Re: Holly Cole

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stillstand

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Meine Konzertkritik von November 2003
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Die kanadische Sängerin Holly Cole im Tollhaus

Und hätte es nur den Sinn gehabt, endlich einmal den Wert einer Brian-Wilson Komposition zu erkennen, es hätte sich schon gelohnt: Wie Holly Cole aus dem Beach Boys Schlagerchen „God Only Knows“ eine strukturierte, direkt auf den Punkt kommende Erleuchtung macht, das ist die hohe Kunst. Die Kunst der Reduzierung auf das notwendige. Das Freilegen eines musikalischen Skeletts und die Aufwertung desselben in Richtung Rückgrat. Und doch dieses Sehnen, nach was auch immer, das viel intensiver zwickt als in der Vorlage.
Holly Cole ist Kanadierin, eine Jazz-Sängerin im weitesten Sinne. Mit einer Tendenz zum gepflegten Pop. Wobei gepflegt schon wieder zu plüschig klingt. Cole saugt fremde Songs auf, überprüft ihren Gehalt und arbeitet an der definitiven Version. Das ist der Eindruck, den sie hinterlässt. Die Mittel sind auf das Instrumentarium Flügel, Schlagzeug, Bass (elektrischer Standbass), Flöte und Saxophon beschränkte. Keine Gitarren, keine Synthesizer.
Spröde? Ja, spröde ist das auch. Aber niemals trocken oder akademisch. Schon die Stimme, die Phrasierungen, die Bühnenpräsenz dieser Frau verraten neben Perfektionismus auch einen Hang zu Humor, zu Ironie und schlichtweg Spaß.
„Heat Wave“ von Irving Berlin eröffnet das Konzert, es ist Pop es ist Jazz es ist alles. Es läuft heiß, die Flöte tupft Linderung auf die Stirn. Der Song erzeugt ein eigene Mikroklima, wie jeder weitere auch. Am Ende hüpft die Künstlerin. Ihre aktuelle Platte „Shade“ hat viel mit Temperaturen zu tun: „Zwischen Sommerlicht und Herbstmelancholie“ ist eigentlich ein peinlicher Klischeesatz, aber hier stimmt es. Immer wieder vermittelt sie das Gefühl, große weiße Verandatüren zu öffnen auf eine Terrasse mit jeweils anderer Landschaft. Gut, die Farbe der Türen wechselt auch.
Musikalische Hocherotik gibt es auch : „Too darn hot“ von Cole Porter basiert auf einem repetitiven Grundriff, das von Bass und Klavier mit stoischer Eindringlichkeit getragen wird. Spannung baut sich Takt um Takt auf, die Streicher der Studiofassung fehlen angenehm, und gerade drum entfaltet es eine solche Wirkung. Zurück zu den wirklich bekannten Coverversionen: Immer wieder finden sich überraschende Abzweigungen: Das eher harmlose Beatles-Frühwerk „I’ve just seen a face“ wächst in ihrer Interpretation zum Klassiker mit Tiefgang, ohne seine ursprüngliche Fröhlichkeit zu verlieren. Und bitte: „Que Sera“ als ganz normalen Blues zu spielen, das allein hat schon Größe. Manche Oldies bedürfen eben eines Rückgriffs auf noch ältere Musikformen, um sie wieder neu klingen zu lassen. „I can see clearly now“ beraubt sie seines ursprünglichen Reggae-Unterbaus. Und wieder funktioniert der Trick: Nichts mehr verstellt dem Ohr den Blick auf die Melodie. Höchstens die hervorragenden Einzelleistungen der Musiker, die aber nie egomanische wirken, ganz im Gegenteil: Hier wird immer banddienlich und vor allem songdienlich musiziert. Wer dann immer noch Bedarf hat, richtig entfesselte Musiker längere Soli spielen hören zu können, dem wird im Zugabenblock ausführlich Nachtisch aufgefahren.

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