Antwort auf: Literarische Begegnungen (Lesungen)

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ford-prefect
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Ein Abend für Jürgen Ploog, Romanfabrik, Frankfurt/Main, 19.5.2025

Letzten Montag war ich auf einer Gedenklesung in Erinnerung an den Frankfurter Underground-Schriftsteller Jürgen Ploog (1935-2020), dessen fünfter Todestag an diesem Abend war. Über Jürgen Ploog ist vor einem Monat die Biografie „Ploog, West End“ in der Edition W. erschienen, mit Beiträgen von Filmemacher Klaus Maeck, der aus der 1977er-Punk-Szene stammt und dem wir den Cyberpunk-Film „Decoder“ von 1984 verdanken, von dem im Sommer eine Wiederveröffentlichung mit Bonusmaterial erscheinen soll, Bukowski-Übersetzer Carl Weissner, Kathy Acker, Jörg Fauser und Clemens Meyer sowie unveröffentlichten Texten. Dieses Buch von Herausgeber Wolfgang Rüger galt es, an einem sommerlich warmen Montagabend in der sehr gut besuchten Frankfurter Romanfabrik vorzustellen. Dabei war ein Großteil der Besucher Ü50, die wohl mit den Texten von Jürgen Ploog, der früher hauptberuflich als Pilot über den Himmel düste, in ihrer Jugend aufwuchsen. Als lesende Ploogianer. „Das ist die Wiedergeburt von Jürgen Ploog. Wir wollen nicht trauern, sondern feiern“, betonte Herausgeber Wolfgang Rüger in seiner Eröffnung.

Als Vorleser kam eigens aus Wien der Schriftsteller Wolf Wondratschek angereist, der in den 1970er Jahren zeitweise in Frankfurt in der Ulmenstraße wohnte … was seiner Beschreibung nach damals ein Wohnviertel für „Galgenvögel“ wie Künstler und Autoren gewesen sei. Deshalb suchte Wolf Wondratschek die Ulmenstraße vor der Lesung auf und sei ganz entsetzt gewesen, wie sich diese Häuserzeile verändert habe. Stichwort Gentrifizierung. Das erste Mal nahm ich Wolf Wondratschek wahr, als er im März 2001 in der Harald Schmidt Show auf Sat.1 mit Pornostar Gina Wild zu Gast war. Am Ende seines Auftritts meckerte Wondratschek darüber, weniger TV-Minuten bekommen zu haben als Gina Wild vor ihm. In der Romanfabrik erfüllte der Literaturmensch ausgewählte Passagen aus dem Buch „Ploog, West End“ stimmgewaltig, eindringlich und prononciert mit Leben. Das Westend ist ein Stadtteil in Frankfurt. Bei „Ploog, West End“ handelt es sich um ein sprachlich ganz hervorragend verfasstes Buch, das einen Eindruck davon gibt, wie sich die alternative Literaturszene der 1970er Jahre in Deutschland allgemein und in Frankfurt im Besonderen gestaltete. An der anschließenden Podiumsdiskussion nahm David Ploog teil, der Sohn von Jürgen Ploog, der gegenwärtig damit beschäftigt ist, den Nachlass seines Vaters zu verwalten. Demnächst sollen 20 Tagebücher, sieben Kisten mit Papier, das Ploog’sche Arbeitszimmer und zahlreiche USB-Sticks mit unveröffentlichten Schriftstücken an das Deutsche Literaturarchiv in Marbach gehen, in Kooperation mit der Goethe-Universität Frankfurt.

Außerdem sprach der Schriftsteller Ralf-Rainer Rygulla aus Köln, der mit Jürgen Ploog befreundet war. Die Achse der deutschen Beat-Poeten habe sich von Köln mit Rygulla über Frankfurt mit Jürgen Ploog bis Mannheim mit dem literarischen Übersetzer und Bukowski-Kumpel Carl Weissner erstreckt. In jenen Tagen erschien in der Szene die gegenkulturelle Literaturzeitschrift Gasolin 23, mit einfachen Mitteln produziert. Jeder, der was mitzuteilen hatte, schrieb für das Heft ein paar mehr oder weniger gedankenvolle Texte. Das waren die „Gasoliner“, die das Heft publizierten. „Die Erfindung des Fotokopierers war die technische Revolution, ohne die der Underground nicht möglich gewesen wäre. Heute heißt das Book on Demand“, erklärte Ralf-Rainer Rygulla. Durch das Kopieren und Zusammenheften im örtlichen Copyshop entstanden auch die ersten Punk-Rock-Fanzines in den frühen 1980er Jahren. Zur Umsetzung seiner stark fragmentierten Texte wandte Ploog die Cut-up-Technik an. Seine bisweilen sperrigen Texte sind Bewusstseinserkundungen. In der Romanfabrik äußerte sich ebenfalls Filmproduzent Klaus Maeck, der 1993 den Dokumentarfilm „Liebeslieder“ über die Einstürzenden Neubauten für das WDR-Fernsehen drehte und 2005 mit Regisseur Fatih Akin die Dokumentation „Crossing the Bridge“ über die türkische Musikszene in Istanbul realisierte. Einer der jüngsten Dokumentarfilme von Maeck ist „Alles ist eins. Außer der 0“ über den Chaos Computer Club. Klaus Maeck hielt Kontakt zu William S. Burroughs, der großen Einfluss auf das kreative Schreiben von Jürgen Ploog nahm. „Burroughs habe ich 1980 interviewt. Ich habe ihn in New York auf der Bowery gesucht, doch Burroughs war gerade umgezogen“, erinnerte sich Filmproduzent Klaus Maeck. Wer nach Frankfurt am Main kommen sollte, muss das legendäre Café Laumer in der Bockenheimer Landstraße besuchen: Dort verkehrte in den 1970er Jahren die Literatur- und Künstlerszene.

Podiumsdiskussion über Underground-Schriftsteller Jürgen Ploog (von links): Moderator Rainer Weiss, Literaturwissenschaftlerin Martina Weber, Schriftsteller Ralf-Rainer Rygulla, Nachlassverwalter David Ploog und Filmproduzent Klaus Maeck

Von Filmproduzent Klaus Maeck unterschriebene Programmbroschüre der Romanfabrik in Frankfurt

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