Startseite › Foren › Über Bands, Solokünstler und Genres › Von Abba bis ZZ Top › Electric Light Orchestra (ELO) – Jeff Lynne › Antwort auf: Electric Light Orchestra (ELO) – Jeff Lynne
Zuerst einmal finde ich es schön, dass hier mal wieder eine Diskussion in Gang kommt.
Was KI betrifft: so lange der Mensch die Oberhand behält, sehe ich das ja durchaus als interessantes neues Tool im Musikschaffen. Bloss befürchte ich, dass wir dadurch den Künstler abschaffen. Will ich nicht. Insofern unterstütze ich diese ganzen KI- Experimente von Fans nicht.
Jetzt zu voenigs und seinen Aussagen:
Als Erstes muss man festhalten, dass die Livekonzerte von Jeff Lynne’s ELO vom Standard her in der absoluten Spitzenliga angesiedelt sind. Auch wenn Jeff Lynne selbst mittlerweile schon seine Probleme hat, ist seine Band so stark, dass das nicht so ins Gewicht fällt. Der Sound und die visuelle Komponente gehören zum Besten, was die Liveszene zu bieten hat. Wembley 2017 war nicht nur ein Nostalgieprodukt, sondern zeigte einen absolut relevanten Liveact, ein Konzerterlebnis der Extraklasse.
Was die Aussagen zu den jüngsten Studioalben betrifft, so denke ich, dass es viel mit der Erwartungshaltung zu tun hat:
Wenn ich die Fortsetzung von OOTB erwarte, bin ich vielleicht enttäuscht, weil kein echtes Orchester zu hören ist. Oder ich frage mich, wo all diese verrückten Intros oder Zwischenteile und die überbordenden Soundeffekte hin sind. Der Fehler ist vielleicht, dass gerade durch die Livekonzerte, die sich deutlich auf die Alben der Spätsiebziger konzentrieren, diese Erwartungshaltung geschürt wurde.
Andere stören sich daran, dass alles quasi nur noch Jeff ist und seine Mitstreiter vermissen. Man muss hier aber auch sagen, dass auch früher meist nicht als Band im Studio aufgenommen wurde, vor allem die späten Alben nicht. Sicher hätte ich mir noch mehr mit Richard Tandy gewünscht oder vielleicht ein Mitwirken seiner Liveband, aber ob das dann komplett anders geklungen hätte? Außerdem: Viele hier lieben ja “ Time“. Und selbst da gibt es einige Solostücke oder Lynne- Tandy- Arbeiten, und keinen stört das. Jeff Lynne kann ELO auch allein.
Was den Klang betrifft: Ich bin nicht audiophil, und vielleicht stimmt ein Teil der Kritik. Aber wenn man die neuen Alben über das Smartphone hört, klingt das für mich nicht breiig, sondern edel und auch klar. (Nur das Titelstück von FOON fällt mir ein, wo ich denke, da stimmt was soundtechnisch nicht.) Dass man nicht alle Instrumente unterscheiden kann, ist meist gewollt. Jeff sagte mal, dass er ein grosser Freund der Idee ist, durch das Vermischen von Instrumentenklängen quasi einen neuen Klang zu schaffen. Bei “ Time“ fasziniert mich auch, dass ich eben nicht immer genau sagen kann, aha, diese soundscape wird jetzt von dem oder dem Instrument erzeugt. Ich habe vor ein paar Monaten mit Ronald Prent plaudern können, mittlerweile ein bekannter mixing engineer und Spezialist für Surroundabmischungen. Damals war er assistant engineer im Wisseloord und urteilt heute: Er habe so viel darüber gelernt, wie man Kompression und EQ kreativ als Soundtool verwendet. Lynne selbst hat in Interviews 2019 erwähnt, dass er bei dem aktuellen Album mit seltsamen Formen der Kompression experimentiert habe.
Ich glaube, der Hauptgrund, warum viele glauben, dass Jeff Lynne zuletzt nur Routinearbeiten abgeliefert hat, ist, dass sie nicht verstehen, worum es dem Musiker ging: Er empfindet kurze Songs als eine sehr grosse Herausforderung und eine der schwierigsten Disziplinen. Da kann er nichts verstecken, da muss die Melodie und das Arrangement sowie die Akkordstruktur schon aussergewöhnlich sein, damit es nicht banal wird. Bei diesen Alben war jede Menge Ambition im Spiel, nur verstehen die meisten das nicht, weil sie sich nicht mit Long Wave und dieser ganzen Ära beschäftigt haben.
Für mich ist „Alone In The Universe“ das Meisterwerk. Wer hier keine guten Melodien raushört … oder die ganzen Akkordmuster, die sicher nicht 0815 sind. FOON funktioniert als Album nicht ganz so gut, und hier frage ich mich, warum Jeff so stur an dem 10-Songs- Format festgehalten hat und nicht eine etwas längere Spielzeit angestrebt hat. Es war aber Prinzip und nicht mangelnde Inspiration, und es gibt viele tolle Einzelsongs ( mittlerweile mein Liebling One More Time, und das masslos unterschätzte All My Love) Ich denke, es kommt von seiner Faszination für die frühen Albenformate der Sechziger, aber persönlich finde ich 40 Minuten Spielzeit besser.
Noch ein Kritikpunkt, den einige äussern: AITU fehle die Power früherer ELO- Alben. Äh ja, aber deswegen ist es ja so gut. Es ist ein reflexives Album und sollte es von Anfang an werden. Man legt sich ins Bett, Kopfhörer an, nicht get up wie bei Bryan Adams. Warum soll ein Künstler nicht das Recht haben, mal ein trauriges, langsames Album zu machen? Das Lustige ist ja, dass das Leute kritisieren, die im gleichen Atemzug ihre Liebe zu Radiohead gestehen …
Ich lade euch ein, gerade AITU neu zu entdecken. Es ist ein typisches ELO-Werk und trotzdem steht es für sich.Wenn ich überlege, welche Alben von ELO in 2024 am meisten gehört habe, dann waren das „Face The Music“, “ Secret Messages“ (Doppelalbum) und an dritter Stelle „Alone In The Universe“. Wie gesagt, für mich ein absolutes Highlight in Jeffs Schaffen, inklusive Coverartwork. Seht es als loses Konzeptalbum, traurige Songs, die da weitermachen, wo Roy und Del aufgehört haben.
Nicht nur gute Ware für die Fanbase. Vermutlich ist es sogar einfacher für jemanden, der unvoreingenommen an das Album herangeht …
zuletzt geändert von pelo_ponnes--