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Eva Ries, Popakademie Mannheim, 5. November 2024
Gestern war ich auf einer Lesung und Podiumsdiskussion der Musikmanagerin Eva Ries, die in den 1990er Jahren als Managerin des Wu-Tang Clans quer durch die Welt reiste, in der Mannheimer Popakademie. Im Frühjahr 2022 veröffentlichte sie ihre Autobiografie „Wu-Tang is Forever“ im Verlag Benevento (der Buchtitel bezieht sich auf das zweite Studioalbum der neunköpfigen HipHop-Band um den 2004 verstorbenen Ol‘ Dirty Bastard, RZA und Ghostface). Zu Beginn las Eva Ries die ersten Seiten ihrer Autobiografie vor, danach unterhielt sich die Mannheimerin, die ihre Kindheit in Ladenburg verbrachte, mit Moderator Michael Herberger, dem Produzenten von Xavier Naidoo und den Söhnen Mannheims sowie Urgroßneffe des Fußballtrainers Sepp Herberger (1897-1977), aufgeräumt, munter und witzig über ihre steile Karriere in der Musikbranche. Und sparte dabei keine Details über Konflikte aus.
Zuerst war Eva Ries in den 80ern als ausgebildete Fotografin im Hard’n’Heavy-Showgeschäft tätig. Dort traf sie Slayer zum Interview und besuchte Motörhead-Lemmy in dessen vollgestopfter Wohnung in Los Angeles in Fußnähe zum Sunset Strip. Lemmy war leidenschaftlicher Sammler und hortete alle möglichen Gegenstände über das Dritte Reich in seiner Bude, wofür der Motörhead-Frontmann in der Kritik stand. In Bezug auf seinen naiven Umgang mit Nazi-Devotionalien. Es gibt Promofotos, auf denen Lemmy wehrmachtsähnliche Uniformen und Mützen trägt. Was Eva Ries nach eigenen Worten „gruselig“ fand. So besaß das Rock’n’Roll-Urgestein eine von Adolf Hitler signierte Erstausgabe von „Mein Kampf“, die er Ries strahlend herzeigte, frei nach dem Motto „Schau mal, ein echtes Schriftstück von deinem alten Landsmann!“. Als wäre es ein persönlich unterschriebenes Gesamtwerk von Thomas Mann oder Heinrich Böll.
Anfang der 1990er wurde Eva Ries dann Tourmanagerin von Nirvana, als die drei Grunge-Rocker gerade mit dem Album „Nevermind“ durch die Decke gingen und mit Sonic Youth durch Europa tourten. In jenen Tagen erfüllten Nirvana das Rockstar-Klischee … und zertrümmerten in einem Musikclub die Garderobe. Für den angerichteten Schaden musste Ries gegenüber dem Veranstalter geradestehen und den Schaden finanziell begleichen. Wenn ich mich recht erinnere, bezahlte die Plattenfirma, die das nicht weiter tragisch fand, den angerichteten Schaden. „Als Tourmanagerin war ich meistens Sozialarbeiterin. Im Büro am Schreibtisch arbeiten, ist nichts für mich“, erinnerte sich Eva Ries in der Mannheimer Popakademie. Was sie bei all diesem Ärger motivierte, weiter als Musikmanagerin zu arbeiten? Die vielen schönen Erlebnisse hätten die negativen Konflikte aufgewogen. „Ich habe viel gelacht“, erklärte die am 21. April 1962 geborene Marketingfrau aus Mannheim … und ergänzte: „Ich mag schwierige Charaktere.“
Mit schwierigen Charakteren bekam es Eva Ries dann auch zu tun, als sie sich um 1993 dazu bereit erklärte, das Management des Wu-Tang Clans zu übernehmen, nachdem sie ein Demotape der HipHop-Combo erhalten hatte. Sie sei in Tränen ausgebrochen … konnte die Ries doch bei diesem schroffen Rap-Gewummer keinen Ansatz heraushören, wie man einen solchen Underground-Sound, der obendrein gewaltverherrlichende und sexistische Texte enthielt, kommerziell erfolgreich vermarkten könnte? Denn diesen Druck bekam Eva Ries, die für das Indie-Label Loud Records des cholerisch veranlagten Plattenmoguls Steve Rifkind und für RCA Records gearbeitet hat, von den nach Profit strebenden Major-Labels ständig gemacht: Das Produkt muss sich verkaufen, die musikalische Kunst dahinter spielte nicht wirklich eine Rolle. Damals ermittelte die Polizei in New York in Bezug auf den Mord an zwei Personen im Drogenmilieu, wobei der Fokus der Ermittler auf den Wu-Tang Clan fiel. Das FBI stufte die Rap-Kapelle als mafiöse Organisation mit kriminellen Verbindungen ein. Was ja kritisch betrachtet nicht aus der Luft gegriffen war, immerhin saßen mehrere Bandmitglieder zeitweise im Knast. Deshalb verfolgten die staatlichen Behörden heimlich den Wu-Tang Clan und verfassten eine 75-seitige Akte über die Band, was erst später ans Licht kam. Aus diesen Gründen begegneten die Bandmitglieder der jungen deutschen Frau Anfang der 1990er, als Eva Ries als ihre neue Managerin vorstellig wurde, anfangs mit Misstrauen … und unterstellten ihr, womöglich eine Geheimagentin des FBI zu sein. „Ich musste mir das Vertrauen beim Wu-Tang Clan erst verdienen“, blickte Vortragsrednerin Eva Ries zurück. Aus Skepsis habe sich jedoch im Laufe der Zeit eine enge Freundschaft entwickelt. Eine innige Beziehung, die dennoch hart und herzlich ausfiel: In einem Hotel-Foyer in Prag während einer Tournee habe das Bandmitglied Ghostface die körperlich deutlich kleinere Tourmanagerin am Kragen gepackt, hoch zu seinem Gesicht gehoben und angebrüllt, da sich Ghostface um seine rechtmäßige Gage gebracht fühlte. Die Situation mündete darin, dass Ries die Polizei verständigte. Hätten die Cops jedoch das Wu-Tang-Mitglied in Gewahrsam genommen, wäre die Tournee für die Kapelle jäh zu Ende gewesen. Als sich die Situation beruhigte, schickte Managerin Ries die Polizeibeamten darum wieder weg. Über solche Anekdoten verfügt die Business-Expertin zuhauf. Du kannst das Ghetto verlassen … aber das Ghetto verlässt dich nicht.
Ich hätte Eva Ries noch stundenlang zuhören können. Total spannend war das. Für Ries sind die Musiker von Wu-Tang Clan authentische „street narrator“ von der rauen Straße, die in sozialen Brennpunkten in New York City aufwachsen mussten und dieses prägende Leben in derbe Lyrics unterlegt mit Beats gegossen haben. Als emotionales Ventil. Im Sommer 2003 veröffentlichte RZA ein Duett zusammen mit Xavier Naidoo namens „Ich kenne nichts (das so schön ist wie du)“. Daran kann ich mich sehr gut erinnern, das Musikvideo dazu lief ständig auf Viva und MTV. Dieses Projekt lief ebenfalls über Eva Ries, die RZA und Naidoo die Prämisse einbläute: „Ich brauche einen poppigen Radio-Hit!“. Was mich überraschte: Eva Ries ist äußerst sympathisch, offen und auskunftsfreudig. Und unkompliziert. Im Vorfeld ging ich davon aus, eine verhärtete und abgebrühte Geschäftsfrau zu erleben, vergleichbar mit Ozzy Osbournes Gattin Sharon Osbourne. Was jedoch gar nicht zutraf. In ihrem Buch habe ich ein bisschen quergelesen. Es ist nicht nur inhaltlich interessant und fesselnd zu lesen, sondern gleichzeitig sprachlich sehr gut geschrieben. Darin berichtet Eva Ries nebenbei über Unternehmenspsychologie … wie perfide Geschäftsleute andere Menschen zu ihren Gunsten manipulieren. Gegenwärtig wird ein Dokumentarfilm über Popmanagerin Eva Ries gedreht, der Ende 2025 in der ARD ausgestrahlt werden soll.
Nach der anderthalbstündigen Unterhaltung zwischen Popmanagerin Eva Ries und Moderator Michael Herberger durfte das Publikum Fragen stellen und sich das Buch von Eva Ries signieren lassen. Am kommenden Freitag und Samstag findet übrigens wieder ein Hip Hop Symposium in der Mannheimer Popakademie statt, mit Gastrednern wie Samy Deluxe, Torch, Mine und Megaloh. Das Symposium ist für alle Besucher öffentlich bei freiem Eintritt.
zuletzt geändert von ford-prefect--
Wayne's World, Wayne's World, party time, excellent!