Re: Electric Light Orchestra (ELO) – Jeff Lynne

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pelo_ponnes

Registriert seit: 13.04.2004

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Hallo, ein paar Anmerkungen zu Euren lebhaften Diskussionen aus meiner Sicht:

1. Latitude 88 North

Also, ich bin da anderer Auffassung als Electric Light Soccer. Mein Problem ist, dass ich kein Musiker bin, und immer so schlecht klarmachen kann, was mir da auffällt. Akkordwechsel und Instrumente und so, da muss ich mich immer auf andere beziehen. Aber ich denke, ich habe ein gutes Gehör. Und ich finde, Latitude ist ein Stück, an dem Lynne seeeeeehr lange herumgefeilt hat. Zunächst mal der Gesang. Der ist so variantenreich und ändert sich über das Lied mehrfach. Im Refrain der leicht verfremdete Gesang, dann mal eine Stimme, dann wieder Harmoniegesang. Ausserdem hat Lynne an der Intonation gefeilt. Allein, wie er dieses „it’s such a lonely world“ singt. So gefühlvoll und emotional. Und auch hier variiert er. Beim ersten Mal ist die Stimmführung anders als beim zweiten Mal. Und der Backing Track ist doch so liebevoll gemacht. Überall kleine versteckte Spielereien und Wendungen. Zum Beispiel die heulenden Winde am Schluss, oder das kalte „Echo“ in Form der „AAAs“ nach „I heard a cold voice call“. Oder die ganz dezenten backing vocals in der nächsten Strophe (Then I knew that you were gone). Schon mal darauf geachtet? Oder wie die Streicher/Keyboards eingeblendet werden und einen Raum schaffen. Das Gitarrensolo vorm Finale. Der beränderte Rhythmus und die Gitarre im „Frozen Shadows“-Teil. In dem Song passiert über 3 Minuten so wahnsinnig viel, dass es mich schon überrascht, wenn man glaubt, dass Jeff ihn nur so halbherzig anging. Ich liebe das Stück.

2. Remasters und Bonustracks

Ich denke, bei den Bonustracks ging es auch darum, Einblick in die Arbeitsweise zu geben oder intererssante Songiden vorzustellen. Natürlich sind Demos qualitativ nicht mit fertigen Songs gleichzusetzen. Trotzdem: das Demo von Dark City zum Beispiel finde ich so cool, dass ich froh bin, dass es veröffentlicht wurde. Bei den 2001-Remastern, die Rob gerne nochmal machen möchte, war halt das Problem, dass Sony es ziemlich eilig hatte und Rob nicht direkt involviert war. Später wurde noch mehr Material gefunden.
Was die fertigen Songs unter denBonusstücken betrifft: Neunzig Prozent allererste Sahne in meinen Augen: Tears In Your Life ist auch mein absoluter Favorit – einen solch spektakulären Backing Track habe ich im Bereich Pop/Rock noch nie gehört – , aber auch all die anderen Flashback-Nummern liebe ich. Heaven Only Knows Alt, In For The Kill, Sorrow about to Fall – großartig. Latitude und Surrender super. The Quick and the daft ist cool. Und was die Länge betrifft: Believe Me Now ist auch nicht länger, also durchaus denkbar, dass The Quick and the daft in ähnlicher Weise auf OOTB eingebaut hätte werden können. Auch Everyone’s Born To Die ist eine starke Nummer, und die alternative Version von Evil Woman schätze ich auch sehr. Nicht zu vergessen Endless Lies 83. Fazit: Ich möchte diese Stücke nicht missen. Ist halt wie immer Geschnmackssache.

3. der Artikel
So schlimm finde ich den Artikel noch nicht mal. Auch wenn einige Vergleiche an den Haaren herbeigezogen sind, hat der gute Autor immerhin schon mehr von Lynnes Herangehensweise kapiert als die Leute (jüngst wieder Peter Felkel im ME, der aber eine sehr positive Rezension von OOTB liefert), die immer nur die Beatles-Einflüsse sehen. Natürlich hat diese Rezension so einen Unterton nach dem Motto „ELO sind nicht absolut topp, weil sie ihre Ideen zum Teil anderen verdanken“. Da ist also ein Rezensent, der zähneknirschend zugeben mus, dass er das Album gut findet, aber dies „abzumildern“ versucht, um weiter ernstgenommen zu werden. So sehe ich das.
Was der gute Rezensent noch nicht verinnerlicht hat oder nicht wahrhaben will: Lynne synthetisiert die Myriaden von Einflüssen in einen neuen, ureigenen Sound, der völlig auf eigenen Füßen steht. Er nimmt sich „bits“ von diesem und jenen (was er nie geleugnet hat), kombiniert es mit anderen Sounds, mischt alles zusammen und kocht sich sein eigenes Süppchen. Das ist eigentlich die Arbeitsweise der meisten großen Bands gewesen. Und nicht zuletzt die Beatles haben’s auch so gemacht (vielleicht ist diese Herangehensweise das Eigentliche, was Lynne sich von den Beatles abgeschaut hat: das Selbstbewusstsein zu besitzen, wirklich alle möglichen Einflüsse miteinander zu kombinieren). Die Stones sowieso. Coldplay neuerdings haben mal für ein ganzes Album aufgelistet, von welcher Gruppe jeweils ein Song hauptsächlich beeinflusst wurde. Pop/Rock ist nunmal ekklektisch in seiner Art. Und Leute wie dieser NDW-Star, dessen Name mir jetzt nicht einfällt, basteln sich heute Lieder zusammen aus lauter Sample-Schnippseln alter Lieder und treiben es somit auf die Spitze.

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