Re: Electric Light Orchestra (ELO) – Jeff Lynne

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pelo_ponnes

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Hallo, auch ich wünsche Frohe Weihnachten und stelle mal schon einen Teil meines ANWR-Artikels ein, obwohl der noch nicht ganz fertig ist (so als kleines Weihnachtsgeschenk, mal schauen, wann ich den Rest nachliefere)

Electric Light Orchestra (ELO) – A New World Record (1976)

Hinführung
Wir schreiben das Jahr 1976. Es ist das Jahr, in dem Mao Tse-tung stirbt. In Südafrika wehren sich die Schwarzen in einer großen Protestbewegung gegen die Politik der Weißen. In Argentinien übernimmt eine Militärregierung die Macht. In musikalischer Hinsicht kommt die Punkbewegung allmählich ins Rollen. Das große sportliche Ereignis des Jahres sind die Olympischen Spiele – und hier insbesondere die Sommerspiele in Montreal, bei denen die Weltrekorde nur so purzeln: ob Bruce Jenner, Edwin Moses oder Annegret Richter, in dieser Zeit, in der sich Ost und West auch auf der Tartanbahn einen eisigen „Krieg“ liefern und noch systematisch gedopt werden kann, fallen die Worte „Es ist ein neuer Weltrekord“ eigentlich ständig.
Szenenwechsel. Auch für unser ELO war 1976 ein ereignisreiches Jahr. Nach der Veröffentlichung von „Face The Music“ hatte man sich ab Dezember 1975 auf die erste Welttournee begeben, welche in Großbritannien begann, aber ihren Höhepunkt eindeutig in der „Neuen Welt“ hatte, wo man innerhalb von nur 76 Tagen 68 Auftritte durchzog. Diese Tournee zog sich mit Unterbrechungen noch bis in den Juli (UK). Und um diese Zeit herum muss der sportbegeisterte Richard Tandy eifrig zugesehen haben bei der Weltrekordjagd der olympischen Spiele. So wurde es möglich , dass zum Jahresende Millionen Haushalte ihren eigenen ganz persönlichen Neuen Weltrekord innehatten.

1. Allgemeine Albuminformationen

– VÖ: Oktober 1976 Jet Records
– Studios: Musicland München; De Lane Lea Studios London (Orchester und Chor); Cherokee Studios Los Angeles (Edits und letzte Overdubs)
– Produzent: Jeff Lynne
– Toningenieur: Mack (Musicland); John Richards und Dick Plant (De Lane Lea); Duane Scott (Cherokee)
– alle Songs geschrieben von Jeff Lynne

2. Coverkonzept und Albumtitel
Der Albumtitel steht ganz in der Tradition des Vorgängeralbums, zumal es sich erneut um eine äußerst clever gewählte, vieldeutige Phrase handelt. Einerseits wird auf den oben erwähnten 1976 allgegenwärtigen Ausspruch angespielt und dieser zugleich in den musikalischen Kontext gestellt, indem impliziert wird, dass diese Platte rekordverdächtige Musik enthält. Die weiteren Sinnebenen erschließen sich dem Betrachter dann über das Cover-Artwork. Das Coverkonzept wurde im wesentlichen vom Londoner Künstler und Albumcover-Designer (John) Kosh entworfen, der sich Ende der 60er/Anfang der 70er mit den Covers zu „Abbey Road“ und „Who’s Next“ einen Namen gemacht hatte. Auf der Vorderseite prangt erstmals das mittlerweile berühmtgewordene, auf dem Design einer Wurlitzer-Musikbox beruhende ELO-Logo, welches dank des hohen Wiedererkennungswertes auf allen nachfolgenden LPs bis in die 80er hinein Verwendung finden sollte. Das ELO-Logo steigt über der New York Skyline, dem Symbol der westlichen Welt, auf. Auf der Coverrückseite sieht man die Saiten einer Gitarre mit New York als Hintergrund.

Die Idee mit der New York Skyline war ursprünglich nicht vorgesehen und wurde von Jeff und Bev der Plattenfirma vorgeschlagen. Somit wurde das Wortspiel des Albumtitels clever in Szene gesetzt, in dem nun deutlich wurde, dass ELO auch auf ihren Erfolg in der „Neuen Welt“ anspielten und möglicherweise auch leicht ironisch die Tatsache kommentierten, dass sie in der Fremde bei weitem erfolgreicher waren als zu Hause. Eine „Neue Welt“ (amerikanische) Platte eben. Man konnte sogar noch eine dritte Bedeutungsebene ausmachen, wenn man den Song „Mission“ (Eine Weltplatte) genauer betrachtete: eine neue WELTPLATTE bzw. Platte zum Zustand der Erde im Falle dieses Songs. Geschickt wurde hier auch auf die Space-Komponente des ELO-Sounds, die mit diesem Album forciert wurde, hingewiesen. Und möglicherweise ist der Albumtitel gar eine versteckte Hommage an einen von Jeffs Lieblingsproduzenten, Joe Meek, und dessen Konzeptalbum „I hear a new world“.

3. Musiker und Mitwirkende
Zum ersten Mal in der ELO-Geschichte wurde ein neues Album im Wesentlichen von der gleichen Besetzung wie das Vorgängeralbum eingespielt. Bei ANWR bestand die Kernmannschaft der Band aus Lynne (lv, bv, Lead-, Rhythmus- und Slidegitarren, Percussion, Piano) , Tandy (Keyboards, Gitarre, Percussion, bv) , Bevan (Schlagzeug, Perkussion und bv) und Groucutt (Bassgitarre und Gesang, bv, percussion), ergänzt um die Streichersektion mit Kaminski, McDowell und Gale. Die Streichersektion soll auch tatsächlich das eine oder andere auf dem Album gespielt haben, dennoch wurde ihr Beitrag wiederum durch die Verwendung eines großen Orchesters, bestehend aus 24 Violinen, 8 Violas, 8 Cellos und drei Kontrabässen –welches erneut von Louis Clark dirigiert wurde – in den Schatten gestellt. Hinzu kamen ein 30köpfiger gemischter Chor und eine Reihe von Gastsängerinnen: Auf zwei Stücken tritt die Opernsängerin Mary Thomas, die damals in England bereits eine Reputation als Sopranistin aufgebaut hatte und auch im Chor mitsang, prominent in Erscheinung. Darüber hinaus setzte Lynne wie schon beim Vorgänger auf weiblichen Hintergrundgesang. Die Namen der Sessionmusikerinnen waren im Gegensatz zu denen bei „FTM“ nie bekannt gegeben worden, was zu den wildesten Spekulationen führte. Etwas Licht ins Dunkel brachte vor kurzem Suzi Quatro in ihrer Biographie „Unzipped“, in der sie mehrfach auf ihre Schwester Patti Quatro eingeht, die in den 70ern als Sessionsängerin auf diversen Platten in Erscheinung trat. Jedenfalls soll sie eine der Sängerinnen auf ANWR gewesen sein, und Suzi behauptet, gerade bei „Livin Thing“ deutlich Pattis Stimme herauszuhören. Daneben hat wohl auch Brie Brandt-Howard, zusammen mit Patti bei der Frauenrockgruppe „Fanny“, auf Livin‘ Thing gesungen. Schließlich sei noch erwähnt, dass Brian Jones, ELOs Chefroadie, Credits erhielt für die „Castrato Tones“ auf Mission.

4. Zielsetzung, Albumentstehung und Aufnahmetechnik

Bereits mit „Face The Music“ hatte Lynne versucht, sich vom Klassikrockimage zu befreien. Dennoch schrieb die Musikpresse teilweise weiter verächtlich vom „Barock-Pop“ des ELO. Wenn Lynne also mit dem neuen Album ein Ziel hatte, dann war dies, der Welt ein- und für alle mal zu zeigen, dass man ELO nicht länger in der Klassikrock-Schublade ablegen konnte (wobei man ja auch das frühe ELO nicht nur unter dem Aspekt „Klassikrock“ betrachten sollte). Lynne richtete sein ganzes Interesse auf die Komposition künstlerisch anspruchsvoller Pop-Rock Songs. Der Song sollte noch mehr im Zentrum stehen wie schon auf „FTM“. Lynne setzte sich zum Ziel, knappe, präzise Songs mit Anfang, Mittelteil und schönem Refrain zu schreiben und zeigte sich besonders interessiert an Melodie, Harmonie und Akkordfolgen.

Auch bei den Aufnahmen zu „ANWR“ zeigt sich ganz stark das Dilemma einer aufstrebenden Band, die neben all den kräfteraubenden Tourneen auch noch die Zeit finden muss, um dazwischen Aufnahmesessions für ein neues Album einzuflicken. Wahrscheinlich fing Lynne nach dem Ende der kräfteraubenden Amerika-Tour ca. Ende April (oder doch schon früher?) ernsthaft damit an, neue Songs für ein brandneues Album zu schreiben. Schenkt man den Aussagen von Lynne aus der Rückschau (Remaster Booklet 2006) Glauben, so schrieb er das Meiste davon zu Hause in Worcestershire am Piano (im Mojo-Artikel August 2001 heisst es hingegen, dass auch ANWR in Bassins im Chalet geschrieben wurde, welches Lynne für OOTB aufsuchte). Die neuen Ideen wurden dann auf einer Bang&Oluffson Tonbandmaschine festgehalten und anschließend die Basisstücke für einige Tage mit den Bandmitgliedern eingeübt. Im Mai 1976 begann in der Tourneepause im Musicland (die Englandgigs waren erst mal abgeblasen worden) die Arbeit an den Backing Tracks, die aber für die Auftritte in England im Juni unterbrochen werden musste, aber dann im Juli wieder aufgenommen werden konnte. Nach wenigen Wochen wurden die Sessions in London fortgesetzt. Im Mittelpunkt standen hier die Aufnahmen von Orchester und Chor. All dies wurde angeblich in nur einer einzigen dreistündigen Session aufgenommen. Man hatte es auch eilig, denn im August standen schon wieder Konzerte in Amerika auf dem Plan. Nach den US-Konzerten folgten noch auf den letzten Drücker einige Nachbereitungen und Overdubs (vermutlich wurden hier auch die weiblichen Backing-Gesänge noch hinzugefügt) in Los Angeles, ehe das Album bereits im Oktober veröffentlicht wurde.
Es gibt diese spektakulären Geschichten, wie praktisch noch beim Mastern einige Effekte (Telephone Line: das Telefon; Livin’ Thing) hinzugefügt wurden, was bei den mastering engineers einige Schweißperlen verursachte. Aber es ging gut.
Es dürfte deutlich geworden sein, dass Lynne nun immer stärker zu einem Overdubverfahren hin tendierte. Ob er schon genau so vorging wie bei OOTB (es gibt auch Aussagen, dass gerade manche Basistracks recht flott (live im Studio?) aufgenommen wurden, und man häufig den 1. Take verwendete), sei dahingestellt, aber es ging in jedem Falle in diese Richtung. Und auf die Technik des Schlagzeugdoubletrackings hat man sehr stark zurückgegriffen.

5. Genre, Konzeption, Klangbild

„It’s not classical rock. It never has been, but when it started, it needed a name. It had to be put into a bag” [Jeff Lynne, Melody Maker April 1977]. Jeff Lynne schien Mitte der 70er reichlich Mühe zu haben, die Rockjournalisten davon abzubringen, ELO weiterhin mit dem Etikett “Klassikrock” zu versehen. Natürlich war es schon so, dass ganz am Anfang selbst Jeff Lynne noch den Ehrgeiz hatte, das perfekte Klassikrock-Album abzuliefern. Aber nachdem er gezeigt hatte, dass er das konnte, konnte er das starke Bedürfnis zum Schreiben von geradlinigen Poprocksongs ohne Rücksichtnahme auf irgendwelche Klassikrockvorgaben nicht mehr länger unterdrücken und hat, wie bereits geschildert, spätestens mit „Face The Music“ tatsächlich dem Konzept „Verschmelzung von Rock- und Klassikelementen“ keine primäre Bedeutung mehr beigemessen. Was nicht heisst, das Anspielungen und Einflüsse aus der Klassik völlig aus seiner Musik verschwanden. Auch auf „A New World Record“ gibt es sie. Man denke nur an den Operngesang. Aber es ist eben ein Einfluss unter vielen. Dieses Konzept, sich aus allen möglichen Stilrichtungen inspirieren zu lassen und daraus einen eigenen Sound zu basteln, erreichte mit ANWR praktisch seinen Höhepunkt. Im Gegensatz zu „Face The Music“ ist es auch kaum möglich, irgendwelche Schwerpunkte auszumachen. Klassik, 50er Rock ‚n’ Roll, Santo and Jonny, die ganze Bandbreite der 60er-Musik inklusive aller Helden von Jeff, aktuelle Trends wie Hard Rock, Operatic Pop, die aufkeimende Discomusik der 70er oder elektronische Innovationen, bei keinem Album Lynnes trifft die Aussage mehr zu, dass er praktisch die ganze Musikgeschichte verarbeitet. Wobei man vielleicht doch eine Tendenz ausmachen kann: die Ausrichtung auf Amerika. Aufgrund des Erfolgs in Amerika war es wohl das Naheliegendste, sich noch stärker als vorher von amerikanischen Gruppen beeinflussen zu lassen. ELOs „Neue Welt“-Platte wurzelt doch sehr stark in den verschiedenen Spielarten des amerikanischen Pops/ Rocks mit Vokalharmonien. Lynne sprach explizit die Beach Boys (natürlich) und Doobie Brothers an.

Textlich gesehen ist ANWR ohne durchgehendes Konzept. Es dominieren funktionale Poptexte: Liebeslieder (bzw. eher zerbrochene Liebe), Geschichten, Abstraktes und gar ein versteckter sozialer Kommentar (Mission). Die Konzentration auf den Song als solchen zeigt sich auch darin, dass man dieses Mal (fast) ganz auf die typischen Interludes verzichtete. ANWR zeigt dennoch die für Lynne typische doppelte Herangehensweise (jedes Stück als potentielle Single, aber alle Stücke fügen sich zu einem größeren Ganzen zusammen): einheitliche Atmosphäre und Soundscape und die Anordnung der Stücke stellen dies sicher. Der Opener „Tightrope“, der mit seiner langen Einleitung das Album eröffnet und der grandiose Schlusssong Shangri-La mit seinem dramatischen Finale bilden eine ideale Klammer.
Was das Klangvolumen anbelangt, fügt sich „ANWR“ nahtlos ein in die mit „Eldorado“ begonnene Reihe von Bombastsound-Alben: das Orchester nimmt wieder einen großen Raum ein. Bezüglich der Instrumentation lässt sich mit „ANWR“ ein neuer Trend bei ELO beobachten: das Experimentieren mit der Übereinanderschichtung verschiedener Keyboardsounds. So wuchs das Arsenal an Keyboards allmählich immer mehr an und umfasste für ANWR Wurlitzer Electric Piano EP 200, Mellotron, SLM Concert Spectrum, Hohner Clavinet, Mini Moog, Micro Moog, Yamaha C7 Grand Piano und eventuell Synthesizer von Roland (darauf deutet ein Artikel aus 2001 Roland Usergroup, der aber aufgrund der Angabe des Modells – kann nicht zutreffen – mit Vorsicht zu genießen ist). Bei einigen Stücken von ANWR kann man sogar so weit gehen und von einer Blaupause für den späteren Synthpop sprechen. Auf dem Song „So Fine“ kommt gar mit der Mini-Moog Drum eine frühe E-Drum zum Einsatz.
Im allgemeinen lässt sich eine große Risikofreudigkeit bzgl. Effektgeräten und auch technischen Innovationen erkennen. Bei ANWR lässt sich ein besonderes Interesse an (punktuellem) Echo, Delay und Phasing erkennen, wobei nicht nur Gitarren, sondern gerade auch die Streicherklänge in dieser Weise verfremdet wurden. Unter den Effektgeräten befinden sich Maestro Phase Shifter, Maestro Echoplex, Systech Phasor, Mutron Phasor und Mutron III.
Trotzdem sollte jetzt nicht der Eindruck entstehen, dass Gitarren auf ANWR nicht zur Geltung kommen. Im Gegensatz, sie werden sehr variabel auch als Lead-Instrumente eingesetzt. Vom Riff Rock solcher Stücke wie Do Ya und Rockaria! Zum grandiosen Slide-Gitarrenspiel auf Shangri-La bietet Jeff die ganze Bandbreite von Stilen und Spielweisen auf. Unter den verwendeten Gitarren finden sich eine Reihe von akustischen Gitarren (Ovation Legend, Ovation Pacemaker à wenn auch nicht mehr so im Mittelpunkt wie noch auf FTM) und elektrischen Gitarren (u.a. Gibson Les Paul, Gibson L5S; Marauder; Gibson SG Custom; die in Japan hergestellte Electra X-320 (70er-Jahre-Firma) und auch die Fender Stratocaster, obwohl nicht aufgelistet).
Variabilität kennzeichnet auch den Gesang, bei dem Jeffs Gesangsanteile gegenüber FTM, als Groucutt teilweise gar die Leadstimme sang, noch verstärkt wurden. Jeff variiert zwischen rauem Rockröhrengesang und sehr gefühlvollem, sanftem Balladengesang, und die Harmoniegesänge sind bis zur Perfektion abgestimmt. ANWR ist auch ein perfekt aufgenommenes Album, das auch durch die Klarheit des Sounds fasziniert.
Wie soll man also ANWR bzgl. des Genres einordnen? 70er-Bombastrock? Früher orchestraler Synthpop? Verbleiben wir doch am besten mit Jeff Lynne: „I just call it music.“ [Melody Maker, April 77]. ELO ist eben ELO.

6. Die Songs
– Tightrope
Ähnlich wie das Vorgängeralbum (aber im Gegensatz zu OOTB) wird das Album mit einem Song eröffnet, der mit einer weitschweifigen Einleitung beginnt. Diese macht schon klar, dass das Stück geschickt den Bogen schlägt zwischen neoklassischen Einwürfen, Space Pop (die Keyboards) und Rock ’n‘ Roll-Rhythmus. Auch die punktuell eingesetzten Echoeffekte prägen den Song, der, textlich abstrakt und bildhaft, davon handelt, in Schwierigkeiten zu stecken und nach Hilfe zu rufen.
– Telephone Line
Dieses hochemotionale, balladenhafte Stück wird von Jeff z.T. mit „Telefonstimme“ vorgetragen, ehe der vielstimmige Refrain hereinbricht. Das Telefonläuten am Anfang wurde auf dem Moog kreiert, nachdem man von England aus eine Nummer in Amerika angerufen hatte, von der man wusste, dass niemand abhebt. Richard Tandy stellte dann die Oszillatoren genau auf die zwei Noten des Rufzeichens ein.
– Rockaria!
ist eine Melange aus 12 Takt Rock ’n‘ Roller und Oper. Es wird mit klassischen Zitaten und Passagen die Geschichte eines Rocksängers und einer Opernsängerin erzählt, die sich näherkommen, genauso wie die klassischen Passagen und Rockpassagen sich überlagern. Das Stück war nach Jeff auch als Parodie auf das eigene Klassikrockimage entstanden und ist mit seinem urkomischen Intro – der Fehlstart und das nicht ganz saubere Deutsch von Mary Thomas (sie singt in etwa ‚wietr in die Ferne, die Musik spielt/bzw. man hört die Musik) wurden von Jeff frecherweise so belassen – der Funsong des Albums. ELOs zweiter „Opernsong“ (der erste war Nellie Takes Her Bow) wurde vielleicht auch von Queens Bohemian Rhapsody inspiriert. Im Unterschied zu Queen verwendet man eine echte Opernsängerin (ist dies etwa der erste Crossovertrack dieser Art?)
– Mission (A World Record) beinhaltet die Geschichte von Außerirdischen, die auf die Erde kommen und den Zustand unseres Blauen Planeten kommentieren. Es ist einer dieser typischen indirekten Kommentare Jeff Lynnes (man vergleiche auch Save Me Now von AT, der aus dem Blickwinkel der Erde geschrieben ist), was er offensichtlich dem erhobenen Zeigefinger vorzieht. Der Gitarrenriff lehnt sich nach Jeff an die Art des Gitarrenspiels bei den Shadows an. Produktionstechnisch ist das Stück wegen der Vielzahl elektronischer Effekte äußerst reizvoll. Die rückwärtsgesprochene Zeile am Anfang heisst nach neuestem Erkenntnisstand doch eher „here is Electric Light Orchestra calling you from Planet Earth“.
– So Fine
orientiert sich ein wenig an amerikanischen Harmoniegruppen und zeigt auch deutlich den Einfluss von Disco. Hier findet die Mini Moog Drum Anwendung, damals sehr innovativ. Der Break nach dem 2. Refrain ist bemerkenswert: alle Instrumente setzten kurz aus und kommen dann nach und nach wieder zurück. Auch der Schlussteil ist atemberaubend, geht er doch direkt in Livin‘ Thing über. Dieser Effekt wurde erreicht, indem man die Bandmaschine ausstöpselte: „[The dropping end to So Fine] was getting the two track and… and just basically switching it off, y’know, the motors off. So that it went ‚BWEEEeeeer‘ and when it got to the… to the key that, uh, Livin‘ Thing was in, we cut it there and just butt it straight on. So as it reached C, what Livin‘ Thing was in. So it went down from like… maybe F sharp all the way down to C, y’know, the tape went. Somewhere like that. I can’t remember the exact keys. I know it was quite a long drop.“ (Jeff Lynne, Classic Albums radio interview 21. August 1990).
– Livin‘ Thing
Nach einem Geigenintro entwickelt sich dieser Prunkpopsong mit seinem spektakulären, vielstimmigen Refrain. Interessant auch die gezupften Cellos und der Einsatz der Akustikgitarren. Textlich ist es nach Jeff Lynne einfach nur eine abstrakte Abhandlung des Themas Liebe, wohingegen viele darin einen Song zum Thema „Abtreibung“ oder „Orgasmus“ sahen.
– Above The Clouds
Dieser kurze soulige Song mit seiner verträumten Melodie, den fantastischen Streichern und den surrealen Textzeilen verdankt einiges den Beach Boys. Erwähnenswert auch die Bongo-Percussion.
– Do Ya
ist ein gitarrenbetonter Riffrocker mit verzerrten Gitarren, den Lynne ursprünglich für The Move schrieb und hier nun für ELO überarbeitete, weil er ihn sehr mochte und daraus schon immer einen ELO-Song machen wollte. Das alte Arrangement wurde weitgehend beibehalten, aber Streicher und Orchester hinzugefügt. Der Break im Mittelteil ist ein kleiner „Song im Song“, nicht untypisch für ELO-Songstrukturen.
– Shangri-La
mit seiner Anspielung auf den sagenumwobenen, mystischen Ort ist die etwas andere Art von Liebeslied, die das Sentimentale und Grandiose verbindet. Herausragend die Kombination von Slidegitarrenspiel und Synthieeffekten. Jeff war sehr zufrieden mit den Akkorden (viele verminderte Quinten und Moll-Septakkorde), und die Streicher sind großartig in Szene gesetzt. Unglaublich ist das dramatische nachhallende Finale mit dem Echogesang der Opernsängerin in einem Meer von Streichern. Der Refrain enthält eine Anspielung auf die Beatles („Faded like The Beatles on Hey Jude“). Was Jeff ausdrücken wollte: die Angebetete ist langsam aus dem Leben des Sprechers verschwunden, ähnlich wie das sich in die Länge ziehende Fade Out des Songs Hey Jude.

Outtakes etc.

a) Songs
– Surrender
wurde nach Angaben von Rob Caiger Ende der 70er in Angriff genommen, durchaus im Umfeld der ANWR-Sessions (oder etwas später). Es wurde in Jeffs Archiv aufgefunden und war ursprünglich für einen Film geschrieben worden, der aber nie zu Stande kam. Jeff Lynne hat es 2005/6 auf der Basis älterer Aufnahmen fertiggestellt. Ein kurzer, extrem knackiger Popsong mit klasse Rhythmustrack und E-Gitarre, einem Saxophonbreak (ob synthetisch oder echt, ist nicht geklärt) und extrem viel Echo auf dem Gesang.
b) Alternative Abmischungen und Songversionen
– Do Ya (Unedited alt. mix; „Flashback“)
Bei diesem Mix sind zusätzliche Streicher, Gitarrenriffs und Percussion zu hören. Die Backing Vocals sind lauter. Am Schluss überlagern sich Strophen- und Refraingesang in effektvoller Manier.
– Mission (Alternative Abmischung und Intro, „Flashback“)
Die Instrumentation ist leicht anders. Das gesprochene Intro ist völlig anders. Die Stimmen sind lauter abgemischt. Erfrischend andersartig.
– Telephone Line (Different Vocal, 2006 Remaster)
– Tightrope (Instrumental Early Rough Mix)
– Above The Clouds (Instrumental Rough Mix)
– So Fine (Instrumental Rough Mix)
– Telephone Line (Instrumental)

Alle diese Rough Mixes stammen von einem Tape, auf dem noch weitere 4 Stücke zu finden waren, die bei der Aufbereitung (beim „Backen“) unwiderbringlich verloren gingen. Vermutlich waren es weitere Frühversionen/rough mixes.

7. Fazit und Ausblick
ELOs „Neue Welt“-Platte verhalf der Band endlich auch in der Alten Welt von UK und Europa zum großen Durchbruch. Vier Hit-Singles wurden ausgekoppelt und sorgten dafür, dass das Album sowohl in UK als auch USA in die Top 10 gelangte. Doch richtig klar wird einem der enorme Erfolg dieser LP, wenn man sich die Verweildauer in den großen Hitparaden anschaut. 69 Wochen in Amerika, und gar 100 in Großbritannien. Innerhalb eines Jahres wurden mehr als 5 Mio. Exemplare verkauft., sprich ANWR verkaufte sich öfter als alle vorherigen Alben zusammen. Die mit spektakulären Lasereffekten angereicherte ANWR-Tour bescherte ELO fantastische Kritiken und ausverkaufte Vorstellungen, wobei der Höhepunkt ein Auftritt in New Yorks Madison Square Garden war. ELO hatten es geschafft und waren endgültig zu einer der Supergruppen der 70er aufgestiegen. Sie hatten nun die ganze Welt erobert und stellten reihenweise neue Weltrekorde auf. Was sollte nun als nächstes kommen? Die Herrschaft über das ganze Universum? Nun, bei einigen Konzerten in LA hatten einige Menschen, als ELO gastierten, panisch von einer UFO-Invasion berichtet (die vielen sich reflektierenden Laserstrahlen!). Noch wurden sie belächelt, doch letztlich sollten sie Recht behalten …

Quellen
Neben den üblichen Informationsquellen (ELO-Bücher) und den oben angeführten ELO-Seiten im Internet ist besonders auf die Ausgaben 20, 24, 30 und 32 des deutschen ELO-Fanzines Face The Music Germany zu verweisen. Das Booklet zur Remastered-Edition 2006 enthält einen sehr informativen, von ELO-Archivator Rob Caiger geschriebenen Text. Dazu kommen dann noch einige Zeitschriftenartikel wie der aus dem Melody Maker April 77 und Magazin Circus Jan 77. Jeff selbst hat die meisten seiner Songs im Rahmen der „Classic Albums“ Radiosendung von August 1990 kommentiert. Eine Transkription findet sich jeweils bei der Jeff-Lynne Songdatabase.

Updates:
07.02.09: Ergänzungen zu Backgroundsängerinnen

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