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Electric Light Orchestra (ELO) – Discovery (1979)
Quellen: Wiederum beziehe ich mich auf die Aussagen in den zentralen Interviews zum Album und beziehe die zusätzlichen Informationen mit ein, wie sie sich auf den ELO-Fanseiten und in den ELO-Fanmagazinen wiederfinden (insbesondere FTM Germany Ausgabe 30). Auch die Bücher „Blackberry Way“ von J. Wanda und das ELO-Buch „Unexpected Messages“ enthalten einige zusätzliche Infos. Aufschlussreich ist das Mack-Interview aus Tape Op von Anfang 2011.
1. Albuminformationen
– VÖ 1979 Jet Records
– recorded at: Musicland Studios, München
– Producer: Jeff Lynne
– engineered by: (Reinhold) Mack
2. Musiker/Mitwirkende
– Jeff Lynne: Leadgesang, backing vocals, Lead and rhythm guitar, piano
and synthesizer
– Richard Tandy: all synthesizers, grand pianos, electric piano and clavinet
– Bev Bevan: Drums, Roto Toms, Percussion
– Kelly Groucutt: Bass, vocals, backing vocals.
Ausserdem beteiligt 42-köpfiges Orchester (Münchner Philharmoniker) und 30-köpfiger Männerchor. Arranged by Lynne, Tandy und Louis Clark.
An einigen Tracks hat Lynne aber auch fast alleine oder nur mit Richard Tandy gearbeitet. Bestes Beispiel ist wohl Don’t Bring Me Down.
Die bandeigene Streichersektion war an den Aufnahmen nicht beteiligt und wurde nur für die Videoclips nochmal in Anspruch genommen.
3. Albumentstehung
Die meisten der Songs schrieb Lynne bereits im Urlaub auf Barbados. Wobei der Urlaub extra dafür gedacht war. Im Studio entstanden dann noch einige weitere Stücke, zum Beispiel Don’t Bring Me Down. Viele Demos und Songideen wurden an einme CS-80 Keyboard entwickelt.
Die für das Endprodukt verwendeten Aufnahmen wurden im März und April 1979 aufgenommen.
4. Zielsetzung/Stil
Discovery ist textlich gesehen kein Konzeptalbum. Auch wenn Jeff immer gesagt hat, dass er sich in seinen Songs nicht auf Persönliches beziehen kann, spiegelt sich Jeffs private Situation doch in den Texten der Lieder wider: es sind einfache Poptexte, zum Teil positive Liebeslieder, aber auch Stücke über enttäuschte Liebe, Verwirrung, und Sehnsucht. Es findet sich auch ein Stück mit einer Geschichte über einen Charakter, wobei sich darin durchaus Jeffs eigene Situation widerspiegelt. Trennung von seiner erster Frau, neue Liebe und eine gewisse Angst vor der eigenen Courage, einen neuen Lebensabschnitt zu beginnen. Trotz gewisser persönlicher Bezüge sind die Texte eher funktional und nicht wirklich von Bedeutung für das Album (wie so oft bei Jeff Lynne – Ausnahme zum Beispiel ZOOM). Beispiel: CONFUSION: eigentlich genügt dieses eine Wort, der Rest der lyrics ist Füllwerk.
Musikalisch gesehen ist Discovery aber ein wohl durchdachtes, strukturiertes Album mit klarem Albumopener und Closer, und einer durchgehenden Atmosphäre und Klangbild. Balladen und Upo Tempo Nummern wechseln sich ab, ein Rad greift ins andere. Man taucht mit dem ersten Song in eine Klangwelt ein, die man erst nach dem Ende des letzten Songs wieder verlässt.
Stilistisch gesehen betonte Lynne damals, dass er bewusst kein „OUT OF THE BLUE PART TWO“ erschaffen wollte. Lynne war damals (und ist immer noch) fasziniert von den (damals) neuartigen Discoklängen. Der Einfluss des Discosounds zeigt sich auf einigen Stücken des Albums, es fallen die betonten Bassläufe auf, ebenso gingen die Gesangsstimmen eine halbe Oktave höher als auf den Vorgängeralben.
Der Titel „Disco-very“ macht auf die Beeinflussung durch den Discosound aufmerksam, dennoch ist es falsch, das Album als Disco zu bezeichnen. Eher ist es das Album einer Pop/Rock-Band, die Elemente des Discosoundes als zusätztliche Belebung in den ureigenen Sound einfliessen lässt. Eine ganz natürliche Entwicklung, zumal ELO auch zuvor, schon auf FACE THE MUSIC, mit Phillysound-Klängen u. ä. experimentiert hatten.
Was man auf Discovery zu hören bekommt, ist am ehesten noch als vielschichtiger, keyboardlastiger Elektro-Pop zu kategorisieren: die Streicher sind so leise abgemischt wie nie zuvor, der Gesang und die Harmonien stehen mehr im Vordergrund als zuvor. Man hört peitschende Schlagzeugintros und trickreiche Keyboardeffekte. Vor allem der Klang des Yamaha-CS-80 spielt auf Discovery eine große Rolle. Gitarren sind auf Discovery zwar nicht dominant, aber keineswegs abwesend. SHINE A LITTLE LOVE ist zum Beispiel recht gitarrenbetont. Oder man denke an das Slidegitarrenspiel auf NEED HER LOVE.
Nicht selten hat man ELO vorgeworfen, spätestens mit Discovery „seicht“ geworden zu sein, weil man sich der Discowelle angebiedert habe. Und das sei Tralala. Dazu ein treffendes Jeff-Zitat aus 1979: „Ich persönlich stehe auf Discobeat. Es gibt da natürlich jede Menge Abfall, aber nebenher eine ganze Menge starker Scheiben!“ Zweitens: „Seichter Pop“ impliziert für mich, dass etwas oberflächlich und ungenau produziert und schnell auf den Markt geworfen wurde, um abzukassieren. Das ist hier absolut nicht der Fall. Lynne ließ genauso Sorgfalt walten wie bei seinen früheren Produktionen. Discovery bietet Art Pop der feinsten Sorte. Die Aufnahmen sind detailreich, voller überraschender Wendungen und versteckter Soundeffekte. Jeff hat ganz tief in die Trickkiste gegriffen, und die Backing Tracks sind wie immer das Ergebnis akribischer Tüfteleien.
5. Produktion/Aufnahmetechnik
„Discovery“ ist eine typische Hochglanzproduktion des ELO. Wenn ich hier jetzt nichts durcheinanderwerfe, ist es eine 24-Spur-Aufnahme. Ansonsten ging man nach dem bewährten Schema vor. Overdubs ohne Ende. Die Rhythmusgruppe arbeitete noch stärker als zuvor zusammen. Jede Aufnahme wurde mit Bass- und Schlagzeugspur und manchmal einem rough keyboard, welches dann wieder gelöscht wurde, begonnen. Schlagzeugdoubletracking wurde auch dieses Mal angewandt. Der kompaktere, verdichtete Sound ergab sich durch eine Modifizierung in der Hinsicht, dass man sich bei diesem Verfahren nun fast ausschließlich auf die Snare konzentrierte. Eventuell auch die Bass Drum, die in der Phase zuvor (OOTB) eher nicht doppelspurig aufgenommen wurde (nach Bev Bevan).
Jeffs immer noch wachsende Begeisterung für Overdubverfahren stieß in der Band zunehmend auf Kritik. Die anderen wurden von Jeff einzeln ins Studio beordert, ohne zu wissen, um was es genau ging. Jeff sagte ihnen einfach vom Kontrollraum aus, was und wie sie zu spielen hatten.
Genauere Infos zu speziellen Aufnahmeverfahren habe ich hier nicht, werde das aber ergänzen, sobald mir was dazu in die Hände fällt. (soweit ich das als Nichtmusiker und Nicht-Studioexperte nachvollziehen kann).
6. Die Songs
– Shine A Little Love
Ein treibender Song mit etwas Discobeat. Textlich rein funktional gehalten. Man beachte aber das eingestreute „ELO“ im backing Gesang. Kleiner Gag. Jeff beschreibt das Stück als fröhlich und „bouncy“. Das Intro ist interessant: ein rückwärts eingespielter Chorgesang, Wassertropfen kreieren eine surreale Atmosphäre, bevor dann plötzlich der Temposong mit seinen märchenhaften Keyboardschnörkeln hereinbricht. (in der Singleversion fehlt leider dieses Intro)
In jüngster Zeit wurde der Refrain für den Dancetrack SHINE der Lovefreekz verwendet.
– Confusion: keyboardlastiger Midtemposong. Der CS-80 ist verantwortlich für den Großteil des Sounds dieses Stückes. Auch cleverer Vocodereinsatz.
– Need Her Love: großartige Ballade, textlich „beinahe ein richtiger Liebessong“, so Jeff. Wieso beinahe? Da stellt sich natürlich die Frage, an wen dieser Song gerichtet war. Aber das kann dem Hörer im Prinzip egal sein. Einer der Höhepunkte ist das Harrison-mäßige Slidegitarrensolo.
– The Diary of Horace Wimp
Textlich wird das Tagebuch des Horace Wimp vorgestellt. Es gibt ein Happy End. Der Samstag fehlt, und Jeff hat schon die unterschiedlichsten Begründungen dafür gegeben. Zum Beispiel: samstags ist eh ein Fußballspiel.
The Diary of Horace Wimp erinnert in Aufbau und Rhythmus etwas an Mr Blue Sky, ist aber ein völlig anders wirkender Song. Auffällig sind die zahlreichen Studiospielereien. Das Türgeklopfe am Schluss oder der rückwärts eingefügte letzte Refrain. Besonders interessant ist aber auch der ungewöhnliche Vocodereinsatz: Jeff versuchte, eine Art Percussioneffekt zu erzielen.
– Last Train To London
Ein Song im Discobeat, mit einem CS-80-Soloteil. Wurde von Atomic Kitten für BE WITH YOU gesampelt. Textlich wird auf die vielen Jahre angespielt, die Lynne damit verbrachte, zwischen Birmingham und London mit seinen TV/Radioshows hin-und her zupendeln.
– Midnight Blue: atmosphärischer, eher langsamer Song.
– On The Run: temporeicher Song mit vielen interessanten Keyboardeffekten und einem genialen vertrackten Schlussteil. Die Introeffekte wurden erzielt unter Zuhilfenahme eine Tischtennisballes auf einer T.platte und eines Glasstückes.
– Wishing: Balladesk. Herausragend der Part mit dem Harmoniegesang „you and California…“. Stark unterschätztes Stück, mein liebstes langsames Stück auf der Scheibe.
– Don’t Bring Me Down
Der rockigste und treibendste Song auf dem Album.
War der erste (veröffentlichte) Song des ELO ohne Streicher. Jeff schrieb den Song in etwa 20 Minuten und produzierte ihn in kürzester Zeit, so ziemlich auf eigene Faust. DBMD basiert auf einem DrumLoop von einem anderen Discoverysong. Zahlreiche Overdubs. Jeff: “ I overdubbed eight grand pianos, a cement mixer and two crates of Newcastle Brown Ale“ (?). Ausserdem zu hören: Samba-Rassel Percussion.
Outtakes/Demos
a) Songs
– Little Town Flirt (Tribute To Del Shannon)
Erschien auf der Remastered Edition 2001 und war als Tribut an Del Shannon gedacht. Als Hommage orientiert sich der Song stark am Original. Etwas Moog-Synthesizer. Passt nicht so recht zum Discovery-Album. Was daran liegt, dass der Song auch nie dafür geschrieben wurde. (ELO haben oft Songs ihrer Helden probeweise aufgenommen, just for fun oder um das Studio zu testen). Er wurde zwar 1979 begonnen, doch das meiste stammt aus 2001.
– Alternatives Intro (1.06): Outtake. Beginnt mit Klavier, dann setzen Schlagzeug, Bass und etwas Synthie ein und das Ganze baut sich mit viel Streichern zu einem monumentalen, bombastischen Sound auf. Von Rob Caiger beim Fantreffen in Bremen 2004 präsentiert. Angeblich das Sahnestückchen schlechthin und absolut faszinierend.
– Instrumental (Untitled): Outtake. Auch bekannt vom Fantreffen. Ein treibender Rhythmus der Band erhebt sich mehr und mehr mit Streichern.
Beim Fantreffen 2004 in Bremen erwähnte Rob ferner, dass es noch 4, 5 weitere Stücke gibt.
b) Alternativversionen
– Wishing (alt.): alternativer Mix, unreleased. Der Song fängt mit Klaviertönen und Synthieintro an. Der Refrain wird hier mehrstimmig gesungen. Ausserdem ein schönes E-Gitarrensolo.
– Don’t Bring Me Down (Neue Version)
Komplette Neuaufnahme von Jeff solo zum Gebrauch in Filmen /TV-Serien. Aufgenommen nach 2000. Orientiert sich stark am Original.
c) Demos
– On The Run Homedemo: kurzes Demo, dass Einblick in Jeffs Arbeitsweise gibt. Erschienen auf Discovery Remaster 2001.
-Second Time Around: kurzes Demo einer nie ausgeführten Songidee. Leider. Hört sich nämlich sehr vielversprechend an. Erschienen auf Discovery-Remaster 2001.
Soweit die fünfte Fassung meiner Discovery-Beschreibung. Ergänzungen bei weiteren Entdeckungen nicht ausgeschlossen.
UPDATES
– 29.06.06: Ergänzungen zu Songs
– 27.07.08: Albumentstehung und Aufnahmeverfahren ergänzt/umgeschrieben
– 12.01.09: Alternativversionen
– 10.04.12: Genauere Ausführungen zu Doubletracking des Schlagzeugs
Pelo.
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