Re: Charles Mingus

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gypsy-tail-wind
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Das ich echt schwieriges Terrain … wann ist ein Zitat ein platter Witz und wann ist es geistreich? Bei Terry platt, bei Getz geistreich? Dann ist das ja auch schon im Vornherein klar und von Vorlieben geprägt. Überhaupt, „Tiefe“ oder wie man das nennen will, was manche Peterson oder Terry absprechen … woran macht man das in der Musik fest? Ich habe darauf keine Antworten.

Zum vokalen Antreiben kam mir aber schon gestern noch dieses unfassbare „It Ain’t Necessarily So“ in den Sinn, von Grant Green, bei dem Sonny Clark dieses unglaubliche Solo spielt und man Art Blakey brüllen hört, er soll noch einen Durchgang spielen – in die Overhead-Mikrophone … und man hört es nicht sehr gut. Und das könnte noch ein Punkt sein: im Studio setzte man sich in den frühen Tagen irgendwie gruppiert um ein Mikrophon, die Klarinette zuvorderst, das Blech weiter weg, der Schlagzeuger (ohne Bass-Drum, weil der Kick die Nadel gleich aus dem Wachs katapultiert hätte) … das ist stimmungsmässig sicher was anderes als die beinah sakrale Atmosphäre in den Columbia-Studios. Und mich dünkt manchmal auch bei RVG, dieser Raum, dass der etwas von einer Kirche (oder fies gesagt von einem Kirchgemeindehaus) hat. Also kein Ort, an dem man sich eben mal so richtig gehen lässt und zwischendurch ein wenig herumschreit, einfach weil’s einem grad gut geht. Das hätten vermutlich auch die Produzenten in den Fünfzigern schlicht nicht mehr goutiert. Anderswo, z.B. auf den Dokumenten, die George H. Buck mit seinen Labeln in den Vierzigern bis Sechzigern mit alten Jazzern gemacht hat, die er im Saal irgendeiner Kneipe versammelt und dort aufgenommen hat, ist das ganz anders. Ist das Zeitgeist oder einfach andere Sitten? Wie gesagt, schwierige Fragen.

Um den Bogen zurück zu Mingus zu finden, so halbweg wenigstens: Wenn mir einer sagen würde, Mingus‘ Musik fehle der Tiefgang, dann würde ich resolut widersprechen (aber auch da, ohne es anders als vom Gefühl her begründen zu können – sind Mozarts Klaviersonaten Kindermusik? Vielleicht, in den falschen Händen, aber …), aber wenn mir z.B. jemand sagen würde: „Johnny Griffin, ach, der hat doch keinen Tiefgang“ – dann würde ich wohl sagen: kann sein, ja, aber ist mir egal, sein Sound berührt mich einfach irgendwie. Nicht jeden Musiker umgibt eine Aura, wie das bei Coltrane so ab 1961 oder 1962 der Fall war, oder wie es bei Miles auch oft der Fall war. Dass man quasi beim ersten Hören schon merkt: das ist etwas besonderes. Ellingtons „Black, Brown and Beige“ oder Mingus‘ „Black Saint“ sind sicher auch solche Platten. Oder Hadens „Liberation Music Orchestra“ oder Aylers „Spiritual Unity“.

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