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Marc Copland + Dado Moroni Trio – Zürich, Moods – 8.12.2024
Marc Copland (p), Dado Moroni (p), Heiri Känzig (b), Adam Nussbaum (d) + Anke Helfrich (p)
Gestern war hier Piano-Festival – zum 30. Jubiläum und gleichzeitig zur 50. Veröffentlichung der Swiss Radio Days Jazz Series auf TCB Records, die mit einem Stand vertreten waren; Vol. 48 ist von Louis Armstrong – der sei leider verhindert, meinte Yvan Ischer, der die Reihe koordiniert und den Abend gestern ansagte – und die zwei folgenden von den Co-Stars des gestrigen Abends, die gerade gemeinsam auf kleiner Konzerttour sind. Los ging es wie angekündigt mit Copland solo. Nachdem sein letzter Auftritt im Moods mit John Abercrombie stattgefunden habe, verwerfe er wie üblich die vorbereitete Setlist und spiele ein Abercrombie-Stück zm Einstieg. Eines, das man im Quartett oft gespielt, aber nicht aufgenommen habe, und das Abercrombie vor seinem Tod gar nicht betitelt habe. Jedenfalls ein bezaubernder Auftakt im 3/4, in dem die Schönheit und der Farbenreichtum von Coplands Spiel, sein immenser harmonischer Reichtum bei gleichzeitig grösster Klarheit, mich sehr beeindruckten. Es folgte – noch schöner, mit einer mysteriösen Stimmung, ein wenig vielleicht an die „Noir“-Klänge von Ran Blake erinnernd? – das „Love Theme from ‚Spartacus'“, danach ein Original vom neuen TCB-Album (2022 aufgenommen, das erste so junge in der Radio Days-Reihe, das von Moroni dokumentiert ein Trio von 2009 mit Reggie Johnson und dem 2015 verstorbenen Label-Chef Peter Schmidlin), „Day and Night“. Den letzten Teil des Sets bestritt Copland dann im Duo mit Heiri Känzig und im Trio mit Känzig und Adam Nussbaum. Das Duo spielte „Vineyard“ von Gary Peacock – auf diesen sei man im Gespräch gekommen und habe daher eins sein Stücke in die Setlist aufnehmen wollen. Das wurde zu einem halben Bass-Showcase, Känzig glänzte mit zupackendem Groove ebenso wie mit melodiösen Einfällen. So wirklich singen lässt er seinen Bass dabei nicht, er klingt immer holzig, sehr körperlich, sehr rhythmisch – für meine Ohren seit langem einer der besten Bassisten im Land (Bänz Oester und Christian Weber sind die anderen Favoriten, zumindest unter den Zeitgenossen; Leon Francioli habe ich leider nie live gehört, aber der wäre ein weiterer Kandidat für die ältere Generation). Als Set-Closer gab es ein Stück, das Copland schrieb, als die USA in den Irak einmarschierten – und er Frantz Fanon las. In der Einleitung von Sartre fand er einen passenden Titel: „blinding sun of torture is at its zenith“ heisst es da, und „Sun at the Zenith“ wurde zum Titel des Stückes, das im satten 5/4-Groove daher kam und Coplands Lyrismen mit dem tollen Groove vereinte – Adam Nussbaum spielte mit Besen, mit den Händen, mit unterschiedlichen Sticks, hatte dabei ganz offensichtlich viel Freude, wirkte für mich im Lauf des Abends immer mehr wie ein Tänzer, setzte Akzente und setzte zu Attacken an, wie sie im Stepptanz üblich sind.
Dann nach der Pause das Trio von Dado Moroni, dessen Rhythmusgruppe sich Copland bereits ausgeborgt hatte. Da ging es ohne Federlesens sofort in die Vollen. „The Turnaround“ von Ornette Coleman diente als Sprungbrett, ein Blues, in dem Moroni mit unglaublichem Gusto in die Tasten griff, von den anderen beiden sehr beweglich und eng begleitet – klassisches Interplay neben einem überbordenden Leader, der eine Art modernes Update von Garnerismen und Tatum bot: immer wieder irre schnelle Läufe, rhythmisch verschobene Phrasen, mit einer Lockerheit gespielt, als gäbe es nichts Leichteres. „Little Niles“ von Randy Weston war das zweite Stück, garniert von der Erinnerung, wie Moroni von seinem Vater als Kind mitgenommen wurde, um diesen riesigen Jazzpianisten zu hören. Auch hier: völlige Durchdringung der Musik – im schnellen 3/4, der phasenweise mit einem langsameren Zweier überlagert wurde. Dabei wurde Moroni dem Material, fand ich, durchaus gerecht, eignete es sich aber auch vollkommen an. Dann folgte ein Stück von Nussbaum, dass dieser auch selbst ansagte, bei diesem seinem allerersten Auftritt im Moods, wie er meinte: „Days of Old“ – er habe es, wie es im Jazz so oft passiere, geklaut. Als er zu einer Session musste, zu der er ein Stück mitbringen sollte, hatte er nichts, aber seine damals achtjährige Tochter habe ein Lieder erfunden, komplett mit Text, und die Melodie habe er dann am Klavier geklimpert. Steve Swallow habe dann bei der Session die Changes beigesteuert, und so hätten die Tochter und Swallow das Stück geschrieben, das dann unter den Namen von Vater und Tochter Nussbaum veröffentlicht wurde (Swallow habe keinen Credit wollen, so grosszügig wie er sei – die Session fand mit Ohad Talmor statt und ist auf auand als Playing in Traffic erschienen). Ein Stück von Monk wurde vom Trio sehr kollaborativ gespielt, karger Klöppelgroove, stapfender Bass, immer dichter rollendes Klavier – phantastisch, aber leider hab ich nicht mitgekriegt, wie das Stück heisst (das übliche Monk-Problem, kann fast alles mitsummen, aber die Titel kann ich nicht auseinanderhalten). Die Rhythmusgruppe funktionierte wirklich ganz hervorragend, wirkte sehr spontan (viel Interplay miteinander und mit Moroni) aber auch super tight. Mit „Quiet Yesterday“ folgte eine Moroni-Ballade, die fast als instrumentale Version einer Motown-Ballade hätte durchgehen können. Leichter binärer Beat von Nussbaum, smoother Bass, süffige Changes. Dann gab’s als Set-Closer ein Solo über Strayhorn („Lotus Blossom“), das in ein weiteres Original mündete, „Oscar’s Run“, dem Sohn gewidmet, der anscheinend Oscar Alfredo (Alfred war McCoy Tyners erster Vorname, wer mit Oscar gemeint sein wird, ist in Pianistenkreisen auch klar) heisst. Ein farbenprächtiges Solo-Intro zu einem letzten irren Lauf … und das war’s natürlich noch nicht ganz. Copland wurde von Ischer für die erste Zugabe auf die Bühne zurück gebeten, ein zweiter Klavierschemel hervorgeholt, und die zwei spielten „In Your Own Sweet Way“ – verspielt, überraschend, groovend, singend, in der zweiten Hälfte im längeren Dialog die Phrasen des anderen fertig spielend. Dann wieder grosser Applaus, und Moroni zerrte eine Frau aus dem Publikum auf die Bühne: die Pianistin Anke Helfrich, mit der er schon in der Pause gesprochen hatte (erkannt hatte ich sie nicht). Etwas widerwillig liess sie sich überreden, Känzig und Nussbaum kehrten zurück, man einigte sich auf „Autumn Leaves“ und mit einer Jam-Session, die nicht noch einen Höhepunkt setzte, aber durchaus Spass bereitete, endete der Abend.
So viel Piano hatte es selbst bei Alexis Marcelo nicht gegeben – Moroni spielte zwar etwas weniger dicht (er hatte ja auch eine tolle Rhythmusgruppe hinter sich, gleichzeitig taktete er das alles etwas besser. Auch wenn ich – wie bei Marcelo – die hohe Dichte des gesamten Sets vielleicht als den einen Kritikpunkt hörte. Eine Art musikalischer Shock and Awe-Strategie, die einen immer wieder vom Stuhl riss, aber manchmal – wenn auch in den Balladen die Doubletime-Läufe zu perlen anfingen – eben auch etwas atemlos wirkte. Unabhängig von aller Kritik ein hervorragender Live-Abend, wie er sich auf Tonträger überhaupt nicht reproduzieren lässt. Und super, nach über 20 Jahren Moroni wieder mal erlebt zu haben.
PS: Adam Nussbaum hat gemäss Archivsuche auf der Moods-Website dreimal im alten Moods gespielt, 1995 mit Miklin/Pauer/McClure/Nussbaum und 1996 zweimal an aufeinanderfolgenden Abenden mit dem Orgeltrio von John Abercrombie (mit Dan Wall) – und eben doch schon einmal im neuen Moods … dachte ich mir doch, denn ich war da: mit Steve Swallows „Damaged in Transit“ Trio (Chris Potter am Sax) vor fast auf den Tag genau 23 Jahren am 5. Dezember 2001. Da war ich damals schwer beeindruckt, das war live auch ein tolles Erlebnis.
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 (Teil 1) - 19.12.2024 – 20:00; #159: Martial Solal (1927–2024) – 21.1., 22:00; #160: 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba