Antwort auf: Jazz aus Südafrika: Jazz Epistles, Moeketsi, McGregor, Dyani, Pukwana, Feza, Masekela etc.

Startseite Foren Über Bands, Solokünstler und Genres Eine Frage des Stils Blue Note – das Jazzforum Jazz aus Südafrika: Jazz Epistles, Moeketsi, McGregor, Dyani, Pukwana, Feza, Masekela etc. Antwort auf: Jazz aus Südafrika: Jazz Epistles, Moeketsi, McGregor, Dyani, Pukwana, Feza, Masekela etc.

#12499047  | PERMALINK

gypsy-tail-wind
Moderator
Biomasse

Registriert seit: 25.01.2010

Beiträge: 68,343

Das nächste Kapitel ist eines, das eigentlich keine Worte braucht: die Brotherhood of Breath. Das erste unbetitelte Album erschien 1971 und vereint die Blue Notes (Feza, Pukwana, McGregor, Moholo) mit einigen der englischen Musiker, die immer wieder im Old Place waren und die Auftritte der Band im Lauf der Abende zu Jam Sessions werden liessen: „There were some nights when it started out our gig but by the end of the evening there would be 15 musicians on the stage! That was the spirit at the time!“ (McGregor in Maxine McGregors Liner Notes zu „Our Prayer“). Die BoB war McGregors vierte Big Band – und die erste, die eine Weile Bestand hatte. Einen ersten Anlauf nahm er 1959 in Cape Town, noch während seines Studiums an der Uni. Den zweiten Anlauf können wir dank dem legendären Album „Jazz/The African Sound“ auch heute noch nachhören (Feza, Pukwana, Moyake und Beer waren da alle dabei, dazu u.a. Kippie Moeketsi, Barney Rachabane, Dennis Mpale, Early Mabuza und Sammy Maritz – ein wahres Klassentreffen der Modern Jazzer vom Kap – Feza war da … 15?). Anlauf Nummer 3 passierte dann in London im Jahr 1968 „and its gigs at Ronnie Scott’s Old Place almost set the venerable Gerrard Street emporium ablaze“ schreibt Richard Williams in seinen Liner Notes zum zweiten Album „Brootherhood“ (die ersten beiden, damals bei RCA erschienenen Alben gab es als Reissues auch wieder bei Fledg’ling, die folgenden dann bei Ogun). Diese dritte Band spielte nur ca. sechs Gigs, landete aber im Jahrespoll des Melody Maker auf Platz 2 hinter Duke Ellingtons Band.

Nach dem jubilierenden „Mra“, in dem die ganze Band zusammen einen irren Stomp hinlegt, kommt in „Davashe’s Dream“ mit Soli von Pukwana und Feza die Ellington-Seite von McGregor zum Vorschein. Die Begleitung der Solisten ist wahnsinnig gut gemacht. In der Band sind neben den schon genannten auch Mark Charig (cor) und Harry Beckett (t), Malcolm Griffiths und Nick Evans (tb), Evan Parker (ts, ss), Mike Osborne (as, cl), John Surman (bari, ss) – und ein weiteres Südafrikaner, Bassist Harry Miller, der fortan mit Moholo die heissesten Grooves nördlich des Äquators produzieren sollte. Surman kriegt ein grosses Solo am Sopransax in „The Bride“, während auf „Andromeda“ zwischen Feza und Pukwana auch noch Nick Evans zu hören ist. Auf der zweiten Albumseite gibt es dann das 20minütige „Night Poem“ mit McGregor (der das Stück auch komponiert hat) an einem „african xylophone“ und indischen Flöten von Feza und Beer. Das beginnt sehr frei und offen mit den erwähnten Flöten, dem Xylophon und wie mich dünkt einiger weiterer „little instruments“ (die aber den Musikern nicht zugeordnet sind, in den Credits ist da nur Moholo mit d/perc), wie es scheint ohne fixe Struktur aber durchaus einer Art Entwicklung. Bläser steigen ein und spielen Melodiekürzel, eine Trompete und eine Posaune beginnen Call und Response zu spielen, es gibt allmähliche Verdichtungen aber auch Entspannungen. Irgendwann tauchen erste Elemente von einem Beat auf und verschwinden wieder bis kurz nach vier Minuten das Xylophon ein Riff-Thema zu spielen beginnt, worauf der Bass und die Drums in den Groove fallen, der beschleunigt wird und so ab Minute fünf allmählich abhebt, aber weiter mit anziehendem Tempo, das schliesslich kollabiert und wieder in eine freie Passage mündet, aus der derselbe Groove dann gleich wieder emporsteigt – die Trompete und die Posaune (Beckett und Evans?) bleiben stets präsent, zwischendurch ist ein Sopransax zu hören (wieder Surman). Bei der zweiten Auflösung des Grooves gibt es einen wilden Blow-Out, jetzt auch mit all den Saxophonen, die wilde, sich überstürzende Schreie und Stakkato-Salven ablassen. Die Posaune fängt mit kurzen Cries an, die Trompete bleibt hingegen stets lyrisch und glasklar im Ton (und Feza kann’s ja nicht sein, der spielt eine der Holzflöten). Das Schema bleibt: der Groove, der wieder aufgebrochen wird – mal schneller, mal etwas langsamer, mal wieder beschleunigt … aber die Textur des über 20 Minuten langen Stückes verändert sich um das Xylophon McGregors herum mit der Zeit immer stärker: die Saxophone kommen dazu, die Posaune verschwindet mal fast, aber die Trompete bleibt stets da. Eine faszinierende Aufnahme, die einerseits die noch grössere Nähe McGregors zur aktuellen Musik aus den USA und aus Europa dokumentiert, aber auch eine eigene Sensibilität verrät, die vom Charakter her und auch von den Klangfarben sehr reichhaltig ist und doch recht weit von den Hochenergie-Spielweisen entfernt, wie sie z.B. auch Evan Parker anderswo pflegte. Und drum herum diese kleinen Tänze, die das Leben und den Rhythmus, das Zusammen im Ensemble feiern, und die traurigen Hymnen, die auch eine Art südafrikanische Vereinnahmung von Ellington/Strayhorn ist. Als Closer folgt das kurze „Union Special“, das wieder zum einfachen, hymnischen Groove zurückkehrt.

1972 legte die Band ein zweites RCA-Album nach, „Brotherhood“. Es ist nach dem überlangen Vorgänger („Brotherhood of Breath“ dauert wie auch „Very Urgent“ ca. 47 Minuten) kürzer, das längste Stück heisst „Joyful Noises“ und bleibt unter 14 Minuten. Das Line-Up hat sich nicht zu sehr verändert: Feza, Beckett und Charig, Evans und Griffiths, Pukwana, Osborne, Miller und Moholo sind alle dabei. Neu für Beer (der ging jetzt wohl endgültig Boote bauen) und Surman sind Gary Windo und Alan Skidmore. Los geht es auch hier mit einem frohen Groove, „Nick Tete“ von Pukwana, der auch ein brennendes Solo beisteuert. Mit McGregors „Joyful Noises“ wird die Stimmung nachdenklich, fast grüblerisch mit einem Klaviersolo-Intro, das sehr frei ist aber nie ausbricht in Cluster oder so. Nach etwas über eineinhalb Minuten gibt es wieder diese Bläser-Tutti, die an Ellington erinnern – das Klavier bleibt weiter im Zentrum. „The piano is my favourite drum“, zitiert Richard Williams den Leader in den Liner Notes: „McGregor draws his own tones and colours out of his instrument, until the piece becomes a tour de force with no end. His writing for the horns here is, in my opinion, his finest orchestral achievement.“ Auch hier geht es so sehr um die einzelnen Stimmen – auch im Verband, eben im tollen Arrangement von „Joyful Noises“ werden sie als solche erkennbar – wie um das Ensemble, das Zusammenspiel, das Gemeinsame, das hier erzeugt wird und über alles hinauswächst, was die Beteiligten sonst machten. Dieser Vorgang des Transzendierens macht diese Musik so einzigartig. Eine stetige Bewegung, es wird nach etwas gegriffen und stattdessen wird das nicht erreicht sondern übertroffen. Das hat auch mit dem Push zu tun, den Louis Moholo der Band gibt. Williams zitiert Muhammad Ali als Parallele, „float like a butterfly, sting like a bee“ und fügt an, vielleicht sei „kick like a horse“ aber doch die bessere Phrase, um Moholos „unique brand of overdrive“ zu beschreiben. In „Think of Something“ von Osborne ist neben dem Leader (vermutlich … der viel von Pukwana gelernt hat) auch Nick Evans‘ Posaune zu hören – über rasendem Bass von Harry Miller … und das recht konventionell beginnende Stück wird je länger es dauert desto eigenwilliger. „Do It“ von Pukwana ist wie der Opener eine dieser tanzenden Nummern mit unglaublichem Drive – und hier ist Feza zu hören, im Dialog mit einem wilden Tenorsax (Windo ziemlich sicher), das zuerst sehr dominant wirkt, doch der Trompeter flattert durch die Klangmasse des Saxophons. Zum Ende gibt’s als kurzen Closer den ikonischen „Funky Boots March“ von Windo/Evans – auch das Material ein Zeuge, dass die Band mehr zum Kollektiv geworden ist, nachdem im ersten Album nur Pukwana und McGregor komponiert sowie ein Stück von Davashe mitgebracht hatten.

Eine Nachbemerkung hier: es ist schon auffällig, wie anders der Grundton in den Rücklicks-Texten von Maxine McGregor vs. denen der Engländer (Richard Williams, Joe Boyd) ist. Letztere heben immer die tolle Szene hervor, die Offenheit … aber verschweigen die schwierigen Jahre oder deuten sie bloss kurz an. Die Sache mit den Gewerkschaften kennt man ja von anderswo, auch von Franzosen, die z.B. nicht in England auftreten konnten … und sie wird ein Hauptgrund dafür sein, dass die Hausbands (bzw. weil man von Aufnahmen her ja eh nur eine kennt, die Hausband im Ronnie Scott’s) noch bis weit in die Sechziger hinein Bestand hatte: den Gig von Sonny Rollins, Wes Montgomery, Don Byas, Benny Golson oder wem auch immer konnte halt kein Engländer übernehmen, aber den der Begleiter an Piano, Bass und Drums eben schon … wie Norman Granz seine Touren in England jeweils hingekriegt hat, weiss ich nicht, vielleicht steht dazu ja was in seiner Autobiographie.)

--

"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #164: Neuheiten aus dem Archiv, 10.6., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba