Antwort auf: 2022 & 2023 & 2024 & 2025: jazzgigs, -konzerte, -festivals

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Christopher Dell DRA – Loft, Köln – 28. Oktober 2025
Christopher Dell (vib), Christian Ramond (b), Felix Astor (d)

Ich hab im Urlaub ungeplant zwei sehr unterschiedliche Trios gehört – das erste, weil der Stromausfall in der Philharmonie in Köln auch am zweiten Abend noch nicht behoben war und die Aufführung von Händels „Flavio“ mit Concerto Köln, die ich noch nie live hören konnte, abgesagt wurde. So runtergerockt wie bei diesem Besuch, kam mir Deutschland noch nie vor, aber am Ende sind’s ja doch nur zwei Akteure, die den Eindruck auslösten: die Deutsche Bahn mit drei Stunden Verspätung bei einer vierstündigen Fahrt und die Betreiber des Gebäudekomplexes in Köln, in dem ich auch zur Ausstellung „Fünf Freunde“ gehen wollte, was dann natürlich auch nicht klappte – also quasi das gesamte geplante Köln-Programm futsch … Gerettet hat’s die grossartige Mittelaltersammlung des Wallraf-Richartz-Museums, der Frusteinkauf bei CD Andrä (nachdem ich bei König den Katalog der „Fünf Freunde“ geblättert hatte und mich noch mehr genervt, weil Jasper Johns und Robert Rauschenberg und Cy Twombly halt auf kleinen Fotos echt nicht geht), der Besuch im Loft und nicht zuletzt die Gesellschaft von @nicht_vom_forum sowie @umami (leider nicht mehr aktiv hier). Mit nicht_vom_forum ging’s also ins Loft, wo ich schon lange mal hin wollte – und das Konzert war dann auch ziemlich gut.

Zwei Sets, das Vibraphon nicht eingesteckt (also ohne diesen typischen mäandernden Sound), alles total schnörkellos und irgendwie, so denkt man zunächst, kaum greifbar, fast körperlos trocken, ja spröde. Die drei zählen halblaut mit was man bei dem transparenten Sound der Gruppe und den oft recht zurückhaltenden Drums die meiste Zeit hören konnte: sie zählen auf sieben, auf neun, auf zehn, sie zählen mal gemeinsam, mal jeder für sich – und finden sich immer wieder … und irgendwann merkt man, dass Dells vermutlich seit Jahren (27, um genau zu sein, so lange ist das Trio schon unterwegs) eingeübte Ansage zur „Suche nach der Herkunft des Swings“ (er ist immer da und immer schon weg) eben doch seine Wahrheit hat: Die Musik entwickelt wider alle intuitiven Annahmen einen Sog, zieht einen rein, nimmt einen mit. Im zweiten Set (das Robert Landfermann dann aber nicht mehr anhören mochte, wenn ich das richtig mitgekriegt hab) schalteten die drei noch ein paar Gänge hoch und spielten vermutlich ein paar etwas vertrautere Nummern aus ihrem Katalog (ähnlich wie bei Braxton sind die Stücke schlicht nummeriert, wie ich dank der nach dem Konzert gekauften CD – der jüngsten dort erhältlichen von 2015, wo schon das Stück „153“ zu finden ist, inzwischen sind die 200 also vermutlich längst überschritten) – da wurde teils nicht mal mehr hör-/sichtbar gezählt, die Grooves wurden enger, kantiger. Das Trio einzuordnen fällt mir schwer – im Konzert dachte ich an Monk mit seinen kürzelhaften Themen und ebenfalls schon unregelmässigen Stücken (die halt noch in 4/4 notiert wurden, aber das ginge bei manchen bestimmt anders), auch mal an Dolphy, das Sprunghafte, natürlich „Out to Lunch“ mit Bobby Hutcherson, der einst auch eine Art Blaupause für den nichtmotorisierten, glockenreinen Vibraphon-Sound lieferte). Am Ende war ich jedenfalls mit dem ungeplanten Ersatzprogramm mehr als zufrieden.

Sullivan Fortner Trio – New Morning, Paris – 5. November 2025
Sullivan Fortner (p), Tyrone Allen (b), Kayvon Gordon (d)

Ganz anders das ebenfalls erst vor Ort doch noch ins Programm aufgenommen zweite Konzert – mein erster Besuch in einem der noch aktiven legendären Jazzclubs von Paris (die anderen: Duc des Lombards, Sunset/Sunside – ich war da bisher vor 18 Jahren mal im Sept Lézards, das eher auf der Loft-Schiene lief und zwei Monate nach meinem Besuch schliessen musste – immerhin noch mit passender Sprayerei auf dem Bretterverschlag Google Street View, ein paar Monate später, sieht heute bestimmt nicht mehr so aus). Also ins New Morning … ich hing am Handy und fuhr mit der Metro zu weit, war dann erst eine Viertelstunde nach Türöffnung dort und hatte Glück, überhaupt noch einen halbwegs guten Platz zu finden, der Laden war nämlich eine Dreiviertelstunde vor Beginn schon voll (nach Beginn ist auch mit Ticket der Einlass nicht sichergestellt, schreiben sie zumindest, aber der niedrige Raum ist gross und da passen sehr viele Leute rein, die stehen dann halt irgendwo und sehen vermutlich fast gar nichts – ich hab fürs Foto auch mal kurz die Arme hochgestreckt, konnte sonst bloss zwischen den Köpfen hindurch gucken).

Das war nun die völlige Antithese zum Kölner Konzert: eine geradezu körperliche Fülle, Musik von grosser Üppigkeit, zwei ca. einstündige Sets (grosszügig jedenfalls!), alles tief in der Tradition verwurzelt. Neben eigenen Stücken spielte das Trio u.a. Stücke von Freddie Hubbard, Herbie Hancock, Donald Brown („The Early Bird (Gets the Short End of the Stick)“), Merv Griffin (ein Thema aus einer TV-Show), Cedar Walton, Billy Strayhorn („Isfahan“), Gabriel Fauré (das wurde zum Zitate-Fest, ich erkannte nur Chopin mit Sicherheit, es gab aber noch einige andere Stücke, die man wohl in der Klavier-Ausbildung so lernt), ein Stück von Fritz Pauer, eine grandiose Version von „Dos Gardenias“ (und noch so einen Boléro), als Closer des zweiten Sets eine rasende Version von Bud Powells „Oblivion“. Und dann ein kurzes Zugabe-Set, unter anderem mit einem Gospel, den Fortner seiner gerade verstorbenen wichtigsten Förderin widmete, die ihn auch zum Weitermachen anhielt, als alle – inklusive seine Lehrer und Eltern – meinten, er solle das mit dem Klavier doch besser aufgeben. Dass Fortner kein Mann der subtilen Klänge ist, dürfte bekannt sein – seine Stärke liegt in mitreissenden, oft wuchtigen Grooves und einer Rhythmik, die mir allerdings lange etwas zu kurz kam. Die zwei Begleiter folgten ihm blitzschnell überallhin, dass das Konzert der Abschluss einer Tour war (die ausgerechnet am 28. Oktober – ausverkauft, aber mein Gastgeber wäre eh lieber ins Loft, wie ich verstanden habe und ich wollte doch ja auch gerne endlich mal hin – auch in Köln halt gemacht hatte) half bestimmt. Die Kommunikation verlief abgesehen von Mitteilungen über das nächste Stück – die Setlist war nicht im Voraus festgelegt – ohne Worte und offenbarte, wie gut die drei abgestimmt sind. Natürlich kriegen auch Allen und Gordon ihre Solo-Spots, insgesamt blieb das jedoch ein überraschend traditionelles Setting mit einem gut gelaunten Pianisten, der die Fäden in der Hand hielt und einen Jazz-Abend im besten Sinne bot. Als er sich im ersten Set erstmals ans Publikum wandte, meinte er zum Einstieg, es sei „nice to be back at school“ und erklärte dann, dass das New Morning zu den Clubs gehöre, in denen er mit Roy Hargrove einst viele Abende gespielt und dabei sehr viel gelernt hätte. Im zweiten Set gab es auf der rhythmischen Ebene manchmal und zunehmend Spuren von Hip Hop, die konventionelle Anlage der Musik öffnete sich ein wenig – doch mitreissend war das alles, auch wenn ich eine eigene Handschrift bei Fortner erst teils heraushören kann. Live auf jeden Fall eine Überlegung Wert!

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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #167: Neuheiten 2025 - 11.11., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba