Antwort auf: Der letzte Film, den ich gesehen habe (Vol. II)

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Gestern im Kino:

La Sainte famille (FR/CH 1972) von Pierre Koralnik. Der 88jährige Regisseur war erfreulicherweise erneut zu Gast (die beiden Vorführungen mit ihm letzte Woche habe ich verpasst). Der Still auf der Werbung für die Retro stammt aus dem gestrigen Film, der einen krassen Sektenmord aus der Gegend, in der ich aufgewachsen bin, dokumentiert: 1966 haben ein Sektenführer, seine Assistentin und drei ihrer Anhänger eine Siebzehnjährige im Rahmen einer „Teufelsaustreibung“ totgeschlagen. Rechts im Bild Christian Rutishauser, Professor für Judaistik und Theologie (Uni Luzern) und Priester, der in die Thematik des Glaubenswahns einführte und sich vor der Vorführung auch ein wenig mit Koralnik über den Film unterhielt.

Hintergrund zum Fall gibt es hier:
https://www.aargauerzeitung.ch/verschiedenes/zu-tode-geprugelt-die-holle-von-ringwil-jahrt-sich-zum-50-mal-ld.1555348
Mein Vater wuchs in dem Ort auf, in dem der auch verurteilte Gemüsehändler lebte und kann sich noch an die Tat erinnern.

Der Film ist in einer anderen Gegend ganz im Norden des Landes gedreht worden, im Schaffhausischen, teils am Rhein (auf IMDB steht u.a. Diessenhofen, auf halber Höhe zwischen dem Bodensee und Schaffhausen, das Stadttor passt glaub ich zu dem im Film – aber Zürich und Winterthur, was auch auf IMDB steht, kann ich nicht bestätigen) und nimmt sich auch sonst einige Freiheiten (der Sektenführer und seine Assistentin/Geliebte – Ingrid Thulin abgründigst – beteiligen sich z.B. nicht am Mord) und will sowieso als Parabel auf die Mechanismen, die Dynamik verstanden sein, mit der Menschen solche bösartigen Taten begehen können. Umso erschütternder wirkt der auch heute noch.

Im Februar erst hat die Cinémathèque Suisse ihre alte 35mm-Kopie digital gesichert (und farblich korrigiert – stellenweise merkt man die Schäden dem Digitalisat leider schon deutlich an), als Koralnik letzten Herbst in der Cinémathèque selbst mit einer Retro geehrt wurde, konnte der Film noch gar nicht wieder gezeigt werden.

Im Verleih hiess der Film, als er im Februar 1973 in die Kinos kam, „La Chasse au diable“, weil der vorgesehene Titel nicht kommerziell genug gewesen sei, wie Koralnik erläutert hat. Als Regie-Assistent war damals Rolf Lyssy dabei, der später einen der erfolgreichsten Filme des Landes drehen sollte, „Schweizermacher“.

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