Songs klarer zu hören waren und in geschickterer Weise gekürzt wurden, rückte das Bild gerade und offenbarte das volle Potenzial der Liveaufnahmen. Obgleich die Abmischung wohl kaum dem Sound der Originalkonzerte entsprach, stellte dieser Mix erstmals eine würdige Präsentation des Livealbums dar. Wie bereits gesagt wurde, ging es bei Livealben dieser Art nicht um Authentizität. Es macht vielmehr Sinn, sie als eine ganz selbständige Kategorie des Musikalbums zu betrachten, die auf die künstliche Rekreation des idealen Konzertes für zu Hause abzielte.

8. Quellen
Neben den üblichen Büchern und Websites insbesondere das Johnnie Walker Interview mit Lynne und Bevan sowie Robert Briel. “Elodorado.” Oor, 28. August 1974.

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