Antwort auf: Jazz aus Südafrika: Jazz Epistles, Moeketsi, McGregor, Dyani, Pukwana, Feza, Masekela etc.

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Die Chris McGregor Group von „Very Urgent“ (1968) ist nichts anderes als die Blue Notes, die nach dem Gig in Antibes in London spielten (April 1965, zwei Wochen im Ronnie Scott’s), dann ein paar Monate in Zürich weilten, bevor sie ihr Glück doch in England versuchen wollten. Nick Moyake war wieder heimgereist, in England stiess dafür ein anderer Südafrikaner als Tenorsaxophonist dazu, Ronnie Beer.  Er macht die Gruppe hier wieder zum Sextett, das nach dem wunderschönen lyrischen Start (Ellington spielt bei McGregor ja immer auch eine Rolle) zwischen wuchtig freien Passagen und hymnischen Grooves kreist. Das Eingewöhnen in England fiel nicht leicht: weitere Gigs gab es nur, wenn sie der Gewerkschaft beitraten, doch dafür mussten sie ein Jahr im Land sein … in einem nasskalten, unfreundlichen Land, in dem die Jazzszene nur halb so offen und vielfältig (und gross) war, wie die Musiker vom ersten Eindruck her glaubten. Die Regelung, dass die Gigs der Ausländer mit der gleichen Anzahl von Gigs für englische Musiker im Ausland kompensiert wurde, wurde den Blue Notes erlassen, weil sie als Flüchtlinge galten, aber es war ihnen auch untersagt, Jobs anzunehmen, die auch englische Musiker übernehmen konnten. Ein Gig in einem Pub gegenüber dem Hauptsitz des ANC ergab sich. Die Blue Notes hatten Heimweg, tranken, waren unzuverlässig, taten ihre Meinung auch mal kund, indem sie Promoter anschrien – all das kam in der zurückhaltend-höflichen englischen Szene nicht gut an. Die Band hielt noch ein paar Jahre durch, doch Ende der Sechziger flog sie auseinander. Beer zog nach Ibiza, wo er Boote baute, Feza spielte mit Robert Wyatt, Dyani gründete Witchdoctor’s Son und spielte mit John Tchicai, Pukwana gründete Assagai, Moholo startete Viva La Black und begann auch, regelmässig mit Keith Tippett zu spielen. Er hatte in der Zwischenzeit eine neue Messlatte für dynamisches freies Schlagzeugspiel in England gesetzt, wo es schon davor einige sehr gute Schlagzeuger gegeben hatte (das Kapitel Miller/Moholo begann dann ja auch schon bald – für meine Ohren eine der besten Rhythmusgruppen aller Zeiten). Doch sie kamen bei Joe Boyd unter, der u.a auch Fairport Convention und Nick Drake betreute, und er steht hinter dem Polydor-Album, das längst ein Klassiker ist und Free Jazz (hier noch eher amerikanischer Art: Cecil Taylor oder Don Cherry lassen sich als Einflüsse erahnen) mit der aus Südafrika mitgebrachten Musik vereint.

Das zweite Album mit Joe Boyd konnte dann nicht mehr erscheinen. „Up to Earth“ folgt dem Weg, neben McGregor, Feza, Pukwana und Moholo sind hier Evan Parker (ts), John Surman (bari, bcl) und Barre Phillips oder Danny Thompson (b) dabei. Noch etwas weniger Südafrika, mehr Free Jazz, der sich hier aber auch durch Parkers spürbare Präsenz in Richtung Europa öffnet. „Up to Earth“ kam erst 2008 heraus, 39 Jahre nachdem es aufgenommen worden ist. Boyd schrieb die Liner Notes für das Reissue (wie alle drei hier abgebildeten bei Fledg’ling – CDs, die auch für Haptiker was hergeben, nochmal etwas schöner gemacht als die Ogun-Reissues, die ja auch schon ziemlich toll sind), er meint, seine Beziehung zu Polydor sei da bereits nicht mehr gut gewesen und sein neues Label, Island, halt kein Jazzlabel und daher nicht interessiert. Dyani war hier schon nach Skandinavien gezogen – bei Beer bin ich nicht sicher (er ist ja dann bei der Brotherhood wieder oder noch dabei, zumindest ganz zu Beginn).

Auch „Our Prayer“ erschien erst 2008 bei Fledg’ling. Hier hören wir McGregor und Moholo im Trio mit Barre Phillips – ein Album, das ich schon vor ein paar Monaten nach dem Tod des Bassisten wieder hervorgeholt hatte, und das mich auch heute wieder begeistert. Maxine McGregor, die Witwe von Chris, hat all die Aufnahmen lizenziert (ihr gehören also vermutlich auch die Rechte am Polydor-Album) und hier auch einen Text beigesteuert. Bei ihr liest sich die obige Chronologie leicht anders: Einladung nach Antibes/Juan-les-Pins im Sommer 1964 (M. McGregor reiste als Managerin mit, nachdem viel Papierkram erledigt war), doch danach „reality set in. […] A period of busking on the Cote D’Azur was brought to an end with the timely offer of a job at the Africana Club in Zurich organised by compatriot Dollar Brand (Abdullah Ibrahim). Here we spent the winter, living in one room in the basement of his student house, with occasional monthly gigs at the Africana and the Blue Note Club in Geneva. But it was extremely poor pay for six musicians and not a long-term prospect. Nick Moyake, who was gravely ill, returned to South Africa.“ Im April 1965 dann der zweiwöchige Gig im Ronnie Scott’s in London – und kurz die Hoffnung, dass es dort besser würde, wo viele Südafrikaner lebten. Schon damals schrieb wer im Melody Maker: „The band was good. It was fresh and it got good notices. But it died – there was just not enough scene to sustain it. So much for swinging London!“


Foto von der Hülle zum „Very Urgent“-Reissue

Dann kamen die oben schon geschilderten Probleme mit der Gewerkschaft, was nur Pub-Jobs oder selbst organisierte Konzerte als Möglichkeit liess. Die Band nahm an, was sie kriegen konnte, aber bei Gigs ausserhalb Londons reichten die Gagen manchmal nicht einmal aus, um die Reisekosten zu decken. Auch eine Unterkunft zu finden war schwierig. Maxine McGregor ging allein hin und unterzeichnete den Mietvertrag, bevor die Musiker sich zeigten – und sie wurden mehrfach rausgeschmissen, weil sie mitten in der Nacht spielten. McGregor hatte in dieser Zeit nicht einmal Zugang zu einem Klavier. Alle sassen immer um den Teekrug herum, sagte Barbara Pukwana später, und „Mongezi did most of the housework“.

Zwei Trips nach Kopenhagen – Auftritte im Jazzhus Montmartre – boten neue Hoffnung. Sie wurden enthusiastisch empfangen, die Musiker waren freundlich und offen. Doch zurück in London wieder das übliche … und so begann die Band, auseinanderzufallen. Im Melody Maker (15. Juli 1967) sagte McGregor: „I suppose we tended to overestimate the scene here. From South Africa it looked pretty good and of course the liberal attitudes were an attraction so that we could go on playing together. We just naturally assumed that there would be the same kind of open-mindedness to music here that there is to colour.“ Maxine McGregor fährt in den Liner Notes unmittelbar darauf fort: „The apathy was hard to accept. In South Africa although there were all the hardships engendered by apartheid, music was very important in the lives of the people and the Blue Notes had definitely been stars in their own country. As Chris said: „In South Africa the spirit behind the resistance was expressed in the music. The kind of jazz we played was not obviously political, but I think our generation of musicians were the first to make an impact on South African cultural thinking. To come from there to here where in a strange way what you do doesn’t really matter to anyone, is a difficult thing to adjust to.“

Mongezi ging als erster. Nach dem zweiten Auftritt in Kopenhagen heiratete er bald eine Dänin. Sie lebten in beengten Verhältnissen in London, bevor sie bald nach Dänemark zogen. Wenig später gingen Dyani und Moholo für ein Festival nach Italien und danach auf Tour nach Südamerika mit Steve Lacy und Enrico Rava, von der sie erst Monate später zurückkehrten (die Geschichte ist ja bekannt, hier im Forum hat sie auch mal wer zusammengefasst, glaub ich? @vorgarten?). Es waren also nur noch McGregor und Pukwana da. Laurie Allen (d) und Chris Cambridge (b) waren die Leute, die angeheuert wurden, dazu dann eben noch Ronnie Beer. Eineinhalb Jahre nach ihrer Ankunft in London hatte sich die Musik verändert – und das ist „Very Urgent“ ja auch stark anzuhören. Im Montmartre kriegten sie Wind von den neusten Entwicklungen in den USA – Maxine zitiert wieder Chris McGregor: „Albert Ayler and Archie Shepp had just been at the club, and Don Cherry and JC Moses and Cecil Taylor. That music was very much in the air. Physically and technically I was reaching in all kinds of directions, especially Albert and his approach to tenor playing opened up that whole thing to me. The muscular relations would obviously appeal to someone oriented to African music where there is so much dance.“

Im Little Theatre Club in Garrick Yard spielten dann die „neuen“ Blue Notes, neben dem Spontaneous Music Ensemble, die Bands probierten ihre neuen Klänge aus. Und bald kriegten sie im Ronnie Scott’s Old Place einen regelmässigen Gig, wo viele der neugierigen jungen Musiker aus Grossbritannien dazu stiessen. Chris McGregor hatte nur eine Basis und Zugang zu einem Klavier, „he spent night after night shut in at the Old Place after closing-time finding his limits with the piano.“ Und als Moholo, Dyani und Feza wieder zurück waren, war der Kern für die Brotherhood of Breath bereit.

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