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Go1Gerade dieser „doppelte Boden“, den Du dem Song zugute hältst, ist wieder problematisch: Die Arbeiter als „gesichtslose Masse“? Das zeigt doch nur, dass es ein reicher Schnösel ist, der hier einen Toast auf die Arbeiterschaft ausbringt, mühsam seine Herablassung verbergend. Ist das wirklich besser als ein schlichter Trinkspruch ohne Hintergedanken? (Damit keine Missverständnisse aufkommen: Der Track ist natürlich trotzdem super.)
Go1Jagger hat „Salt of the Earth“ wie folgt kommentiert: „The song is total cynicism. I’m saying those people haven’t any power and they never will have.“ (Songfacts). Klar drückt Jagger seine Fremdheit gegenüber der Arbeiterklasse aus, aber die Herablassung ist da nicht weit, wie dieses Zitat über ihre „Machtlosigkeit“ belegt. Die lyrics zu diesem Song taugen nichts, egal wie man sie dreht und wendet (Banalität, hinterlegt mit Zynismus).
Der Songtext ist schon recht plakativ. Das wäre er aber auch, wenn er seinen Trinkspruch ernst nehmen würde. Dann würde aber das Pathos, das sich in der Musik zeigt, auch wieder anders interpretiert werden, nämlich als eine tatsächlich beabsichtigte Überhöhung der Arbeiterklasse. Das wäre dann ungefähr so kunstvoll wie ein Glorifizierungsölgemälde der Landarbeiter bei der Getreideernte aus der Propagandaabteilung der UDSSR gewesen. So bringt aber das übertriebene Pathos zusammen mit dem eben doch nicht abfeiernden Text wieder eine Brechung rein. Ich empfinde den Text gar nicht als so herablassend, eher konstatierend an den Stellen, an denen Jagger von seinen eigenen Eindrücken erzählt. Ich habe zwar noch nie vor einer Menge von abertausenden Menschen gestanden, kann mir aber vorstellen, wenn man Abend für Abend auf Tournee vor so einer Ansammlung steht, kann man nicht anders, als sie diffus und gesichtslos wahrzunehmen. Ist auch ein Schutzmechanismus, sonst würde man wahrscheinlich durchdrehen. Und dann waren gesellschaftliche Themen damals stark in der Diskussion. Gesellschaftliche Themen werden besonders in England fast immer klassenfixiert geführt. Insofern ist der Bezug zur Arbeiterklasse nicht ungewöhnlich. Zumindest Keith Richards würde ich einen Arbeiterklasse-Hintergrund nicht absprechen, schließlich hat er auf der ‚falschen‘ Seite der Gleise gelebt (Jagger auf der ‚richtigen‘). Der Songtext bietet sicher kein besonders ausdifferenziertes Bild, und der Umstand, dass auf „Salt Of The Earth“ und sowieso an vielen Stellen von „Beggars Banquet“ ein sehr reicher Mensch aus der Sicht sehr armer Menschen berichtet, ist ein Grundwiderspruch des ganzen Albums. Ich kann das aber gut aushalten, weil eben oft ein Satire-Aspekt mitschwingt.