Re: Electric Light Orchestra (ELO) – Jeff Lynne

#2576707  | PERMALINK

pelo_ponnes

Registriert seit: 13.04.2004

Beiträge: 2,811

Nun, im März geht es ja langsam los mit VÖ von Roy Wood über ELO Remasters bis was weiss ich (wobei die VÖ-Daten nicht bestätigt sind; für Teil 1 der ELO-Remasters wird teilweise als Termin der 28.März angegeben, mehr dazu wohl bald). Auf jeden Fall verführt all dies zum Träumen.

Womit wir beim Album „Eldorado“ wären, dass ich etwas genauer unter die Lupe nehmen möchte.

Electric Light Orchestra (ELO) – Eldorado (1974)

Eldorado ist das liebste ELO-Album von Roy Wood, der damals sagte, dass sich die Musik darauf genauso anhörte wie die Musik, von der er im Zusammenhang mit der „Idee ELO“ immer geträumt hatte. Es war auch eines der Lieblingsalben von Brian Wilson im Jahre 1974.

QUELLEN: meine Quellen sind insbesondere die zu Beginn des Threads angebenen Internetseiten, die Bücher „Blackberry Way“ (Jürgen Wanda), „Unexpected Messages“ (Guttenbacher/Haines…) und die Publikationen des deutschen ELO-Fanclubs, insbesondere FTM 22 und Newsletter 100. Hinzu kommen einige Interviews/Artikel, z. B. Sounds September 74 und Trouser Press 1976.

1. Allgemeine Albuminformationen

– VÖ September? 1974 (US) United Artists, Jan 1975 (UK) Warner Brothers
– Recorded at: De Lane Lea Studios, London.
– Producer: Jeff Lynne
– Recording engineer: Dick Plant.
– all songs by Jeff Lynne
– Cover Design: j. Kehe (das Cover zeigt eine Szene aus dem Kultfilm „The Wizard
of Oz“ mit Judy Garland.

2. Musiker/Mitwirkende
– Jeff Lynne: vocals, guitar, Minimoog, bv, (bass)
– Richard Tandy: Moog, Piano, guitar, backing vocals
– Bev Bevan: drums, percussion
– Hugh McDowell – Cello
– Michael Edwards – Cello
– Mik Kaminski – Violin

Michael de Albuquerque spielt entgegen der Albumcredits nicht Bass auf dem Album. Der bekannte Peter Forbes-Robertson spricht den Prolog. Weitere Gäste sind Louis Clark als Dirigent/Arrangeur, ein 30-oder 40köpfiges Orchester und 20 Mann-Chor (die Angaben widersprechen sich)

3. Zielsetzung

Jeff Lynne hatte sich für das neue Album folgende Hauptziele gesetzt:
1. er wollte noch mehr Wert auf Melodien und klare Songstrukturen legen. Im Ansatz hatte er dies bereits auf OTTDay getan. Jeff spornte vor allem die Kritik seines Vaters an, der gesagt hatte, das Problem von Jeffs Stücken sei, dass sie keine Melodien hätten.
2. trotz des verstärkten Anstrebens von richtigen Rock/Popsongs hatte Lynne zu diesem Zeitpunkt zugleich noch die Ambition, die Möglichkeiten der Rockmusik mit Themen der klassischen Musik zu verbinden. Auf späteren Alben ging es Lynne nur noch um Pop/Rock mit Streichern (trotz gelegentlicher symphonischer Elemente), und er wollte mit Klassikrock nichts zu tun haben. 1974 sah er sich aber noch stärker in der Tradition des Progressive Rock, wobei ELOs Ansatz meist war, Rockstücke mit klassischen Instrumenten zu spielen, und nicht umgekehrt, wie bei einigen anderen Bands.
3. Bisher hatte Lynne keine Orchester zu ELO-Aufnahmen herangezogen. Die Streicherparts wurden von Bandmitgliedern gespielt, d. h. 2 Cellos und 1 Violine, manchmal double-tracked. Dies war schließlich das ursprüngliche Konzept von ELO gewesen: eine Band mit eigener Streichersektion. Doch Lynne erkannte zunehmend die Grenzen des Multitracking und traf für das anstehende Album die richtungsweisende Entscheidung, einen Chor und ein Orchester zu benutzen. Diesen Schritt sah er als unumgänglich an für den monumentalen Sound, den er anstrebte. Der NME brachte es im Februar 75 auf den Punkt: ein guter Rocksong kommt ohne ausgetüftelte Arrangements aus, aber in diesem Falle seien diese Arrangements absolut entscheidend. Jeff Lynne hatte eben eine Vision, die Arrangements waren Teil des Ganzen (und nicht etwa Verschnörkelung).

4. Albumentstehung und Aufnahmetechnik

Die Eldorado-Sessions begannen im Februar 1974 (zunächst übergangsweise mit Kenny Denton als Toningenieur, ehe Dick Plant übernahm) und wurden im Juli fortgesetzt, möglicherweise noch bis in den August hinein. Im Nachbarstudio arbeitete Louis Clark an den Arrangements für ein Musical von Raymond Froggatt. Lynne schaute mal vorbei, war begeistert und fragte Clark, ob er auch für ihn arbeiten würde. Der Rest ist Geschichte. Schwierig gestalteten sich die Aufnahmen mit dem Orchester. In England waren die Mitglieder in sogenannten Music Unions (Gewerkschaften) organisiert, und dementsprechend verhielten sie sich. Sie spielten punktgenau für die gebuchte Zeit, dann Feierabend. Keine Minute länger.

Über die Art und Weise, wie das Album aufgenommen wurde, sind zum jetzigen Zeitpunkt keine ausführlichen Informationen vorhanden. Sicher scheint nur, dass das Album (16 Spur-Aufnahme?) eine Zwischenstellung einnimmt zwischen der Herangehensweise der Vorgängeralben (vorwiegend Live-in-the-Studio) und den Nachfolgealben (Overdub-Verfahren dominant). Der größte Anteil der Musik wird von der Gruppe gespielt. Die Aufnahme klingt für ein derart komplexes Album äusserst frisch und spontan. So hört sich das Schlagzeugspiel so an, als sei es in einem Rutsch aufgenommen worden. Sicher gab es einige Overdubs und Soundspielereien, aber wohl nicht in dem Maße wie auf späteren Alben. Dennoch scheint Lynne die vocals bereits ganz am Schluss eingesungen zu haben, wie später üblich. Das Orchester wurde für die Overture, CGIOOMHead, Mr Kingdom und Finale benutzt, ausserdem spielt es passagenweise (mehr in den Hintergrund gemischt) bei Poor Boy, Nobody’s Child und Boy Blue. Bei Mr Kingdom wurden die gruppeneigenen Streicher und das Orchester sogar zusammengemischt.

5. Konzeption, Genre und Klangbild

Eldorado ist als Konzeptalbum angelegt. Dabei greifen textliches und musikalisches Konzept ineinander. Textlich geht es um einen Charakter, der nur in seinen Träumen lebt und die Realität nicht ertragen kann. Die einzelnen Stücke spiegeln die verschiedenen Träume wider. Es gibt Verweise auf Legenden, Märchenbuchhelden und berühmte Persönlichkeiten (William Tell, Herr Königreich, Ivanhoe, Lancelot, Regenbogen, Shakespeare, Leonard Cohen, Rolling Stones, Robin Hood…). Ähnlich wie bei TIME geben die Texte nur die Rahmenhandlung vor. Entscheidend sind die Bilder, die sie hervorrufen. Die genaue Auslegung der Geschichte ist Sache des Hörers.
Der Untertitel der LP weist auf das musikalische Konzept hin: A Symphony. Schon bei OTTDay hatte Lynne die Einzelsongs in einer Suite verbunden. Bei Eldorado ging er noch einen Schritt weiter und verband die einzelnen Songs nach dem Muster einer klassischen Symphonie. Es gibt Ouverture, Finale und bestimmte Themen, die sich wiederholen. Auch bei späteren ELO-Alben findet sich der Ansatz, Einzelsongs in einer Suite zu verbinden. Dabei orientierte sich Lynne allerdings nicht mehr so stark an den traditionellen Elementen einer klassischen Symphonie.

Versucht man eine Einordnung von Eldorado im Hinblick auf das Musikgenre, muss man verschiedene Ebenen unterscheiden: auf der einen Seite hat Lynne mit Eldorado ein Musterbeispiel für eine Klassikrock-LP geschaffen. Eldorado verweist somit einerseits auf die progressiven Wurzeln der Band. Auf der anderen Seite war Eldorado mit seinen eingängigen Melodien und dem polierten Sound auch ein deutlicher Schritt in Richtung Artpop. Bezüglich des Klangbildes kann man Eldorado als Bombastpop/Rock mit ausgetüftelten Arrangements und Wall Of Sound klassifizieren. Dominierende Elemente des Albums sind die Orchesterparts, die choralen backings und die monumentalen Keyboardteppiche. Insbesondere der Minimoog spielt eine entscheidende Rolle, wobei es andererseits auch ein paar tolle Gitarrenläufe gibt. Ferner möchte ich noch den majestätischen Gesang hervorheben und die dezenten Harmonien, die so typisch sind für das Album. Insgesamt ergibt sich eine unvergleichliche panoramaartige Produktion. Der Hörer wird in eine ferne Welt der Vergangenheit und Fantasie hineingezogen, und dabei sind die „sinnlosen Streicher“ (Hallo Sparks-Freunde) sehr sinnvoll.

6. Die Songs

– Overture
Orchestrales, fast klassisches Stück mit ergreifenden, herumwirbelnden Streichern. Lynne selbst verglich es in der Herangehensweise mit Sachen von Tchaikovsky.

– Can’t Get It Out Of My Head
Ein Piano Intro führt in den Song. Es ist eine tolle Ballade mit magischen Keyboardteppichen und Soli. Herrlich der Gesang und die Harmonien. Das Keyboard ist ein Minimoog, vielfach multitracked.

– Boy Blue
Textlich ein Stück über einen mittelalterlichen Helden, ist es eine rockigere Nummer, mit vielen verschiedenen Teilen. Nach dem Orchester-Intro hört man die drei ELO-Streicher, die auch beim Chorus spielen. Erwähnenswert die gezupften Streicher, wie sie später auch bei Livin‘ Thing auftauchen.

– Laredo Tornado
bezeichnet Lynne als eine Art Protestsong gegen die Betonburgen der 70er. Der funkmäßige Moog, dreckige Gitarre und rauchiger Gesang machen den Song aus, dazu der grandiose Refrain.

– Poor Boy
Ein Robin Hood-Charakter, der sich Marion ausgedacht hat, so Jeff im Wortspiel (Made-maid Marion), steht im Mittelpunkt. Ein Up-Tempo-Song. Das Orchester umspielt den Song förmlich. Einige tolle,treibende Gitarrenparts und atemberaubende Harmoniegesänge. Wiederaufnahme des Ouverture-Themas.

– Mr Kingdom

Sehr orchestrales Stück. Jeffs Stimme ist etwas im Hintergrund. Ein Refrain mit großartigen Streichern, Gitarren und Satzgesängen. Textliche Anspielung auf Shakespeare (Oh to sleep perchance to dream), musikalisch teilweise beatlesk.
Toller Schluss mit aufsteigender Dramaturgie und 109 Synthietönen (haben die Jungs von FTM gezählt :) )

– Nobody’s Child

Junger Mann wird in Traumwelt von älterer Frau verführt. Stilistische Verweise auf 30er Jahre Blues/Jazz. Angeblich kann man im Pianoteil die Mitglieder der Musikergewerkschaft hören, wie sie ihre Instrumentenkoffer zusammenpacken. Andere Quellen behaupten, das höre man am Ende von Eldorado-Song.

– Illusions in G Major
Fifties Rock ’n‘ Roll in Chuck Berry Manier, allerdings ergänzt um ein paar Soundspielereien (Stimme). Thematisch geht es um einen Rock ’n‘ Roller, der sich einem Psychater öffnet. Die Stones und L. Cohen werden erwähnt. Keats und Browning.

– Eldorado

Textlich geht es um die Entscheidung des Träumers, dieser Welt durch den Tod zu entfliehen. Die Traumwelt ist ihm lieber. So endet er „high on a hill“ (früher wurden die Toten auf Hügel beerdigt). In musikalischer Hinsicht ist es eine traumhafte orchestrale Ballade, mit majestätisch-monumentalem Gesang und flächigen Keyboards. In der Ferne hört man Chorgesänge. Dazu die Moog-Effekte und das Electric Piano. Großartig.

– Finale

Der Titeltrack geht über ins Eldorado- Finale mit dem verhallenden Echo des Sprechers aus dem Prolog.

OUTTAKES/demos etc

– Dark City (demo) (auf Remaster Edition)
kurzes, aber cooles Demo, eine nie ausgeführte Songidee für Eldorado. Jeff spielt akustische Gitarre und singt gespenstisch verzerrt.

– Eldorado Instrumental Medley (Remaster)
Stammt aus der Zeit der Aufnahmen und ist absolut genial. Hier hört man die Feinheit der Streicherarrangements, die Bläser usw. Toll.

– Weitere Stücke
Nach Rob Caiger nahm ELO in der Zeit einige weitere Songs als potentielle B-Seiten auf, die aber dann doch nicht benutzt wurden

– Indian Queen (Demo-Flashback)
Eine weitere Songidee für Eldorado. Das Demo klingt klanglich genauso unfertig wie Dark City, aber weniger aufregend.

– Indian Queen (Kenny Everett-Show) (langes Demo)
Ist ein anderer Song als das Demo gleichen Namens. Wurde in den 70ern in Kenny-Everett Show gespielt. Entgegen früherer Aussagen war es nicht Teil der Eldorado Sessions, sondern wurde im September 74 aufgenommen. Jeff erinnert sich heute an das Stück als einen SEINER Songs, die er mit Sight And Sound aufgenommen hatte.

– I see no one there/Billion Dollar Brain (Demo)
Kurzes Demo, dass eventuell in der Eldorado-Zeit entstanden ist.

P. S.: Auf dem Fantreffen 2004 hat Rob Caiger noch einige weitere Alternativversionen von Eldorado-Stücken vorgespielt.

Updates:
19.07.09: Präzisierung bzgl. Orchesterbeteiligung
18.12.11: Präzisierung bzgl. aufnehmenden Toningenieuren

--