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Anonym
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pinchDas ist eben das Problem: viele sehen im Tarantino-Universum fast ausschließlich die Coolness, das Überzeichnen von bekannten Mustern usw. Wenige sind sich aber leider bewusst, dass da auch sehr viel Ruhe, szenisches und inszenatorisches Feingefühl und ein extrem sorgfältiger Sinn für Bildwirkung dahintersteckt.
Da sprichst Du mir aus der Seele. Die Dialoge, die sich Zeit nehmen, die Großaufnahmen von Gesichtern, die gegenüber dem, was auf der Dialogebene passiert, oft nochmal was ganz anderes erzählen, die Bilder, die Luft zum Atmen haben – da ist er ein gelehriger Schüler von Sergio Leone, der sich seinerzeit ebenso vielfältig auf klassische Westernvorbilder bezog.
Dagegen kann das oberflächliche Kokettieren mit Leone- und Tarantino-Mustern eigentlich nur abstinken bzw. hinterlässt bei mir ein gewisses „Nun ja, ganz nett – aber grandios?“-Gefühl.
Ums an einem Beispiel fest zu machen: Die Tatort-Eröffnungssequenz am Bahnhof war einerseits zwar ein wahnsinnig offensichtliches „One upon a time in the west“-Zitat, soweit ich mich erinnern kann, hat da sogar irgendwo im Hintergrund was Windradartiges gequietscht. Aber der Flow des Originals ging natürlich komplett flöten. Der Witz daran war doch die wahnsinnig sorgfältige Ton-Inszenierung mit all den übernatürlich laut verstärkten Geräuschen, die irre Langsamkeit, die sich über zehn Minuten aufbauende Spannung, die wortlose Charakterisierung der Schurken, die spektakuläre Inszenierung ihrer Gesichtslandschaften, die unglaublich liebevolle Gestaltung des Schauplatzes, die groben Bohlen am Bahnsteig, die Lagerschuppen, die runtergekommene Station – und dann die eruptive, ganz kurze Gewaltentladung. Im Tatort lässt sich das einfach nicht nachmachen, denn der muss pünktlich zum Jauch-Gequassel fertig sein. Und deshalb macht es da halt Bumm, kaum dass drei Killer, an deren Gesichter ich mich schon eine Minute später nicht mehr erinnern konnte, einen Haltepunkt der Deutsche Bahn AG betreten haben.
Im Gegensatz dazu hat Tarantino eben nicht einfach nur Leone zitiert, sondern genau verstanden, was die Intensität solch einer Inszenierungsweise ausmacht. Der Anfang von Inglourious Basterds ist im Prinzip purer Leone, aber nicht als oberflächliches, augenzwinkerndes Anzitieren für Tatortgucker nach dem Motto „Na, merkt Ihr’s?“, sondern gestaltet als Szene, die auch ganz allein für sich überwältigend gut funktioniert. Interessanterweise gibt es gerade in dieser Sequenz auch quasi bildgenaue Zitate (die Aufnahme des französischen Bauernhauses ist präzise an eine ähnliche Einstellung in Eastwoods „Erbarmungslos“ angelehnt) – aber das ist dann eben doch viel subtiler, funktioniert als ebenso beiläufige wie liebevolle Respektbezeugung und auch als Mittel, um Echoräume der filmischen Erinnerung zu öffnen. Da komm ich dann wirklich ins Schwärmen, und im Vergleich dazu ist so ein Tatort eben nicht grandios, sondern, nun ja, „Tatort-grandios“.
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