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Ich war ja eine Zeit lang nicht hier. Schön zu sehen, dass die Welt sich weiter dreht und es sie dennoch weiter gibt, die verlässlichen Dinge – und noch dazu umsonst im Forum! Alte Bekannte schreiben wie immer Altbekanntes. Da wird aber auch einfach alles egalweg durch den nach traditionellem Handwerk solide gebauten geistigen Fleischwolf gedreht, um am Ende das immer gleiche, schnell verderbliche Gehackte zu bekommen:
Stachs Lebensabschnitts-Bio mag umstritten sein, ich habe sie ob ihrer Lebendigkeit sehr gern gelesen. Trotz einer gewissen anbiedernden Schnoddrigkeit im Ton, die aber Ausdruck einer erfreulichen Nähe zum Neurotiker Kafka ist. Neben Unseld (und Brod natürlich) die lohnendste Abhandlung über das Leben (das Wirken war ja hauptsächlich ein postumes) des mehr seelisch als sozial Isolierten. Noch kaufen/lesen muß ich die neulich erschienene Biographie von Prinz, die ihre Motivation indes mehr im Literaturhistorischen/Rezeptionsgeschichtlichen zu haben scheint. Was mich von jeher weniger beschäftigt als Kafkas Gefangenschaft in seiner Zeit.
Die sich ja keineswegs fundamental von der unseren unterscheidet. Leider. Die Idiotie der Restauration hierarchischer Strukturen in beinahe allen Bereichen der bundesdeutschen Gesellschaft findet unselige Parallelen bei Kafka. Schon das Fernsehen fördert Obrigkeitsdenken in allen Programmformaten, überschlägt sich in Unterwerfungsposen seiner Protagonisten in Talk-Shows bis hin zu den seichtesten Serien und Unterhaltungsangeboten, quasi im permanenten, lakaienhaft-spätfeudalistischen Dauer-Kotau vor Titel-Trägern.
Sorry für den kurzen Exkurs in die debilisierende Jetztzeit, läßt sich aber kaum abkoppeln von einer aktuellen Betrachtung Kafkas. Kein Zufall auch, daß die soziologischen Erkenntnisse Max Webers auf jene Zeit rekurrieren, die Kafkas Weltbild geprägt hat. Weber hat gewissermaßen das Kafkaeske enträtselt, indem er etwa die Gesetzmäßigkeiten von Hoheitsbereichen wie Behörden oder anderen bürokratischen Monstrositäten deutete. Anpassungsdruck, die Erniedrigungen des Alltags, Streben und Scheitern, der unausweichliche Triumph des Mittelmaßes. Alles heute noch gültig.
Bei Kafka verdichten sich derlei Mechanismen zu einer Bedrohung, zu unüberwindbaren, weil mit den Mitteln des Verstandes nicht einschätzbaren Hindernissen. Nirgendwo labyrinthischer und beklemmender als in „Das Schloß“. Ein unvollendetes Spätwerk nur (das frevelhafterweise fremdfortgeschrieben wurde), eines, das noch im 20. Kapitel hundert Fragen aufwirft und keine beantwortet, aber für mich so fesselnd ist wie Kafkas beste Erzählungen („Die Verwandlung“! „In der Strafkolonie“!). „Der Prozess“ ist gewiss nicht weniger kafkaesk, die handelnden Personen nicht weniger ausgeliefert und verloren, doch wuchert „Das Schloß“ mit einer verwirrenderen Vielzahl an Charakteren, von denen einige ihren eigenen Roman verdient hätten. Frieda! Unhübsch, ältlich, mager, die Jämmerlichkeit in Person, indes verschlagen, durchtrieben, hinterhältig, im Besitz von Dingen, die zählen. Denn sie hält eine Stellung, verfügt über Informationen, die Schlüssel zum Schloß sein könnten, bleibt geheimsnisvoll, unwägbar. Natürlich hat auch das vergleichsweise heitere „Amerika“ (ursprünglich: „Der Verschollene“) seine Meriten (Oklahoma, ausgerechnet!), aber ich bin stets wieder zum „Schloß“ zurückgekehrt, jedesmal aufs Neue fasziniert.
Das ist in all seiner beredten Unbedarftheit einmal mehr ein schönes Zeugnis unfreiwilliger Komik: Kulturkonservativer Möchtegern-Feuilleton-Krampf a Gogo oder „Der unausweichliche Triumph des Mittelmaßes“ – Kafka! Neurose! Weber! Talkshows! Leider debil! FRIIIIIEEEDA! …. Köstlich. Kein Zufall, zu einem deutschen Rolling Stones-Experten könnte es vielleicht reichen …
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