Antwort auf: 2022 & 2023 & 2024 & 2025: jazzgigs, -konzerte, -festivals

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friedrich

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Nik Bärtsch’s Ronin / 17.04.2025 / A-Trane / Berlin

Nik Bärtsch, p; Sha, b-cl + a-sax; Jeremias Keller, b; Kaspar Rast, dr.

Ich hatte verpennt, Tickets für das Konzert um 20 h reservieren zu lassen. Leider war dann schon einige Wochen vorher ausverkauft. Wegen der großen Nachfrage kam dann glücklicherweise ein Zusatzkonzert um 17:30 h zustande. Also direkt von der Arbeit aus dem Gewerbegebiet in das feine Berlin-Charlottenburg, wo sich das A-Trane zwischen Boutiquen, Kunstgalerien und Edelrestaurants befindet. Etwas eigenartig, bei Tageslicht in einen Jazzclub zu gehen. Im Publikum geschätzt 70 Zuhörer, der Club also etwa 2/3 voll.

Nik Bärtsch nennt seine Kompositionen „Module“ und nummeriert sie durch. Ich weiß nicht, was durch diese Module definiert ist, ob es nur ein paar Takte lange rhythmische Patterns und melodische Kürzel sind, die improvisierend variiert und entwickelt werden können oder ob die Entwicklung schon vorgegeben wird. Ich vermute ersteres.

Jedenfalls stehen die vier Musiker ohne Noten auf der Bühne, werfen sich schmunzelnd Blicke zu, wenn sich im Spiel eine besonders schöne Situation ergibt und wie man es auch auf Ronins Studioalben hören kann, ruft Nik Bärtsch manchmal laut „Ho!“ in die Runde und ein paar Takte später nimmt die Musik einen anderen Verlauf oder sogar eine komplette Wendung. Und die ganze Spannung und Erleichterung der Musik zeigt sich im Gesichtsausdruck von Nik Bärtsch, der hoch angespannt und konzentriert schaut, zwischendurch aufgeregt in die Saiten (!) des Flügels greift und dann, wenn die Kurve oder die Bergkuppe genommen ist, erleichtert und strahlend lächelt.

Bärtsch am Piano und der großartige drummer Kaspar Rast bauen ein dynamisches und funky Gerüst, Bassist Jeremias Keller verdichtet dieses Gewebe und Bassklarinettist und Alt-Saxofonist Sha fügt Klangfarben hinzu und setzt Spitzen – aber das alles ohne ausgeprägte Soli. Einmal spielt Sha minutenlang mantra-artig mit leichten Variationen immer nur die gleichen 3-4 Töne, nur etwas begleitet von den drums, dann verdichten Bass und Piano dieses Gewebe und steigern langsam die Intensität bis man ganz berauscht ist – und es dann zu einer aufregenden Wendung kommt und sich alles auflöst. Spannung durch die Variation des Immergleichen.

Nach einer Stunde kurze Pause, begeisterter Applaus, die Band kommt wieder auf die Bühne, eine halbe Stunde Nachschlag. Ich habe während des Konzerts dauernd auf der Lehne des vor mir stehenden freien Hockers mit-getrommelt. Am liebsten hätte ich mich danach auf dem Klo versteckt und dann auch noch das zweite Set am Abend gehört.

Nik Bärtsch, der auf Fotos immer so spröde und asketisch aussieht, erweist sich übrigens als charmanter und humorvoller Mensch, der gerne mit dem Publikum kommuniziert. Ich kaufe ihm am Ausgang die aktuelle CD SPIN ab, die er mir mit persönlicher Widmung signiert. Toller Nachmittag!

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„Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)