Re: Electric Light Orchestra (ELO) – Jeff Lynne

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pelo_ponnes

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Schwierig, die ganze Konzeption des ersten Albums auf den Punkt zu bringen, aber ich probiere es mal. Sicher bin ich mir, dass es hier zu einigen Diskussionen zur Rollenverteilung Wood/Lynne kommen könnte. Deshalb habe ich mal alles ausgewertet an Zeitungsartikeln, was ich so gelesen habe, und daraus ergibt sich für mich zumindest folgendes Bild.

Electric Light Orchestra (ELO) – The Electric Light Orchestra/No Answer (1971)
1. Einleitung

Das erste ELO-Album fällt insofern aus der Reihe, als es das einzige ELO-Album ist, bei dem Jeff Lynne nicht die alleinige Chefrolle innehatte. Das erste Album realisierte er noch zusammen mit Roy Wood, der die ursprüngliche Idee zu einem Electric Light Orchestra hatte. Zum Zeitpunkt der Aufnahmen des ersten Albums war das ELO ferner noch ein experimentelles Nebenprojekt zu The Move, die parallel dazu als Single-Band fortbestanden. Da Roy Wood das neue Bandkonzept als etwas noch nie Dagewesenes verkaufte, gab es zahlreiche Presseberichte. Andererseits haben diese vielen Presseberichte, die ausschließlich Roy Wood in den Mittelpunkt stellten, zur negativen Wahrnehmung der Rolle von Jeff Lynne im Bandgefüge beigetragen. Bis heute ist die Grundaussage oft, dass Roy im Prinzip alles alleine gemacht hat und die Innovationen alle von ihm stammten (vgl. die Aussagen der „Experten“ auf der DVD „Inside the Electric Light Orchestra): Roy, der Mann mit den verrückten Ideen vs. Jeff, der einfach zufällig vorbeikam, nicht mehr als ein Handlanger von Wood war und folgerichtig nach Woods, so heisst es immer wieder, erzwungenem Abgang die Band nur in seichte, kommerzielle Gewässer führen konnte. Jeff, der The Move zerstört hat und Roys Vision mit ELO zerstört hat.
Ziel des Artikels ist es demnach zum einen, die wesentlichen Aspekte des ursprünglichen ELO-Konzeptes zusammenzutragen und gleichzeitig die Rollenverteilung zwischen Jeff und Roy ins rechte Licht zu rücken.

2. Allgemeine Albuminformationen und Cover

– Erstveröffentlichung: (UK) 3. Dezember 1971 EMI-Harvest; (US) 1972 United Artists
– Studio: Philips Studio in Marble Arch, London
– Produzenten: Roy Wood und Jeff Lynne
– Toningenieure: Roger Wake und Peter Oliff
– Songs geschrieben von Jeff Lynne(5) und Roy Wood (4)

In Amerika wurde das Album aus Versehen unter dem Titel „No Answer“ veröffentlicht. Die Sekretärin des US-Labels sollte in London anrufen und sich nach dem Albumtitel erkundigen. Da niemand an den Apparat ging – man bedenke die Zeitunterschiede – schrieb sie auf einen Notizzettel „No Answer – keine Antwort“. Ihr Chef fand, dass dies ein netter Albumtitel sei…

Das Hipgnosis-Cover zeigt Roy, Bev und Jeff als mittelalterliche Sänger verkleidet im Banketing House, Whitehall, London, die sich auf der Vorderseite in durchsichtiger Glühbirne reflektieren. Auf der Coverrückseite sieht man die Band aus der Perspektive der Glühbirne. Insgesamt ein gelungenes Cover, das mit der Ambiguität des Bandnamens spielt und die Verbindung von Moderne und klassischem Zeitalter geschickt bildhaft symbolisch zum Ausdruck bringt.

3. Zielsetzungen: das Konzept „Electric Light Orchestra“

Die Wurzeln der Rockmusik liegen im wesentlichen nicht in der europäischen Bildungs- und Kunstmusik. Nicht zuletzt ist dabei die soziale Komponente der Rockmusik in ihrer Frühphase zu beachten. So spielte neben der Musik eben gerade die Rebellion gegen das Establishment eine Rolle. Rockmusik war zu Beginn ganz bewusst einfach, direkt und ungeschliffen. Allerdings spürten im Laufe der Sechzigerjahre immer mehr junge Musiker die Begrenzungen der traditionellen Bandbesetzung mit zwei Gitarren, Bassgitarre und Schlagzeug. Deswegen gab es ab der Mitte der Sechziger immer mehr Künstler, die auf unterschiedliche Art und Weise versuchten, diese Begrenzungen zu überwinden und der Rockmusik neue Impulse zu geben. Zu nennen sind etwa die Beatles, die Beach Boys, Frank Zappa oder auch die Moody Blues. Diese Gruppen setzten beispielsweise zusätzliche, oft exotische Instrumente ein, experimentierten mit der sich nun rapide entwickelnden Studiotechnik oder ersannen komplexere und längere Songstrukturen und ungewöhnliche Rhythmen. Außerdem öffnete man sich nun ganz bewusst anderen musikalischen Bereichen wie Volksmusik, Weltmusik, Jazz oder eben auch der europäischen Kunstmusik. Ende der 60er Jahre begann folgerichtig die große Zeit der sogenannten Progressiven Rockmusik. Im Rahmen der Öffnung des Rocks für andere musikalische Spielarten verfolgten seit den ausgehenden 60er Jahren nicht wenige Bands die Idee der Kombination von Klassik und Rock, und hier wollten auch Wood und Lynne ansetzen. Allerdings wollten sie dabei einen Pfad einschlagen, den bis jetzt noch keine dieser anderen Gruppen begangen hatte. In der Kombination und Radikalität der einzelnen Zielsetzungen zeigt sich das neue Konzept des ELO.
Beide hatten mit ihren jeweiligen Bands schon mit Studiotechnologie und Orchestrierungen herumexperimentiert, waren sich aber gerade dadurch zunehmend der Begrenzungen einer „normalen“ Band bewusst geworden. Gerade, wenn man auf Sessionmusiker angewiesen ist, so sagte Wood damals, erzielt man oft nicht die gewünschten Resultate. Zudem konnte sich Wood mit der Hitband Move keine radikalen Experimente erlauben. Das war zwar für Jeffs Idle Race mit ihrem Underground-Status kein Problem, dafür aber fehlte ihm einfach das Geld für großangelegte Experimente mit dieser Band.
Aufgrund der oben genannten Ziele und Schwierigkeiten hatten Lynne und Wood, die seit einigen Jahren befreundet waren, schon seit längerem bei gemeinsamen Ausflügen ins Pub oder Birminghamer Fußballstadion Pläne zu einer neuen, experimentellen Band diskutiert. Es war im Ursprung Woods Vision, aber Lynne war schon lange in die Pläne eingeweiht, hatte selbst ähnliche Träume gehabt und mit Sicherheit auch seine Vorstellungen in die Gespräche einfließen lassen. Wood träumte von einer Gruppe, zu der als feste Mitglieder klassisch ausgebildete Musiker gehörten: ein kleines Orchester mit klassischen Streichinstrumenten und Blasinstrumenten, ein light orchestra eben (oder auch allgemeiner ‚light‘ im Sinne von ‚leichter Musik‘ im Gegensatz zur sogenannten schweren E-Musik). Ferner zum Konzept gehörte, dass diese Band live auftreten sollte und das klassische Instrumentarium mehr als bloße Ergänzung sein sollte. Da die Liveshows mit einer gigantischen Lichtshow im Stile von Pink Floyd über die Bühne gehen sollten, ergab sich eine zweite Bedeutungsperspektive für den Bandnamen Electric Light Orchestra und somit ein cleveres Wortspiel.Wood sprach von der Verschmelzung der beiden Komponenten Rock und Klassik. Die klassischen Instrumente sollten wie Rockinstrumente eingesetzt werden und beispielsweise Soli übernehmen oder Passagen, die sonst von der Gitarre gespielt wurden. Andererseits sollte es auch klassische Passagen und Versatzstücke geben. Ein Ansatzpunkt war das, was die Beatles mit Strawberry Fields oder I Am The Walrus gemacht hatten: melodische Songs mit Betonung der klassischen Arrangements. Während die Beatles aber aufgrund ihres Entdeckungsdrangs ihre Ideen nie richtig vertieften, wollte Wood nun eben dieses Feld mit dem ELO intensiver und radikaler erforschen. Erwähnenswert ist noch, dass Wood in der Planungsphase auch davon gesprochen hatte, neben Klassik auch Jazz-Einflüsse zu assimilieren. Diese Zielsetzung trat dann aber zugunsten der Fokussierung auf das Klassikrockkonzept eher in den Hintergrund. An die Adaptation ganzer klassischer Werke für das Rockformat hatte Wood auch gedacht, sich letztlich aber dafür entschieden, eigene Kompositionen in den Mittelpunkt zu stellen. Es war auch schon zu einem frühen Zeitpunkt Teil von Woods Konzept, einen zweiten Songschreiber für das Projekt heranzuziehen. Und den hatte er in Jeff Lynne nun gefunden.
Jeff Lynne hat sich im Gegensatz zu Roy Wood nur selten in der Presse zum neuen Projekt geäußert. Er wurde in der Regel ohnehin nicht gefragt. Soviel kann festgehalten werden: in seinen wenigen Äußerungen sieht man, dass Jeff völlig eingeweiht war und das Konzept mittrug. Auffällig ist allenfalls, dass er vor allem von der „Band mit Streichern“ sprach und weniger von den Bläsern. Während Roy sich ferner vor allem für Celli interessierte und deshalb beim Streichquartett, dass er im Blick hatte, nur eine Violine wollte, war Jeff da wohl offener. Insgesamt ergibt sich der Eindruck, dass Jeff Roys Konzept mittrug, aber möglicherweise offener war bezüglich der Ausrichtung auf späteren Platten. Während es für Roy das Heavy Metal Cello-Orchestra sein musste, konnte sich Jeff damit anfreunden, für ihn waren aber auch andere Schwerpunktsetzungen denkbar.

4. Musiker und Mitwirkende

Das Gros der Aufnahmen geht auf das Konto von Roy Wood und Jeff Lynne. Grundsätzlich gingen die Planungen zwar in die Richtung, dass für den elektrischen Part des Projektes die Mitglieder der Move aufkommen sollten, während für die akustischen, klassischen Streich- und Blasinstrumente klassisch ausgebildete Musiker herangezogen werden sollten – wobei Roy selbst allerdings auch teilweise für die Blechbläser zuständig sein wollte. Roy Wood hatte der Presse gegenüber einmal die Zielvorstellung eines zehnköpfigen Line-Ups geäußert. Jedoch gestaltete sich die Suche nach festen Bandmitgliedern weitaus schwieriger als gedacht, da die klassischen Musiker das Risiko scheuten oder einfach nicht mit Rockmusikern zusammen spielen wollten. Für die Aufnahmen zum ersten Album konnten wenigstens der Wald- und Jagdhornspieler Bill Hunt von der Birminghamer Band HANNIBAL und der Geiger Steve Woolam gewonnen werden. Ansonsten behalf man sich damit, dass der sich zunehmend zum Multiinstrumentalisten entwickelnde Roy Wood neben akustischer Gitarre, Slidegitarre und Bassgitarre und Schlagzeug auch Cello, Oboe, Fagott, Kontrabass, Klarinette und Blockflöte spielte (bzw. zunächst einmal auf teilweise eigenwillige Art spielen lernte). Jeff Lynne steuerte neben seinem Gesang elektrische Gitarre, Klavier, Bassparts und oft klassisch angehauchte Perkussion bei. Aufgrund des limitierten Schlagzeugsounds ist der Beitrag von Bev Bevan eher gering. Rick Price, der noch zum Move-Line-Up gehörte, war mit Ausnahme von 10538 Overture nicht an den Aufnahmen beteiligt. Er schied im Dezember 1970 auch aus den Move aus, nachdem seit dem Sommer der Entschluss feststand, mit den Move nicht mehr live zu spielen. Als Gäste sind auf „Whisper in the Night“ Kinder eines Kinderchores zu hören. Auf ein, zwei Tracks wie Manhattan Rumble sind einige Stimmen im Hintergrund zu vernehmen, deren Zuordnung zu Jeff oder Roy nicht recht überzeugend wirkt. Abschließend sei erwähnt, dass Roy Wood in der frühen Planungsphase des Projektes versuchte, Glenn Hughes von Trapeze (auch Deep Purple; Black Sabbath) abzuwerben. Jener hatte anscheinend tatsächlich zwei Wochen mit Wood geprobt, ehe er sich wegen Woods Unberechenbarkeit dafür entschied, zu Trapeze zurückzukehren.

5. Albumentstehung und Aufnahmetechnik

Nachdem das neue Projekt jahrelang nur als Gedankenspiel existierte, war es Jeff Lynnes Wechsel zu den Move im Februar 1970, der die Dinge ins Rollen brachte. Jeff stimmte zu, sich den Move anzuschließen, aber unter der Bedingung, irgendwann mit den Move aufzuhören und das neue Projekt anzugehen. Wohlgemerkt: auch Roy Wood wollte mit den Move aufhören, aber Jeff wirkte als Katalysator. Er empfahl Don Arden, den knallharten Manager der Moody Blues und mittlerweile auch der Idle Race (der vorübergehend schon mal für The Move tätig war), dem es gelang, einen Vertrag mit dem progressiven Harvest Label von EMI auszuhandeln. Allerdings bestand Harvest darauf, The Move als Hitband fortzuführen. Damit konnte dann auch das ELO-Projekt finanziert werden. So fanden sich Roy, Jeff und Co in der eigenartigen Situation wieder, teilweise parallel ELO- und Movesongs aufzunehmen.
Im Juli 1970 entstand mehr durch Zufall die erste ELO-Aufnahme, 10538 Overture. Eigentlich als Move-Song geplant, fügten Jeff und Roy in einem Overdubmarathon die charakteristischen Cello-Spuren hinzu und fanden, dass dies die Geburtsstunde ihrer neuen Gruppe sei. Offiziell gestartet wurde das ELO-Projekt im Oktober 1970, nachdem das Move-Album „Looking On“ vor der Veröffentlichung stand. Aus verschiedenen Gründen zogen sich die Aufnahmesessions bis in den Juni 1971 hinein. Ein Grund waren die parallelen Verpflichtungen und Aufnahmen mit The Move. Ein zweiter die Tatsache, dass es schwieriger als erwartet war, Bandmitglieder zu finden, die man dann insbesondere für die Liveauftritte benötigte. Weiter wohnten Roy und Jeff in Birmingham, während das Studio in London war und auch die neuen Musiker, die man fand, aus London kamen. Da musste der Arbeitsprozess auch erst einmal koordiniert werden. Schließlich ist ein wesentlicher Grund in dem zutiefst experimentellen Charakter der Aufnahmen zu sehen. Roy und Jeff probierten einfach eine Menge aus und hatten großen Spaß dabei, für sie unbekannte Instrumente zu erlernen und zu erforschen. Demoaufnahmen entstanden zum Teil schon in Jeffs oder Roys Demostudio zuhause. Ein typischer Arbeitstag sah so aus, dass man bis drei oder vier Uhr morgens im Studio tüftelte und mittags dann in den King and Queen Pub in der Edgware Road ging. Bev wurde im Studio nur selten gebraucht und langweilte sich oft und war nicht wirklich von der neuen Band begeistert. Er weigerte sich sogar manchmal, den Schlagzeugpart einzuspielen, weil er das Material nicht mochte.
Die meisten der Sessions oder alle wurden mit 8-Spur Bandmaschinen aufgenommen. Jeff Lynne erwähnte im Zusammenhang mit dem Remaster, dass er bei diesem Album entdeckte, dass man manchmal bessere Aufnahmen erzielen konnte, wenn man statt im eigentlichen Studio bestimmte Sachen in den Fluren oder Büros aufnahm. Er experimentierte damals schon mit Räumlichkeit und Mikrophonpositionierungen, was später sehr charakteristisch für ihn werden sollte. Das Overdubaufnahmeverfahren, dass sich eher aus der Notlage fehlender Musiker ergab, sah so aus, dass nachdem Bevan die grundlegenden Schlagzeug-und Perkussionparts aufgenommen hatte, er das Feld im wesentlichen Roy und Jeff überließ, die in Gemeinschaftsarbeit dann eine Vielzahl von Sounds und Instrumenten ergänzten. Man steuerte auch Ideen und Melodiefetzen zu den Songs des jeweils anderen bei. Als gutes Beispiel mag da 10538 Overture dienen. Jeff saß im Kontrollraum, während Roy Wood auf seinem neuen Cello herumsägte und Hendrix-Riffs spielte. Jeff gefiel das so gut, dass er vorschlug, einige Cello-Overdubs zu machen.
Gegen das manchmal vorgebrachte Argument, dass Jeff zwar mehr Stücke geschrieben hätte, aber für die Produktion und Overdubs der klassischen Ideen Wood mehr oder weniger verantwortlich zeichnete, lässt sich einwenden, dass Jeff von Anfang an die Kontrolle über seine Stücke hatte (vgl Aussagen von Rick Price dazu). Roys Verdienst ist, dass er den klasssischen Instrumenten all diese verrückten Klänge entlocken konnte. Aber es war nicht so, dass Jeff sie nicht auf dem Album haben wollte und sich Roy beugen musste. Im Gegenteil: für Jeff war das eine große Inspiration, und er war es ja auch, der bei 10538 Overture dieses sägende Cello unbedingt draufhaben wollte. Wie bereits gesagt, kann man wohl definitiv sagen, dass Jeff beim ersten Album voll hinter dem Konzept stand und auch hinter den dreckigen Sounds (er lobte Wood im Remaster Booklet sogar für Battle …). Sicher hat es auch Streitpunkte und unterschiedliche Meinungen gegeben. Aber bitte keine Schwarz-Weiss-Malerei.
Am vierten Oktober 1971 wurde dann endlich das Stereomasterband aus den Endabmischungen erstellt. Die Albumveröffentlichung wurde nochmals aufgeschoben bis Dezember 1971.

6. Genre, Klangbild, Konzept

„If you can possibly imagine Sgt Pepper, Miss Strawberry Fields, Walrus, The Move; Ray Davies, and Idle Race gigging together, and not making a mess of it, then that’s ELO. (Melody Maker Rezension von Hollingworth). Dies ist nur ein Beispiel für eine Reihe von Rezensionen, deren Kernaussage die ist, dass die neuen ELO-Songs im Kern meist melodische Popsongs waren, die dann aber durch die Hinzufügung zum Teil gewöhnungsbedürftiger, radikaler neoklassischer Arrangements, Dissonanzen, klassischer Passagen, seltsamer instrumentaler Breaks und Rhythmuswechsel und durch den Einsatz von klassischen Instrumenten in rockigen Passagen als Rockinstrumente in einen neuartigen progressiven Kontext gestellt wurden, der das Etikett Klassikrock vollständig rechtfertigte. „The Battle of Marston Moor“ stellt insofern eher eine Ausnahme dar, als man hier die Aufnahme eher von der klassischen Seite anging.
Das Klangbild wird stark geprägt durch die akustischen klassischen Streich- und Holzblasinstrumente, die die Stücke nicht bloß verzieren, sondern oftmals im Zentrum stehen und den Song vorantreiben. Insbesondere der sägende, grunzende „hässliche“ Cellosound dominiert das Album. Roy spielte das Cello eher wie eine Gitarre und erzielte dadurch diesen rauen, rockenden Cellosound. Ganz im Sinne des Konzeptes war die Zurücknahme der traditionellen Rockinstrumente. Die elektrische Gitarre spielt bis auf 10538 Overture kaum eine Rolle, bei manchen Stücken fehlt die Bassgitarre. Eine auffällige Rolle übernehmen hingegen die akustische Gitarre und das oft klassisch anmutende Klavierspiel. Synthesiser und andere Keyboards, später bei ELO prägend, aber auch schon bei The Move eingesetzt, fehlen auf dem ersten ELO-Album vollständig.
Durch die starke Akzentuierung des Arrangements ergibt sich eine im Vergleich zu The Move höhere Klangdichte, die manchmal, wie im Opener, auch bombastisch anmutet. Obwohl die Stücke oft im Balladenbereich oder Midtempobereich angesiedelt sind, entsteht aufgrund von Instrumentation und Arrangement selten der Eindruck von sanften Stücken (höchstens beim süßlichen Abschlusssong). Der Gesang auf den sechs nichtinstrumental dargebotenen Stücken erinnert zuweilen an The Move. Der jeweilige Schreiber des Stückes übernimmt den Leadgesang und steht klar im Vordergrund. Manchmal wird die Stimme leicht verfremdet, trotzdem ist es im Vergleich zum zweiten ELO-Album ein eher klarer, naher Gesang. Mehrstimmiger Gesang oder die üppigen Backgroundgesänge späterer Alben sind nicht prägend für dieses Album.
Obwohl das Album kein durchgehendes thematisches Konzept verfolgt – das Konzept dieses Albums ist letztlich die Band selbst – , so ist doch bemerkenswert, dass sich die mysteriösen und geschichtlichen Texte und Themen letztlich gut einfügen in die allgemeine altmodische, manchmal auch psychedelische Atmosphäre, die auf diesem Album erzeugt wird. Liegt der Reiz späterer ELO-Alben oft in dem seltsamen Spannungsverhältnis zwischen Altmodischem und Futurismus, so geht der Blick hier eindeutig zurück. Man taucht ein in eine ernste und manchmal düstere Welt des Mittelalters, der Renaissance, des Barocks oder des frühen 20. Jahrhundert. Gemeinsam mit späteren ELO-Alben ist die kinomäßige Wirkung der Stücke, die gerade bei den für ELO-Verhältnisse zahlreich vertretenen Instrumentalstücken zur vollen Entfaltung kommt.
Ein Vergleich von Roys und Jeffs Stücken ist insofern interessant, als in Publikationen immer wieder die Rede ist vom „gewaltigen Kontrast“ (Blackberry Way) zwischen Jeffs kommerziellen, Beatles-beeinflussten Stücken und Roys „rauere(r), eher klassische(r) Musik. Es ist unzweifelhaft, dass das erste Album auch vom Spannungsverhältnis der beiden unterschiedlichen Schreibstile von Wood und Lynne lebt und dass Jeff wahrscheinlich nie so ein Stück wie Marston Moor gemacht hätte. Andererseits muss doch klar gesagt werden, dass von den vier Roy-Stücken zwei Stücke – First Movement und Whisper … – die lieblichsten auf dem Album sind. Und auch „Look at me now“ ist durchaus eingängig und vielleicht die beatlischste Nummer auf dem Album – Eleanor Rigby lässt grüßen. Wenn dann allmusic.com behauptet, dass bei Jeff die klassischen Parts nie so zentral sind wie bei Roy, wo sie bei Look At Me Now beispielsweise den Song vorantreiben, so muss man doch nur auf Jeff’s Pendant „Queen Of The Hours“ verweisen, um zu zeigen, dass das so auch nicht stimmt.

7. Die Songs

– 10538 Overture (Lynne)
erzählt die Geschichte eines Gefangenen, der ausbricht. Die Nummer war das Ergebnis des Herumspielens mit der Seriennummer 1053 auf dem Modul des Aufnahmepultes. Der Song ist aufgebaut um einen mächtigen Gitarrenriff und heavy cello Riffs (etwa 10-15 Cello-Tracks wurden overdubbed). Hauptsächlich übernimmt Lynne den Leadgesang, aber Wood singt auch ein paar Zeilen. Der lange instrumentale Schlussteil mit seinen Dissonanzen wurde wohl etwas beschleunigt, um ihn höher klingen zu lassen. Mit den vielen Streichern und Blasinstrumenten ist dies wirklich so etwas wie die Blaupause für das ELO.
– Look At Me Now (Wood)
Ein Song über einen mysteriösen Mord, der bezüglich Songstrultur und Stil von Eleanor Rigby beeinflusst ist. Im Klangbild im Vordergrund stehen das sägende Cello und Oboe. Progressive Tempi-und Stilwechsel, mittelalterlich-düstere Atmosphäre.
– Nellie Takes Her Bow (Lynne)
Meisterhafte Umsetzung des ELO-Konzepts. Der Song orientiert sich am klassischen Format der Minioper mit Zwischenspielen, setzt geschickt klassische Streicher ein und ist auch von Vaudeville beeinflusst. Der Text handelt von einer Theaterdarstellerin, die auf der Bühne ihrem unglücklichen Leben entflieht. Jeff Lynne singt mit leicht verfremdeter Stimme, ganz dezent im HIntergrund ist auch Wood zu hören. Viele progressive Elemente wie rückwärts eingespielter Cello – und Pianoriff, Zitattechnik (im Cello-Part „God Rest Ye Merry Gentlemen“), seltsame instrumentale Breaks – mit Perkussion unterlegtes Geigensolo.
– The Battle of Marston Moor (Wood)
Bürgerkriegsepos; cinematisches quasi klassisches Instrumental mit Roys einleitender Rede als Oliver Cromwell; von Hendrix inspirierte Cello Riffs; ausgiebiger Einsatz klassischer Instrumentierung und des Jagdhorns. Roy Wood spielt Schlagzeug und haut auf die Pauke.
– First Movement (Wood)
eingängiges, melodisches Instrumental, in dessen Mittelpunkt das akustische Gitarrenspiel steht. Erinnert an Mason Williams’ Classical Gas von 1968. Hinzu kommt dann die klassische Instrumentation mit Waldhorn und Geige.
– Mr Radio (Lynne)
Der Text erzählt die Geschichte eines Mannes, dessen Frau das Haus verlassen hat und dessen Freund das Radio ist. Viele Produktionstricks wie rückwärts aufgenommene Passagen; so auch das klassische orchestrale Intro am Anfang; sehr gute Studioeffekte und Strukturierung; ambitionierte semi-klassische Arrangements; ganz bewusster Verzicht auf Basspart, da es sich ein wenig an Aufnahmen amerikanischer Musik der 20er-Jahre orientiert
– Manhattan Rumble 49th Street Massacre (Arbeitstitel: Manhattan Concerto) (Lynne)
Ein sehr ambitioniertes klavierorientiertes Instrumental, das mit seinem ernsten geschichtlichen Thema (Ereignis Anfang 20. Jahrhundert) das Gegenstück zu Roys Epos ist; Klassische Einflüsse und Klavierpassagen, daneben auch Jazz-Einflüsse – man beachte, dass dies am Anfang auch eine Zielsetzung war, ehe Wood z. B. auf Saxophone verzichten wollte, um eine klarere Trennung zwischen Move und parallel dazu bestehendem ELO zu erreichen; Anklänge an Filmmusikkomponist Elmer Bernstein und Aaron Copland, dessen Fanfare For The Common Man ja auch von ELP adaptiert wurde.
– Queen Of The Hours (Lynne)
Der Text beschäftigt sich mit der Vergänglichkeit der Zeit, ein wiederkehrendes Thema in Lynnes Schaffen. Gelungene Einbindung von Violine und Cello-und Rhythmussektion; ziemlich ohne E-Gitarre, mit Bassgitarre. Live ergänzt um großartigen Pianoteil/Gitarrensolo noch besser.
http://www.youtube.com/watch?v=VF9BjBXKX10
– Whisper in the Night (Arbeitstitel: Visions In The Night) (Wood)
Eine sanfte hymnische Ballade mit choralem Hintergrund. Sie deutet schon auf spätere spectorianische Wizzard-Produktionen.

Alternative Mixe/Versionen

– 10538 Overture Take 1 (First Light 2001): es fehlen noch einige kleinere Sachen verglichen mit der engültigen Version; von diesem Take 1 wurden unterschiedliche Abmischungen ausprobiert
– 10538 Acetate Version (First Light): wurde wahrscheinlich vor der fertigen Version von Take 1 aufgenommen. E-Gitarre mehr im Vordergrund.
– 10538 Overture Mono Version (Harvest Showdown Sampler)
– Nellie TAkes Her BOw (early take): Vokal- und Pianoversion (Fantreffen 2000)
– The Battle Of Marston Moor Take 1: der erste Teil des Stückes ohne Roys Stimme (First Light)
– Mr Radio (Take 9): deutlich abweichende Version, die mit Geigensolo beginnt und bei der die Violine deutlicher im Vordergrund steht. (First Light)
– Whisper In The Night (Vokal-und Gitarrenversion) (First Light Hidden Track)
– Whisper In The Night (Guide Vocal Version) (Early ELO 1991): nicht der eigentliche Quadmix, wie angegeben
– Whisper In The Night (alternate version) (The Wizzard Kompilation 2006): im Prinzip nur minimale Unterschiede zur Albumversion.
– daneben gibt es eine Reihe von Edits, z.B. Single-Edits. Von allen Stücken gibt es ausserdem Quad-Mixe, die im September 1972/April 73 von Peter Mew kreiert wurden, nur in Brasilien offiziell veröffentlicht wurden,sich teilweise recht deutlich unterscheiden und auf den Kompilationen First Light/Early Years/Early ELO 1991 als Stereo-Versionen zu finden sind.

8. Fazit und Ausblick

Obwohl es vielleicht, wie von Wood angekündigt, nicht alle Grenzen sprengte, definierte das erste ELO-Album innerhalb des Klassikrocks doch einen neuen, noch nie dagewesenen Stil, der bezüglich Instrumentation und Arrangements zumindest so radikal und andersartig war, dass beispielsweise, wenn ich mich recht erinnere, die Soundingenieure lieber nicht mit vollem Namen genannt werden wollten und Bev Bevan teilweise die Mitarbeit verweigerte.
Das Album wurde von der Musikkritik meist sehr positiv aufgenommen und als das wichtigste Werk auf Harvest seit Pink Floyds „Ummagumma“ gepriesen. In der zweiten Jahreshälfte 1971 gelang es dann auch, weitere Mitglieder für die Liveband zu gewinnen. Neben den Streichern ist der Einstieg von Richard Tandy im Sommer 1971 zu nennen. 1972 hatten ELO im Frühjahr dann auch ihre ersten Liveauftritte und Ende Mai/Juni eine kleine Italientournee, wobei man freilich auf die geplante Lightshow aus finanziellen Gründen verzichten musste. Als Pioniere im Einsatz von akustischen klassischen Instrumenten zusammen mit elektrischen Instrumenten auf der Bühne gab es zweifellos Soundprobleme, doch muss abschwächend auch darauf verwiesen werden, dass Ton- und Bilddokumente für diese Zeit durchaus einen absolut guten Livesound bezeugen und Don Arden irgendwie auch wollte, dass es rau und urtümlich klang. Erst in der Rückschau wurden dann die sicher vorhandenen Soundprobleme übertrieben aufgebauscht, um den gerade aktuellen majestätischen ELO-Sound vom „hässlichen“ Sound der Frühphase werbewirksam abzugrenzen.
Der für viele überraschende Ausstieg, oder wie viele glaubten, Rausschmiss Roy Woods aus ELO ca. Juli 1972 wurde von der Presse, die ja immer ELO mit Wood gleichgesetzt hatte, als das Ende von ELO angesehen. Dabei muss eindeutig festgehalten werden, dass das erste ELO-Album nicht Roys Soloprojekt war, sondern ganz klar eine Gemeinschaftsarbeit von Lynne und Wood.
Rückblickend klärte Wood 1996 auf, dass er es war, der die anderen hängen ließ: „Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich den Rest von ELO enttäuscht haben muß und dass Bev und Jeff mich für ein Arschloch hielten, weil ich sie im Stich gelassen hatte“ (FTM Germany 18, 1997). Dabei sah er weniger (wahrscheinlich auch vorhandene) unterschiedliche Auffassungen bzgl. der zukünftigen Ausrichtung von ELOs als Grund, sondern vielmehr das Verhalten des Managements, das seiner Meinung nach bewusst einen Keil zwischen die beiden Songschreiber trieb, um so zwei Supergruppen zu erhalten, und die einseitige Berichterstattung der Presse: „Das Problem war, dass sie immer noch The Move im Kopf hatten und darauf bestanden, alle Interviews mit mir zu führen, ohne Jeff, was ihm verständlicherweise ganz und gar nicht gefiel. Obwohl ich, wann immer es möglich war, ihnen erklärte, dass es diesmal eine Teamleistung wäre, fing es an, ihn zu frustrieren …“
Der Charterfolg von 10538 Overture Ende Juli 1972, der auch dafür sorgte, dass das Album in die unteren Hitparadenplätze in England gelangte, eröffnete Jeff Lynne die Chance, das ELO-Konzept nun alleine weiter fortzuführen. Neben diesen Chancen bestand bei einer Band, bei der am Anfang so viel über das detailreiche Konzept von Roy Wood geredet wurde, immer die Gefahr, dass die Leute alles Zukünftige immer nur aus der Perspektive des ursprünglichen Konzeptes beurteilen würden. Die Geschichte hat meiner Meinung nach tatsächlich gezeigt, dass die schrittweisen Umformungen und Weiterentwicklungen des ELO-Konzepts zu sehr aus der Perspektive des „Scheiterns“ von Lynne am ursprünglichen Konzept gesehen wurden und durch die Fokussierung auf die Klassikrockkomponente andere großartige Innovationen von ELO, etwa im Bereich der Keyboardtechnologie oder der Studioarbeit, völlig übersehen wurden.

QUELLEN
Wie üblich Blackberry Way; Unexpected Messages; Bevs Buch und die eingangs genannten Internetseiten, insbesondere die Lynne-Songdatabase.
Dazu die Fanmagazine FTM 14 (1995 = UK 22) (Zeitungsartikel)/18 (1997) (Spezial mit Wood-Text)/25 (Album für Album)/26 (First Light)/28 (Wilf Gibson Interview)/30
Ein zentrales Interview ist dasInterview mit Roy Wood Sounds Juli 1972.

Updates:
16.04.09: Ergänzungen zu Outtakes und Alternative Mixes
26.11.09: Ergänzung zu Songs – Soundbeispiele
10.04.10: Ungenaue Datierungen präzisiert

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