Re: Otis´ 7" Faves

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otis
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… And The Native Hipsters: There Goes Concorde Again // Stands / Still The Building 1980 UK-Heater

Die Concorde ist längst Geschichte. Untergekommen in Richmond, in der Einflugschneise nach Heathrow, weckte sie mich viele Nächte lang zuverlässig gegen drei Uhr morgens. Aufgrund ihrer außergewöhnlichen Triebwerke war sie leicht zu identifizieren und wahrlich nicht zu überhören. Sie flog auch tagsüber, dann bekamen wir sie zu Gesicht, beeindruckender jedoch war sie in der Nacht. Uhh, listen, there goes concorde again. Das anschwellende, die nächtliche Stille des westlichen London zerschneidende, beinahe wölfische Heulen hatte etwas anrührend Animalisches, dabei gleichzeitig rücksichtslos Unabdingbares, was die Welt des Halbschlafs auf ganz eigentümliche Weise transzendierte. Ich glaubte sie dann über mir zu sehen, ganz langsam hernieder sinkend, ein hell leuchtendes Gefährt vom fremden Stern, das sich seinen Platz auf der Erde suchte, wobei sein graziles Wesen seltsam stimmig mit der Unbedingtheit des Höllenlärms harmonierte. Uuhh, look, there goes concorde again.
Seit Mitte der 70er hatte die Concorde von Heathrow aus ihre Überschall-Linienflüge nach New York aufgenommen, dennoch war und blieb sie bis zu ihrem Ende etwas Besonderes, auch für West-Londoner in der Einflugschneise von Heathrow, wie zu hören war.
Nicht verwunderlich also, dass einige junge Musiker Ende der 70er von diesem Flugzeug so angetan waren, dass es sie zu dieser Single inspirierte.
Ein unerhört gutes Stückchen Musik. Wir hören die Sprechstimme einer jungen Frau mit höchst spannungsreicher Intonation. Phantastisch, wie Nanette Greenblatt (aka Blatt) ihre Stimme einzusetzen weiß, wie sie die Worte spricht, zerdehnt, betont. Dazu hören wir einen dominant vor sich hin plumpernden Bass und ein paar Gitarren- und Synthesizer-Fills. Diese mögen zunächst etwas zerfahren und konturenlos wirken, sind aber in jedem Moment überdeutlich und sehr bestimmt.
Der Erzählgestus der Strophen wird unterbrochen durch einen Sprech-Refrain, der mit zunehmender Dauer einen hypnotischen Charakter bekommt und unterschwellig im Kopf des Hörers weiterschwingt. Uuhh, look, there goes concorde again. Die Präsenz dieser Zeile wird noch verstärkt durch das Backing der sie wie beiläufig und mantramäßig murmelnden Männer.
Es ist wohl diese Ambivalenz, die den Track so einzigartig macht: auf der einen Seite die klinisch ausgeleuchtete, sehr reduzierte und absolut durchhörbare Genauigkeit und auf der anderen die vermeintliche Zufälligkeit und improvisatorische Zusammenhanglosigkeit des Arrangements. Zusammen ergeben sie eine Form von (Sur-)Realität, die das Alltägliche gleichzeitig zu vertiefen und zu überhöhen scheint. So haftet dann sogar der im Refrain auftauchenden, im Grunde so greifbar realen Concorde etwas Metaphysisches an, was jemandem, dem sie einmal nahegekommen ist, gar nicht mehr so verwegen vorkommen mag. Unglaublich schön und faszinierend das alles.
Die Band nahm die Single an den Weihnachtstagen ’79 daheim im Schlafzimmer auf und jedes Mal, wenn ich die Platte auflege, scheint für mich dieses besondere Datum in der Musik hörbar zu werden.
Als sie 10 Monate später erschien, war die Sängerin schon nicht mehr mit von der Partie. John Peel spielte die Platte natürlich sofort, eine große Nachfrage setzte ein. Die ursprünglichen 500 Exemplare mit ihren handbestempelten Labels und Sleeve-Unikaten, allesamt mit Zeitungsausschnitten beklebt und z.T. handbemalt, waren schnell vergriffen. Auch die Nachpressungen hatten wohl noch individuelle Cover, allerdings waren die nun gedruckt oder kopiert, zusätzlich jedoch mit dem ursprünglichen Aufkleber versehen.

Es gibt viele Musiker und Platten, deren Entdeckung ich Roots verdanke, diese ist eine der ganz wesentlichen davon. Als ich sie das erste Mal spät sonntagnachts hörte, fühlte ich mich sogleich um 20 Jahre zurückversetzt in den unterbrochenen Schlaf in einer Bed&Breakfast-Pension in Richmond. Seitdem war ich auf der Suche danach. Vor einigen Wochen wurde ich fündig. Die Platte war es mir wert, dass sie hier Erwähnung findet.

(·) „45 Revolutions“ spricht von möglichen 5000 Exemplaren, die insgesamt von der Single auf den Markt gekommen sein könnten. Die Marktbeobachtung lässt diese Zahl als zu hoch erscheinen, sie wird recht selten angeboten. Meine Ausgabe hat ein offenes gefaltetes Sleeve, ob gedruckt oder kopiert, kann ich nicht entscheiden. Das Label ist bedruckt, außerdem liegt ein Insert bei. Ich habe sie in perfektem Zustand für ca. 20 Euro bekommen.
Falls jemand ein Exemplar der ersten Pressungen finden sollte, wäre ich dankbar, wenn er das Sleeve hier in irgendeiner Form zeigen könnte.

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