Re: Charles Mingus

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gypsy-tail-wind
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IrrlichtGibt es dafür einen Grund?

Schwer zu sagen … ich denke es gibt primär ein Schisma zwischen Kritik und Publikum. Letzteres hat Oscar Peterson oder Clark Terry stets verehrt – und viele Musiker fanden sich ebenfalls in diesem Lager (dass einer schlecht über Peterson spricht, kommt vor, aber bei Terry kann ich mich nicht an eine abschätzige Bemerkung erinnern, bei allem, was ich so gelesen und augeschnappt habe).

Vermutlich – aber das sind jetzt wirklich nur Versuchsballone – hängt das alles mit dem Bebop zusammen, damit, dass in den Fünfzigerjahren praktisch die ganze Jazz-Szene (wenigstens die der US-Ostküste, aber in Kalifornien war’s nicht ja besser, nur die Sonne schien etwas heller und man fuhr einen Sportwagen) in den harten Drogen versank. Da tauchten dann all die schwierigen, „gebrochenen“ Charaktere auf: Charlie Parker, Bud Powell, Max Roach, Mingus … dann die Nachfolger, die oft viel schneller zu Grunde gingen, Ernie Henry etwa oder Sonny Clark, oder diejenigen, die zwar länger da waren, aber irgendwann in irgendwelchen „mental institutions“ verschwanden … und natürlich all jene, die ihr halbes Leben im Gefängnis zubrachten (Gene Ammons, Dexter Gordon, Art Pepper). All diese Figuren bieten viel mehr Raum für Projektionen als die wenigen Ausnahmen, die ihr Leben im Griff hatten. Man beachte nur mal Dizzy Gillespie vs. Charlie Parker, das den Nachruhm betrifft … Dizzy war ja gewiss keiner, der wie Miles dauernd was Neues machen konnte, aber in den Vierzigern war er ein bahnbrechender Musiker und hat eine Menge herausragender Stücke eingespielt – und auch danach noch viele tolle Alben gemacht. Aber dennoch, Parker ist Kult, Dizzy ist beinahe vergessen.

IrrlichtEin Fakt, den wahrscheinlich viele Progheads nicht wirklich wahrhaben wollen, während die Musiker dieser Szene darum weit seltener einen Hehl machen und gemacht haben. Dass Jazz einen markanten Einfluss auf diese Szene hatte, lässt sich bis zu den Anfängen zurückverfolgen (King Crimson, Van der Graaf Generator, Gentle Giant, Magma, Mahavishnu Orchestra) und ist auch heute noch bemerkbar, wenn man sich etwa die jüngsten Arbeiten von Steven Wilson genauer anhört (der sich bekannterweise gleichermaßen von Pink Floyd, wie auch Miles Davis inspirieren ließ). Viele Musik aus diesem Sektor wäre ohne Jazz schlicht nicht möglich – und die Beste ist meist die, die zu den Anfängen zurückkehrt bzw. den Fantasy/Metal/Symphonic Schimmelkäse umschifft (wobei es auch dort glorreiche Ausnahmen gibt).

Dass Mingus sich auch erkennbar bei klassicher Musik bediente, finde ich übrigens ganz besonders spannend. Ich höre derzeit mit großer Begeisterung „Let my children hear music“ – auch wenn es mich verwundert, dass Mingus dieses für sein ultimatives Werk hielt, sind Momente wie das „Adagio“ tatsächlich von unheimlicher Schönheit. Nach deinen vielen Anmerkungen habe ich da noch einiges vor mir, gerade die Mosaic Box scheint ja ein ziemliches Must have zu sein.

P.S. Sorry, falls ich hier zu große Fässer aufmache.

Kein Problem für mich, ich kann da bloss nicht mitgehen, wenn’s um Details geht. Bei Mingus (wie auch bei Ellington) denke ich, lag das Interesse irgendwie daran, „gesamtheitliche“ Musik zu machen – darum auch der Widerstand gegen Labels und Schubladen. Ihre Musik war so „gross“, dass für alles Platz drin war und dass es kein Label gibt, das ihr im Ganzen gerecht wird (ich denke bei Ellington auch an die „Sacred Concerts“ … aber auch ganz einfach an die Fähigkeiten als Komponist – Ellington ist einer der grossen Komponisten des zwanzigsten Jahrhunderts).

Was die Mosaic-Box betrifft, kannst Du ja oben einiges nachlesen … die Europa-Tour von 1964 gehört für mich zum tollsten, was der Jazz zu bieten hat, es gibt da – noch aus den USA – auch „Cornell“ (Blue Note Doppel-CD) und „Town Hall“ (in erweiterter Form macht die Aufnahme den Auftakt der Mosaic-Box). Dann gibt es offizielle Ausgaben zweier Konzerte aus Paris und des Konzertes in Wuppertal und diverse Bootlegs, in der Mosaic-Box findet man den Mitschnitt aus Amsterdam, den es davor auf LPs gab. Die Aufnahmen unmittelbar danach sind eine Spur weniger toll, auch weil Dolphy fehlt und McPherson kein wirklicher Ersatz ist, aber die Monterey und UCLA-Konzerte (letzteres nicht in der Box, wie gesagt) gehören immer noch zu Mingus‘ bester Zeit ich würde sagen das Jahrzehnt von 1956-1965 – da gibt es keinen einzigen Ausfall, selbst das Debakel in der Town Hall 1962 (hat mit dem grad erwähnten Album von 1964 nichts zu tun) ist in der wesentlich erweiterten CD-Ausgabe ein faszinierendes Dokument.

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