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Kyle Eastwood Quintet / Anouar Brahem Quartet – Basel, Stadtcasino – 27.04.2025
Kyle Eastwood Quintet – „Eastwood Symphonic“
Quentin Collins (t, flh), Brandon Allen (ts, ss), Andrew McCormack (p), Kyle Eastwood (b, elb), Chris Higginbottom (d)
Anouar Brahem Quartet feat. Dave Holland
Anouar Brahem (oud), Dave Holland (b), Django Bates (p), Anja Lechner (vc)
Festivaleröffnung heisst immer auch ein paar Ansprachen. Jubiläum – 35 Jahre Festival, 50 Jahre Konzertserie – erst recht. Vor Eastwood sprach kurz der Veranstalter, der seit Anfang dabei ist (und heuer einen Musiker von der ersten Ausgabe wieder präsentiert, Daniel Humair, während Dave Holland mit Gateway 1977 erstmals dort war) und ein Vertreter der Regierung von Basel Stadt, die Vertreterin von Basel Landschaft (das sind zwei Halbkantone, kann man googeln bei Interesse, jedenfalls haben sie ihre Jazz- und Pop-Kredite zusammengelegt) wurde für ihre Rede voller Plattheiten, für die sie es nicht nötig befunden hatte, die Aussprache von ein paar Namen und Fremdwörtern wie „Oud“ vorgängig zu klären, vom Publikum durch unvermittelt verfrühten Applaus fast zum Abbruch gezwungen, aber sie stand es tapfer durch.
Auch für mich gab’s eine Irritation: Nach der Pause sass plötzlich wer auf meinem Platz – und hatte tatsächlich auch eine Karte, die auf diesen Platz ausgestellt war … ich konnte zum Glück in der ersten Reihe des seitlichen Balkons einfach etwas weiter nach hinten rutschen, da das Konzert nicht ausverkauft war – aber einerseits dass sowas überhaupt passieren kann bei professionellen Ticketing-Firmen und andererseits die Kaltschnäuzigkeit der Leute auf meinem Platz warfen mich schon für 10 oder 15 Minuten aus dem Konzept, bis Brahems wunderbare Musik mich dann wieder reinholte. Ich hab mich jetzt mal noch beschwert, aber das wird ja nichts nützen, ob ich einen allfälligen Gutschein (das wäre zumindest die „grosszügige“ Geste, die ich erwarten würde) je einlösen könnte oder möchte, steht nach diesem ersten Besuch beim Festival erstmal in den Sternen. Fotos hab ich dann auch keine mehr gemacht, weil ich mich einfach auf die Musik fokussieren wollte.
Aber gut, zur Musik. Auch die begann mit etwas Irritation bzw. der Bestätigung, dass Schuhschachtel-Konzertsäle einfach nicht für verstärkte Jazzbands mit Drums geeignet sind. Das Quintett von Kyle Eastwood begann sein Set nach einem kurzen Film-Einspieler, der Clint und Kyle im Dialog zeigte, mit „Cool Blues“ von Charlie Parker. Das ganze Set bestand aus Stücken, die für Eastwood-Filme geschrieben oder in Eastwood-Filmen verwendet wurden. Lalo Schifrin, John Williams, Ennio Morricone … und Kyle Eastwood, dessen Thema zu „Gran Torino“ (mit Jamie Cullum zusammen komponiert) das stärkste letzte Drittel des Sets einleitete. Als Zugabe gab es am das Thema aus „The Good, the Bad and the Ugly“, sehr effektiv für die zwei Bläser arrangiert – das spukte mir dann in der ganzen Pause im Kopf herum. Der Sound wurde nach den ersten zwei Stücken etwas besser, aber die Drums und die Trompete (und das Flügelhorn, mit demselben Ansteckmikro verstärkt) waren viel zu laut, das Horn viel zu hallig, der Bass hatte keine Kontur, das Klavier klang im ganzen Mix einfach nur nach hohem Brei (wenig Mitten, weniger Tiefen) … und die Drums deckten viel zu viel zu. Das Sax – und für sich genommen auch Trompete/Flügelhorn – klangen schön, aber das war’s klanglich auch schon. Ansonsten war das klassischer aktueller Mainstream-Jazz, mit teils etwas stärker durchgetakteten Stücken als üblich, aber kompetenten Soli vor allem von den Bläsern, einer recht tighten Rhythmusgruppe … und irgendwann mittendrin dann auch mal einem langen unbegleiteten Kontrabass-Intro, in dem Eastwood seine Skills auch mal beweisen konnte. Das ganze kam locker daher, die Jungs wissen, was sie können (und was nicht) und wissen, wie sie wirken … wo wir es drüben im Hörfaden neulich vom Konzept der badness hatten: keine Spur davon. Und da ging mir beim Hören ein weiterer für die Diskussion zentraler Gedanke durch den Kopf, weil das Eastwood Quintet mit seinen Film-Themen durchaus auch eine Fortschreibung klassischer West Coast Jazz-Combos von Shelly Manne bis zum Quartet West ist: in Kalifornien gibt es badness allenfalls an den Rändern, bei der verschupften Central Avenue Leuten (Teddy Edwards! Carl Perkins!) – aber bestimmt nicht in der vornehmlich weissen Szene der Fünfzigerjahre (und eben auch nicht im Quartet West, Haden ist ja eh der Inbegriff von good, und er mochte wohl auch keine Posen, und so eine ist badness ja schon auch, auch wenn man das nicht zu kurz fassen und zu vereinfacht sehen sollte).
Nach der Pause dann der Grund, weshalb ich überhaupt nach Basel fahren wollte: Anouar Brahem mit Dave Holland, der als erstes und mit riesigem Applaus auf die Bühne gerufen wurde (er sei glücklicherweise aus dem Krankenhaus wieder herausgekommen, meinte der Veranstalter, auf mich wirkte Holland ähnlich wie vor einem Jahr, als ich sein Trio in Stans hörte, ihn dort zum ersten Mal live sah), mit dem Londoner Pianisten Django Bates und der bayrischen Cellistin Anja Lechner. Links sass Bates am Flügel, rechts Lechner am Cello, neben dem Flügel Holland und zwischen ihm und Lechner, wie üblich zwischen zwei kleinen Lautsprechern auf Kopfhöhe (wozu dienen die? nicht als Monitor-Ersatz jedenfalls) Brahem auf einem kleinen Podest (wie es bei klassischen Konzerten gern Cellist*innen kriegen, aber Lechner hatte keins). Der Sound war nun wie erhofft gut: das Klavier klang sehr gut, der Bass immerhin etwas definierter (Holland spielte dasselbe Reiseinstrument mit kürzerem Unterteil, wie es oben auf dem Foto zu sehen ist … Stephan Crump sah ich auch schon mit so einem Instrument), die Oud und das Cello klangen wunderbar. Sehr viele Saiten in dieser Band – und auch keine 88 gestimmten Trommeln. Bates erwies sich immer wieder als zarter Feingeist, entlockte dem Instrument besonders in der hohen Lage eigenwillige, stets enorm schöne Töne. Die Hauptachse lief zwischen Bass und Oud – ein gemeinsames Atmen auch da, wo die Time gedehnt und wieder komprimiert wurde, ein Verständnis, das jede Freiheit zuliess – mitten im über 90 Minuten langen Set – die Band spielte zwei lange Zugaben – war ein Duo von Brahem und Holland einer der Höhepunkte des Abends. Eine weitere Achse verlief zwischen Brahem und Bates, und der Pianist erwies sich als so etwas wie das Gravitationszentrum der Gruppe, der Kitt zwischen den anderen, der aber in ständiger Bewegung war, sich immer wieder neu formierte. Bates und Brahem gaben manchmal kleine Einsätze für Lechner, die ihre Parts von Noten spielte, und die manchmal im sehr viel freier als auf CD wirkenden Rahmen ein wenig verloren schien. Aber das waren nur kurze Momente, sie fand immer wieder souverän rein und steuerte – wie auf der CD – viele wesentliche Elemente zum Gelingen des Ganzen bei: ein singender, manchmal fast sägender oder schneidender Ton am Cello (romantisch oder süss finde ich bei ihr gar nichts, ich weiss nicht mehr, wie das im Hörfaden formuliert wurde, von @redbeansandrice glaub ich?). Was ich auch reizvoll fand ist, wie immer wieder Fliehkräfte auftauchten: wenn Brahem aus dem Beat in ein sehr freies Rubato fiel, Holland sofort mit ihm ging, während Lechner ihre Parts mit festem Metrum fortsetzte – und Bates dazwischen war, dafür sorgte, dass alles passte. So entstand immer wieder wesentlich mehr Reibung, die dann eben auch die Passagen hervorstechen liess, in denen die vier als ein Wesen atmeten und walteten. Am Ende war das wirklich grossartige, sehr lyrische, oft stille, aber auch ziemlich virtuose Musik, in der ausser vom Leader wenig Einzelleistungen zu vermelden sind sondern ein echtes Miteinander entsteht – vielleicht ist das wirklich die Musik für nach dem letzten Himmel? „Where should we go after the last frontiers? / Where should the birds fly after the last sky? / Where should the plants sleep after the last breath of air?“ – das Gedicht von Mahmoud Darwisch, das Brahem zwischen zwei Stücken rezitierte, war wohl neben einer Setlist das einzige, was bei ihm auf dem Notenpult lag. Bei Holland waren da wohl auch Noten drauf, Bates hatte nur ein paar Blätter am Boden, auf die er zwischen den Stücken rasch guckte. Ich kann die Musik nicht besser in Worte fassen, als ich es in meinem Post zum neuen Album drüben schon versucht habe – jedenfalls war es unfassbar gut und auch unglaublich schön, was die vier gemeinsam dargeboten haben.
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