Re: Musikalisches Tagebuch

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go1
Gang of One

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@sokrates:
Deine Worte: „Dass das keiner hört und auszusprechen wagt, sondern alle vor der Geschichte ihren Diener machen!“ lassen sich nunmal so auslegen, wie ich es getan habe. Wenn Du es anders gemeint hast, ist es ja gut. Du meinst also, es gebe Leute, die mit dem Velvets-Debüt nichts anfangen können, sich aber nicht trauen, das zuzugeben – im Unterschied zu Dir. Na ja, vielleicht. Vielleicht denkt manch einer auch mit gutem Grund, dass es an ihm selbst liegen könnte – wiederum im Unterschied zu Dir.

Abstrakt über „Meinungsführerschaft“ zu reden ist eine Ablenkung. Die Frage ist ja nur, ob Deine Lieblingstheorie in diesem konkreten Fall (bei der Bananenplatte) einschlägig ist – und das kannst Du nicht belegen, sondern nur glauben. Du spekulierst. Und jetzt schon wieder:

SokratesAuch Du bist nachgeboren und hast VU bestimmt nicht „damals“ bei Erscheinen gehört, sondern unter der Wirkung einer sorgfältigen Einführung von irgendwem – aber dass sie glühend war, dürfen wir annehmen.

Niemand verbietet Dir, das anzunehmen, aber die Annahme ist eben falsch. Ich bin durch den Soundtrack zum Doors-Film auf die Velvets gestoßen – da war nämlich auch „Heroin“ drauf und hat alles überstrahlt. Ich hatte zwar schon von der Band gehört und war ein bisschen neugierig, aber gepackt hat mich die Aufnahme selbst (und auch der Song, bis heute der beste Drogensong aller Zeiten – Textverständnis war kein Problem für mich; ich konnte gut Englisch). Ich bin auf dem Land aufgewachsen, fernab der Quellen popkulturellen Wissens und in einer Zeit, als das Internet noch ARPAnet hieß. Ich musste also ohne „sorgfältige Einführungen“ meinen Weg finden (das ging auch; nur habe ich viele Dinge erst mit Verspätung entdeckt).

SokratesAbgesehen davon argumentierte ich nur für mich (…), und der zu erwartende, fundamentale Rundum-Widerspruch (den wir bereits vor knapp 10 Jahren im VU-Sternethread hatten, mit etwa ähnlichem Verlauf) hat ein weiteres Mal die Frage ausgelöst, wie es eigentlich kommt, dass so viele Leute eine Platte gut finden, die soviele offenkundige musikalische Schwächen hat . . .

Na, wahrscheinlich hören diese vielen Leute einfach die offensichtlichen musikalischen (und textlichen) Stärken dieser Platte, für die Du immer noch kein Gespür hast, zehn Jahre nach unserer letzten Diskussion darüber. Ich hab’s ja schon gesagt: Was Du für „Schwächen“ hältst (der Gesang von Lou Reed und Nico, das Spiel von John Cale und Moe Tucker) sind keine, sondern entweder Eigenarten oder Ergebnisse einer Haltung und eines ästhetischen Konzepts. Es ist nicht notwendig, über eine große Stimme zu verfügen oder eine Ausbildung genossen zu haben; entscheidend ist, wie man die Songs rüberbringt. Seine eigenen Songs kann Lou Reed natürlich mit seinen Mitteln überzeugend darbieten und dieselbe Fähigkeit hat er auch Nico bescheinigt. Moe Tucker hat vielleicht nicht die Techniken gelernt, die Du gerne hören würdest, aber dafür einen eigenen Stil und eine klare Haltung entwickelt: Sie spielt nur das, was unbedingt nötig ist. Und John Cale war eben ein Neuerer, für dessen Neuerungen Du leider keinen Sinn entwickelt hast. Dein Satz „Da ist alles schief und nichts zusammen“ beschreibt ja nicht das, was auf der Platte zu hören ist, sondern beschreibt nur, wie es Dir vorkommt. Die Musiker waren sehr wohl „zusammen“, und das vermeintlich „Schiefe“ hat seinen Platz in dieser Musik, einen Ausdruckswert (den viele spüren und manche eben nicht). „Venus in Furs“ und „Heroin“, die Dir vermutlich „schief“ vorkommen, sind da die besten Beispiele.

SokratesWie auch immer: Möchtest Du mir Eska abkaufen? Du hast im Thread geschrieben, dass Du sie gut findest. Wenig gehört, gut erhalten. Falls ja, gern PN.

Sorry, ich habe das Album schon.

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