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Danke für die Eindrücke – ich kenne erst die ersten zwei der vier Alben – und hole mal meine Eindrücke aus dem Hörfaden hier rüber:
Marshall Allen – New Dawn | Das als Leader-Debut zu verkaufen ist auch mehr Marketing als sonstwas … aber das ist super mellow, die Band groovt super (in „Are You Ready“ groovt selbst das siebenköpfige Streichensemble), die Sidemen liefern Soli, die zugleich auf den Punkt sind, aber den Leader, der jetzt nicht mehr in der Form seines Lebens ist, auch nicht schlecht dastehen lassen. Allens Beiträge sind eher erratisch, der Ton brüchig, im Intro spielt er etwas Kora, dann seinen EWI-Synthesizer und danach für den Rest das Albums Altsax (im Closer kommt noch der EWI zum Sax), ein wenig muss ich an Lee Konitz denken beim letzten Auftritt, den ich von ihm sah: auch da eine immense Persönlichkeit, die jeden Ton imprägnierte, aber mit den grossen Bögen klappte es halt nicht mehr wirklich (oder ähnlich Yusef Lateef damals mit Archie Shepp im Feierabendhaus beim Enjoy Jazz) … da hat was von einer hervorragenden Jam-Session, für die jemand ein paar ausgeklügelte Arrangements (und Streicher, die schon eine Probe hatten) mitbrachte. Cecil Brooks und Michael Ray wechseln sich an der Trompete ab, Knoel Scott spielt Alt- und Barisax, im Titelstück mit Neneh Cherry auch Klarinette auch mal Congas, Bruce Edwards wechselt gleitend zwischen Rhythmusgitarre und ziemlich tollen understated Soli, George Gray sorgt für den passenden Beat (auch ziemlich laid back), während am Bas neben Jamaaladeen Tacuma auch Richard Hill und je einmal Joseph Richard Carvell bzw. Timothy Ragsdale zu hören sind. Irgendwo taucht dann auch noch die Flöte von Jorik Bergman auf, aber nach den Streichern gelistet. Die Credits – und manchmal auch die gespitzten Ohren – legen nahe, dass das keine Jam-Session war sondern ein Stückwerk, das in zwei Locations ins Philadelphia (ein Studio und das Sun Ra Haus), in Köln (Dumbo Studios und Loft) und in in Casablanca aufgenommen und erst im Nachhinein zusammengesetzt wurde. In „Sonny’s Dance“ bilde ich mir ein, das zu hören: da psst nicht alles zusammen, die Tempi fliegen stellenweise fast auseinander, die Bläser schleppen, Tacuma versucht zu ziehen, aber die können halt nicht drauf eingehen, weil sie ihre Parts vermutlich schon vorher eingespielt hatten … aber die meiste Zeit funktioniert das wirklich prächtig und ist eine echt schöne Überraschung.
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Ambrose Akinmusire – Honey from a Winter Stone | Das neue von Ambrose Akinmusire ist auch wieder toll – schön! Das Solo-Album kenne ich leider noch immer nicht, mit „Owl Song“ wurde ich nicht wirklich warm. Hier denke ich manchmal an sowas wie „Saturnz Return“ (und von da ist es nicht weit zu Sun Ra) oder „Panthalassa“ … aber auch an „Origami Harvest“ (das Streichquartett ist hier wieder dabei, und Kokayi, der schon 2019 bei der Live-Version beim Middelheim Jazzfestival dabei war – bis auf den anderen Drummer, Justin Brown, ist das überhaupt exakt die Band, die in Antwerpen spielte … und dass ich grad mein Pyramids T-Shirt trage, während ich das hier tippe, passt noch besser) – und natürlich hat das ganz viel Hip Hop absorbiert, den es in den Neunzigern noch nicht gab (Hip Hop schon, klar, aber nicht den, um den es hier geht). Eigentlich ist „Honey from a Winter Stone“ ein Doppelalbum, nach vier Stücken, die gut auf zwei LP-Seiten passen würden, ist der letzte Track fast eine halbe Stunde lang und baut alles nochmal neu auf: die Soundscapes mit ätherischen Trompetenlinien (mit Hall, manchmal auch mehrstimmig mit Overdubs), Streicher- und Synthesizer-Teppichen, Synth-Bässen, trockenen Hip-Hop-Drums, dann taucht Kokayi auf … das ist keine westliche Höhepunkt-Musik sondern findet seinen eigenen Flow, in dem irgendwie die Zeit aussetzt, auch wenn sie zugleich sehr deutlich markiert wird. Und das alles ist viel zu kurz: es gibt auch sowas wie Trompetenimprovisationen, Riffs von den Streichern (da setzten dann auch mal alle anderen aus), die durchaus eigenes Material zu spielen haben, Cellist Tyler Borden kriegt auch mal ein Solo … aber die Summe ist hier sehr viel mehr als die Addition der einzelnen Teile.
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Sehr gut – wirklich überraschend gut! – fand ich auch das neue ECM-Album vom Billy Hart Quartet, auf dem natürlich Mark Turner auch dabei ist … drei ECM-Alben, „Samares“ von Colin Vallon (noch von 2024), „Renaissance“ von Nicolas Masson, und eben „Just“ von Hart liefen die letzten Wochen öfter. Und ich glaub das Hart-Album finde ich davon das stärkste. Vallons Trio war live wieder auf einem völlig anderen Level als auf CD – da wollte ich auch noch was schreiben, ebenso zum Konzert des Masson-Quartetts, bei dem zwei Drittel des Vallon Trios ja auch dabei sind (nur der Drummer ist ein anderer, bei Masson gibt’s Lionel Friedli). Vallon gehe ich am Freitag deshalb auch gleich nochmal hören, auch wenn ich nicht zu hoffen wage, dass das Trio in zwei Sets so weite Bögen spannen kann wie neulich, als es gleich vier Sets an einem Nachmittag/Abend spielte und eine Art grosse Entwicklung von Set zu Set durchzumachen schien. Aber gut, die sind ja gerade auf Tour, daher tut sich vielleicht in zwei Wochen auch sonst noch was.
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #162: Neuentdeckungen aus dem Katalog von CTI Records, 8.4., 22:00; # 163: 13.5., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba