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Chris McGregor – Sea Breezes. Solo Piano. Live in Durban 1987 | Chris McGregor war zwar nach der Reise von 1971, wo er in Südafrika auch auf Harry Miller traf, ein paar Male nach Südafrika gereist, aber das Konzert in der Natal University in Durban am 14. Oktober 1987 war der erste offizielle Auftritt in der Heimat seit 1964. Der Besuch war schon der zweite in dem Jahr, schreibt sein Bruder Tony in den Liner Notes, denn Ende Dezember 1986 sei die Mutter gestorben und Chris war daher schon im Januar 1987 zu Besuch gewesen (in der Kleinstadt Halfway House zwischen Johannesburg und Tshwane/Pretoria). Erschienen ist der Mitschnitt aus Durban 2012 bei Fledg’ling, als Nachzügler der damaligen McGregor-Aktivitäten des sonst stilistisch anders ausgerichteten Labels. (Es gab dort Reissues der ersten beiden Brotherhood-Alben sowie von „Very Urgent“, was ja eigenltich ein Blue Notes-Album ist, und dazu gleich drei unveröffentlichte Alben: das Follow-Up zu „Very Urgent“ mit dem Titel „Up to Earth“, dazu das Trio-Album „Our Prayer“ von denselben Sessions 1969, und zuletzt noch dieses Solo-Album.)
Nach dem Opener „Sejui (You and Me)“ vom Trompeter Peter Segona mit seinem Boogie-Beat gibt es mit „Sweet as Honey“ hier nun wirklich eine Art Hommage an Thelonious Monk. McGregor – er schrieb McGregor das Stück am 17. Februar 1982, dem Tag, als Monk starb. Titel bezieht sich möglicherweise auf einen Fruchthändler auf dem Markt in Cape Town, der gerufen habe: „Pineapples, sweet as honey, go tell your mummy, sonny!“ – jedenfalls hat Chris seinem Bruder einmal von diesem Ruf erzählt, aber nicht im Zusammenhang mit dem Stück. In „Maxine“ (da ist die Widmungsträgerin natürlich bekannt) channelt McGregor mal wieder Ellington – das konnte er mit der Brotherhood, aber eben auch ganz allein am Klavier, und das Ergebnis ist phantastisch. Dann Feza mit „Sonia“ und einem tollen Groove – und schon länger denke ich: dieses Konzert ist deutlich besser, McGregor wirkt involvierter, fokussierter, als beim Mitschnitt aus Paris zehn Jahre zuvor. „Sonia“ hatte Feza für seine damalige Freundin geschrieben – McGregor mochte das Stück mit seinem verschrobenen Rhythmus und der eingängigen Melodie sehr und es fand ins Repertoire der Brotherhood of Breath Eingang.
Weiter geht es dann mit „Kwa Tebugo“, gewidmet seinem Kollegen Louis Moholo, Louis Tebugo Moholo – „at Tebugo’s place“ heisst der Titel. Tony schreibt dazu, seine Kindheit mit Chris erinnernd, das Stück „wonderfully showcases his interest in cross-cutting poly-rhythms and how they interact with the harmonies of the melody. It is a reflection of Chris’s immersion in the poly-rhythms and complex harmonies of the music of the amaXhosa people among whom we were privileged to live as children.“ Die nächsten zwei Stücke stammen von Kollegen von McGregor. „Big G“ hat George Lee komponiert, ein Saxophonist aus Ghana; das Stück gehörte auch zum Brotheerhood-Repertoire. Ernest Mothle, der mit der späten Version der Band Bass spielte, hat das Basslick geschrieben, das McGregor hier mit der linken Hand spielt. „Two Ladies“ stammt vom britischen Trompeter Dave Defries, auch er damals Mitglied der Brotherhood. Tony meint, es handle sich bei dieser Aufnahme um die einzige Version des Stücks von McGregor. Danach folgt McGregors eigenes Titelstück, zu dem Tony mutmasst, dass die Nähe zum Meer am Ort ihrer Kindheit und die Liebe des Vaters zu Schiffen
Nach diesem längeren Segment mit schnelleren Tempi geht es in McGregors eigenem „That Way“ etwas mit dem Titel zu tun haben dürfte. McGregor verbrachte auch zwei Jahre als Kadett auf dem Trainingsschiff General Botha (1952/53). Auch hier ist das Tempo schnell und der Groove versetzt zur Melodie, was dem swingenden Stück eine Unregelmässigkeit gibt, die es heraushebt. Entspannter geht es danach in „Bakwetha“ zu und her. Die „Abakwetha“ war in der Transkei, wo die McGregors aufwuchsen, eine Rite de Passage, während der die jungen Männer vom Rest des Dorfs getrennt, auf sich selbst gestellt waren. Musik und Tanz gehörten dazu – und Mothle hat Tony mal erzählt, dass McGregor es bei einem Brotherhood-Konzert geschafft hätte, dass alle Musiker ihre Parts gesungen statt gespielt hätten, was ein besonders schöner Moment gewesen sei. Das Dokument dieses tollen Konzertes endet dann mit einem Ellington-Klassiker, „Prelude to a Kiss“, eins von McGregors liebsten Stücken aus dem Katalog. Tony weist darauf hin, dass das Stück – von McGregor eh schon in einen südafrikanischen Groove geholt – dann in eine Blue Notes-Nummer übergeht, „Kudala (Long Ago)“, und danach noch in ein anderes Stück, von dem er vermutet, dass es „Kwela Dudu“ sein könnte, aber sicher ist er sich nicht. Das Publikum erkennt die Stücke oder den Groove oder „the homecoming of a homeboy“ (Tonys Worte) und macht sich bemerkbar. Ein toller Abschluss eines sehr hörenswerten Albums.
Chris McGregor Brotherhood of Breath – Country Cooking | Dieses späte Album war einst mein Einstieg in die Musik von Chris McGregor und der Brotherhood of Breath – und das hat nur so halb geklappt. Soweit ich mich erinnern kann war dann die Proper-CD „Township Bop“ mit den frühen südafrikanischen Aufnahmen der Blue Notes das nächste Kapitel – und das hatte mich sofort. Mit der späten BoB ist nichts falsch, ganz im Gegenteil, aber die Musik ist aufgeräumter, näher am klassischen amerikanischen Big Band-Sound. Die Besetzung ist auch her sehr gut, aber die Südafrikaner sind in der Unterzahl und vom Leader abgesehen ist zu dem Zeitpunkt – Januar 1988 in den Angel Studios in London – nur noch einer aus der einstigen Band dabei: Trompeter Harry Beckett. Netterweise bietet die CD Solo-IDs, sonst hätte ich vielen Fällen keine Ahnung (und hätte vielleicht Defries‘ Solo für eins von Beckett gehalten, auch wenn vor allem zu Beginn Verwechslungsgefahr besteht).
Das Line-Up: Harry Beckett & Dave Defries, Claude Deppa (t, flh), Annie Whitehead & Fayaz Virji (tb), Chris Biscoe (as, alto-cl), Jeff Gordon (ts, cl, fl), Steve Williamson (t, as), Robert Juritz (ts, bsn), Julian Arguelles (bari, ss), McGregor (p), Ernest Mothle (b, elb, perc), Gilbert Matthews (d, perc) und Tony Maronie (perc). Annie Whitehead steuert im öffnenden Titeltrack (komponiert wie fast alle Stücke von McGregor) ein tolles Posaunensolo bei, das im vokalen Gestus ein wenig an Craig Harris‘ Soli bei Abdullah Ibrahim erinnert – und das rauht die glatte Produktion durchaus auf. Dafür geht es in „Bakwetha“ (McGregor) – das Repertoire ist dasselbe wie in Durban, es gibt vier weitere Stücke, die auf beiden Alben zu finden sind – gleich noch etwas geschliffener weiter, wenn Mothle zur Bassgitarre greift und Matthews einen binären Pop-Beat trommelt. Doch dann soliert Defries mit einem weichen Ton und einer Delivery, die seinem Registerkollegen Harry Beckett alle Ehre macht. McGregor selbst ist der zweite Solist und dann auch gleich wieder der erste in „Sweet as Honey“ (McGreor), wo er wirklich an Monk zu denken scheint. Danach folgt ein tolles Solo von Biscoe (den man allenfalls aus den Bands von Mike Westbrook kennt), und zuletzt Beckett, McGregor und Biscoe im Austausch („Fours“) mit Matthews. Zwischen und hinter den Solisten gibt es Tutti, die an den klassischen Big-Band-Kanon erinnern. Mit „You and Me (Sejui)“ (hier McGregor und Segona zugeschrieben) endet die erste Hälfte des Albums, eine Art Reggae-Groove mit Kwela-Einschlag (wie es ihn bei Dyani ja auch gab), Soli von McGregor, Deppa und Juritz – letzterer (mir völlig unbekannt) überraschend ruppig am Tenorsax, fast ein Bruch, doch dann wachen die Bläser hinter ihm auf und die Riffs werden fast so lebendig wie fünfzehn Jahre früher.
Am Beginn der zweiten Hälfte steht mit „Thunder in the Mountain“ (McGregor) ein Stück, das auf der LP-Version fehlte – es dauert zwar nur 3:50, aber beide Plattenseite waren schon um die 26 Minuten lang. Hier kriegen wir einen vertrackten Groove mit Tutti, Piano und E-Bass und den Drummern Maronie und Matthews als Solisten. „Big G“ (George Lee) rollt wuchtig aber mit hohem Bass-Lick – und Mothle kriegt dann nach ein paar Takten Piano im Thema das erste Solo, bevor Gordon am Sax und danach wieder Matthews zu hören sind. Und hinter dem Bass-Solo gerät die Musik für einen Moment etwas aus der sicheren Bahn, bricht auf und klingt nicht mehr so vorgespurt – ein schöner Kontrast, auch wenn die Bläser bald wieder mit routinierten Riffs dazukommen, aus denen dann das Tenorsax-Solo abhebt. Auch das folgende „Maxine“ (McGregor) kennen wir schon vom Solo-Album aus Durban – es ist hier das längste (in Durban eins der längsten) Stück und die Solisten sind Williamson und Beckett. Der Saxophonist ist nach dem Piano-Intro allein mit McGregor zu hören und sein etwas matter Ton ist sehr, sehr schön, seine Delivery von der grössten Souveränität, auch wenn es hinten raus etwas zu virtuos wird – inzwischen mit der ganzen Rhythmusgruppe und einem kargen Band-Arrangement inklusive Klarinetten (und vielleicht dem Fagott, das ich bisher nirgends gehört habe). Beckett singt dann seine Linien am Flügelhorn – und sorgt erst recht dafür, dass McGregors Widmung an seine Frau das schönste Stück des Album ist. Im letzten Drittel kriegen wir dann nochmal das ganze Können von McGregor zu hören: ein paar Takte Piano leiten über zur Band, die jetzt über drei Minuten hervorragend arrangiertes Material spielt – irgendwo zwischen Ellington und Gil Evans – am Ende wieder leise und mit Becketts singendem Flügelhorn im Lead, bevor Williamson eine kurze Schlussphrase spielt und den Bogen schliesst. Den Abschluss macht dann „Dakar“ (McGregor), auch fast neun Minuten lang und nach einem freien Percussion-Intro von Maronie so wuchtig dahinrollend, dass ich etwas an Randy Weston erinnert bin. Hier sind dann Biscoe und Gordon zu hören, an Altklarinette und Klarinette, wie es scheint – es geht hier alles durcheinander, und das ist gut so! Es gibt wie zu den besten Zeiten der Band auch Einwürfe vom Blech und die Ensemble-Passagen sind so lebendig wie kaum je auf diesem Album. McGregor spielt dann auch nochmal ein paar Takte und Mothle ist ziemlich toll hinter ihm am E-Bass. Es folgt ein kurzes Solo von Arguelles am Sopransax, bevor Matthews und Maronie gemeinsam übernehmen. Zum Schluss erhebt sich nochmal Williamson über das Ensemble – jetzt am Altsax, wenn ich mich nicht täusche (das Instrument steht bei den Solo-IDs nicht, nur die Namen). Hintenraus wird das Album also deutlich stärker. Es ist auch zu Beginn keineswegs schwach, ich kann aber nach wie vor gut verstehen, dass es mir damals wenig vom Zauber der Musik von McGregor und der Brotherhood of Breath zu vermitteln mochte.
Beim LP-Cover (Venture, UK 1988) wurde dasselbe Foto verwendet, aber „gestaucht“ und mit ergänzenden Elementen. Produziert hat übrigens Joe Boyd, der Gründer von Hannibal Records und davor u.a. Produzent von Platten von Pink Floyd, Nick Drake oder Fairport Convention. Und vielleicht ist das hier sowas wie die Acid Jazz-Version der Brotherhood of Breath. Mit Virji ist ein Musiker dabei, der wenig später sowohl mit der grossen Band von Carla Bley wie auch mit Incognito gespielt hat – oder mit Defries zusammen als Sessionmusiker mit Keziah Jones … das war eine Zeit, als für gute Leute in London fast alles möglich war – und aus diesem Pool stammen auch einige der Leute dieser Band.
In den französischen Liner Notes meines Reissues von 2001 (auf Great Winds, einem Sublabel des frz. Prog-Rock-Labels Musea) wird noch die Geschichte der Brotherhood nach McGregors Umzug nach Frankreich zusammengefasst. Schon 1973 war McGregor in den Südwesten Frankreichs gezogen, da lief die klassische Brotherhood noch. 1981 gründete er die zweite Version der Band, besetzt mit vielen talentierten jungen französischen Musikern. 1987 folgte die dritte Version der Band, die hier zu hören ist – Anlass waren Auftritte bei den Festivals von Nos (keine Ahnung, wo/was das ist) und Mannheim. Und die Band ging dann in London ins Studio … etwas, was schon sehr lange keiner Brotherhood of Breath mehr vergönnt gewesen ist und auch in den späten Jahren McGregors ein Einzelfall blieb. Es gibt von dieser Band (ein paar Änderungen bei den Saxophonen und zusätzlich einer Sängerin) noch einen Mittschnitt vom Festival Banlieues Bleues mit Archie Shepp im März 1989 (die CD habe ich leider gerade verlegt) von 1981 ein Live-Album aus Angoulême, „Yes Please“, auf dem noch einige mehr von der alten Band dabei sind, neben Beckett auch noch Charig, Evans, Malfatti und der etwas mysteriöse Bruce Gant, der in Toulouse schon dabei war, dazu der Ex-Dyani-Kollege Tchicai und mit dem oben erwähnten Trompeter Segone sowie Mothle und Drummer Brian Abrahams noch drei Südafrikaner … und dann eben auch Louis Sclavis, François Jeanneau oder Didier Levallet … und André Goudbeek aus den Niederlanden … und auch da schon Dave Defries – die Aussage mit den vielen jungen französcihen Musikern in den anonymen Liner Notes zu „Country Cooking“ ist also nicht so ganz wahr.
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #165: Johnny Dyani (1945–1986) - 9.9., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba