Re: Sind Alben Gesamtkunstwerk oder Songansammlungen?

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pelo_ponnes

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Ich tendiere eindeutig zu Moontears Meinung: es gibt unterschiedliche Herangehensweisen, was die Zusammenstellung eines Albums anbelangt. Die Grundtypen:

1. Alben als reine Songkollektionen

In den 60ern war das zunächst der übliche Ansatz. Kein Wunder, dass verschiedene Alben der Beatles usw. in UK oder USA mit deutlich voneinander abweichenden Tracklistings erschienen. Aber auch später gab es Künstler wie Blondie oder Queen, bei denen Alben in erster Linie Songkollektuionen waren. Bei Blondie zum Beispiel gibt es keine durchgehende Albumatmosphäre, sondern einen bunten Gemischtwarenladen der unterschiedlichsten Songs. Disco steht neben Punk, Elektro etc. Manche Tracks klingen spartanisch-organisch, andere bombastisch-synthetisch.

Es gibt aber auch Alben, die wie ein bunter Gemischtwarenladen sind, aber bei denen ein System erkennbar ist. Eine Seite Jazzrock, eine Seite Reggae usw Roy Wood hat das mal gemacht, die Stones glaube ich auch mal. Ein Song in diesem Stil, der nächste in diesem, aber so, als ob man eine Liste abarbeiten würde.

2. Alben als reine Gesamtkunstwerke

Es gibt Gruppen wie Pink Floyd oder auch Radiohead, die bei einigen Alben das Augenmerk nicht auf Songs oder Singles richteten, sondern nur auf das gesamte Konzept. So fehlen auch oft echte Songs. Anstelledessen gibt es lange Stücke, die nur im Gesamtzusammenhang funktionieren. Diese Alben sind geprägt von einer durchgehenden Atmosphäre. So kann man Kid A sicher nicht auf OK Computer verpflanzen. Dann gibt es bei Floyd so Sachen wie Echoes oder Atom Heart Mother oder Shine On You Crazy Diamond. Überhaupt: Prog Rock und die langen, ausufernden Stücke.

3. Doppelte Herangehensweise: Songs und Gesamtwerk

Das ist die Herangehensweise von Jeff Lynne/Electric Light Orchestra. Jeff geht es seit ca. 1974 nur noch um Songs. Jeder Song soll eine potentielle Single sein. Zugleich sagt er, dass es ihm nie darum ginge, einzelne Songs zu schreiben, sondern er favorisiere Albumkonzepte. Das heisst also: viele Songs, die als einzelne Stücke funktionieren, fügen sich zugleich in ein grösseres Ganzes ein.

Zwei Beispiele:

-„A New World Record“: wie alle ELO-Alben ab 1974 könnte jeder Song eine Single sein. Aber dennoch hat Lynne sie FÜR ein Album geschrieben. Es soll eine einheitliche Atmosphäre vermittelt werden. Das sieht man an der Produktion und dem Arrangement. Telephone Line würde auf TIME fehl am Platze sein. Es fiele auf. Ausserdem gibt es einen klaren Albumaufbau: die Eröffnungsnummer TIGHTROPE beginnt mit einem langen spacigen Intro, SHangri_La endet mit einem sensationellen Finale, so dass eindeutig der Platz als Schlussnummer festgelegt ist. Auch die Anordnung der üblichen Stücke dazwischen erfolgt nach einem Konzept.

-„Time“: wieder haben wir einzelne Songs, die aber zugleich ein Ganzes ergeben, und, wenn man sie zusammenhört, ineinander übergehen mit Zwischenspielen, da es ein Konzeptalbum ist. Würde man mir ein unbekanntes ELO-Stück vorlegen, so könnte ich mit Sicherheit sagen, ob es für TIME gedacht war oder nicht, da schon der Nachfolger SM ein anderes Klangbild mit mehr Gitarren und anderen Sybnthesisereffekten aufweist.

Schliesslich gibt es so Kompromisse wie die von Pink Floyd auf Wish You were Here. Es gibt ein paar auskoppelbare Stücke, andere funktionieren nur im Albumkontext. Bowie fällt mir noch ein bzw, Mike Oldfield. Eine Seite auskoppelbare Songs, eine Seite lange Stücke bzw. Experimentelles.

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