Startseite › Foren › Kulturgut › Für Cineasten: die Filme-Diskussion › Der letzte Film, den ich gesehen habe (Vol. II) › Antwort auf: Der letzte Film, den ich gesehen habe (Vol. II)
Am Freitag sah ich
Caligula – The Ultimate Cut (Caligola, Tinto Brass / Bob Guccione / Giancarlo Lui, 1979 / 2023)
Vorweg sei gesagt, dass ich keine der alten Fassungen kenne, also kann ich keinen Vergleich damit liefern.
Das war mal ein seltsames Kinoerlebnis. Die Merkwürdigkeiten beginnen hier schon vor dem eigentlichen Film, denn dem ist eine Reihe von erläuternden Texttafeln vorangestellt, in denen ein wenig zur Geschichte des Films und des Ultimate Cut erzählt wird. Laut diesen Tafeln enthält die neue Fassung nicht eine Sekunde der alten Versionen, sondern es wurden bislang unveröffentlichtes Material und alternative Einstellungen bekannter Szenen verwendet. Wie gesagt, ich kann nicht beurteilen, ob das so stimmt. Komplett herausgeschnitten wurden wohl die Hardcoreporno-Szenen, was aber nicht heißt, dass nicht eine Menge Sex enthalten wäre. Was wiederum nicht bedeutet, dass irgendetwas an dem Film erotisch wäre. Spätestens bei einer Szene, in der Caligula ein Brautpaar brutal vergewaltigt, sollte sich jede Erregung gelegt haben, wenn denn doch eine bestand. Tatsächlich ist diese Darstellung ziemlich unangenehm, während viele andere Gewaltszenen aus heutiger Sicht wenig schockierend wirken. Eine weitere Ausnahme davon ist vielleicht eine Szene gegen Ende, in der ein Kind getötet wird, indem es mit dem Kopf auf eine Treppe geschlagen wird. Das passiert zwar eher im Bildhintergrund, ist aber schon starker Tobak.
Ästhetisch empfand ich den Film als ungewöhnlich. Die Darstellung der Figuren, besonders Caligulas, ist oftmals recht theaterhaft übertrieben und wenig glaubwürdig, die Bildkomposition wirkt häufig so, als habe sich die Kamera weniger für das Filmemachen als für das Erschaffen von Standbildern interessiert. Den Kulissen ist ihre Natur oft deutlich anzusehen. Alles zusammen macht das Seherlebnis zu einem so künstlichen, dass der Zuschauer schon dadurch immer eine große Distanz zum Geschehen auf der Leinwand hat. Diese Distanz vergrößert sich durch die Ausgestaltung des Charakters Caligulas, der zumindest in dieser Fassung kein durch die Macht korrumpierter Mann ist. Stattdessen wird er, wenn vielleicht nicht als böse geborenes Wesen, so doch zumindest als durch seine Kindheit sehr früh verdorbenes porträtiert. Da diese Kindheit aber nur angedeutet wird, bleibt es letztlich dem Zuschauer überlassen zu entscheiden, warum Caligula ist, wie er ist. So oder so erzählt der Film jedenfalls nicht davon, dass grenzenlose Macht einen schlechten Einfluss auf Menschen hat, sondern davon, dass schlechte Menschen zur Macht streben. Das nimmt einiges von der eventuell beabsichtigten politischen Sprengkraft, zumal es andere mächtige Personen im Film gibt, denen tatsächlich etwas am Gemeinwesen zu liegen scheint. Dass schlechte Menschen schlimme Dinge tun ist ja nun wirklich keine politisch interessante Aussage. Daher ist der Film (wie gesagt, ich beziehe mich hier immer nur auf den Ultimate Cut) keine geeignete Parabel auf den Faschismus. Caligula hat im Film keinerlei politischen Visionen, die über seinen Machterhalt hinausgehen. Auch die Provokationen des Senats sind nie politisch, er provoziert nur, um Reaktionen zu erhalten, die in der einen oder anderen Weise seinem Amüsement und seinem Ego dienen sollen.
Daher ist der Vergleich mit Coppolas Megalopolis (den wohl einige Kritiker angestellt haben) wenig sinnvoll, da er nur an Äußerlichkeiten aufgehängt ist. Coppola hat zwar vielleicht nur letztlich banales zu sagen, aber er hat eben etwas zu sagen.
Trotz der von mir hier angeführten, negativ klingenden Aspekte des Films würde ich das Werk auch in dieser Version Filminteressierten durchaus empfehlen. Ich jedenfalls habe mich keine Minute gelangweilt, was bei 178 Minuten ja keine Selbstverständlichkeit ist.
und gestern
Red Rooms – Zeugin des Bösen (Les chambres rouges, Pascal Plante, 2023)
Ein Film über einen Serienkiller hat man schon oft gesehen. Hier jedoch werden nicht der Mörder und seine Taten in den Mittelpunkt gestellt, sondern die Reaktionen der Gesellschaft darauf. Auf diese Weise wird der Zuschauer zumindest deutlich weniger zum Komplizen des Täters gemacht als in vielen anderen Filmen, die die Darstellung der Taten mehr oder weniger voyeuristisch ausbeuten. Besonders stark ist die Hauptrolle Kelly-Anne (Juliette Gariépy), eine bis zum Schluss recht undurchsichtige junge Frau, die ein besonderes, aber nicht erklärtes Interesse an dem Dämon von Rosemont zeigt. Sie besucht jeden Tag des Prozesses gegen den Mann, schläft dafür sogar auf der Straße in der Nähe des Gerichtes. Als versierte Hackerin verschafft sie sich Zugang zu Informationen zu dem Fall, die eigentlich nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind, und sie nimmt es hin, dass ihr Tun sie den Job kostet. Darüber hinaus nimmt sie sich einer jungen Streunerin an, die den Beschuldigten für unschuldig hält und sich regelrecht in diesen verliebt hat. Auch hierbei bleibt Kelly-Annes Motivation lange im Dunklen. Diese erratische Hauptfigur und die konsequente Verweigerung, den Täter und seine Taten in den Mittelpunkt zustellen machen den Film zu einem starken Genrebeitrag.
--
And all the pigeons adore me and peck at my feet Oh the fame, the fame, the fame