Antwort auf: 2022 & 2023 & 2024: jazzgigs, -konzerte, -festivals

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Atlantique Jazz Festival, Brest, 18.-20. Oktober 2024

FREE POWER – 18.10., Le Vauban
Carla Boregas (synth, elec) / Maurício Takara (d, perc, elec)
Paal Nilssen-Love New Brazilian Funk: Frode Gjerstad (as), Kiko Dinucci (g, voc), Mattis Kleppen (elb), PNL (d), Paulinho Bicolor (cuíca)

SOLO À BAD SEEDS – 19.10., Bad Seeds (Plattenladen)
Paal Nilssen-Love (d)

ABAJUR – 19.10., Le Quartz Grand Théâtre
Juçara Marçal (voc), Christophe Rocher (clars), Lello Bezerra (elg), Christelle Sery (elg), Calra Bastos (elb), Frédéric B. Briet (b), Maurício Takara (d, perc), Nicolas Pointard (d)

MARCEL POWELL SOLO – 20.10., Le Mac Orlan
Marcel Powell (g, voc)

Ein paar Zeilen zu den Konzerten, die ich im Rahmen des Atlantique Festival in Brest gesehen habe: „Brasil agora“ – Brasilien jetzt – lautete die Überschrift der diesjährigen Ausgabe des Festivals, das ich natürlich nicht gekannt hatte. Brasilianische Musiker*innen waren bei den Konzerten, die ich an den letzten drei Festivaltagen hörte, immer dabei (bei PNL solo zahlreich im Publikum), das eine Projekt, bei dem Musik Brasiliens mit (französischem) Jazz zusammenfand („Abajur“), wollte ich zunächst gar nicht besuchen, aber meine Wohnung lag quasi direkt neben dem Hintereingang des Quartz und teuer war’s auch nicht – und ich bin ganz froh, dass ich hin bin.

Doch von vorne: am Abend meiner Anreise (aus Paris, dazu dann gleich noch was in der Klassik-Ecke) gab es im Vauban, einem Hotel mit Restaurant, Bar und müffeligem* Konzertkeller, in dem allerlei Live-Musik geboten wird, ein Doppelkonzert, bei dem mich im Voraus die zweite Band neugieriger machte, als das Duo, das den Abend öffnete: Carla Boregas / Maurízio Takara. Doch dieses war am Ende vielleicht der Höheunkt unter den fünf Sets. Carla Boregas stand hinter einem Tisch voller verkabelter Gerätschaften und fing an, liegende Töne in den Raum zu senden, unter die Takara Beats in den Raum sandte. Das hatte in den ersten Minuten etwas fast Meditatives, doch das erwies sich als Teil einer hervorragenden Dramaturgie. Die Musik des Duos wurde immer dichter, was bald wie ein begleitetes Schlagzeugsolo wirkte, entwickelte sich zu einem Dialog, der immer dichter wurde, wobei Boregas von satten Bässen bis in die hohen Lagen alles abdeckte, spacig und voller Grooves, wozu Takara mit seinen immer wieder verblüffenden, unregelmässig unterteilten Beats beitrug. Klasse!

Paal Nilssen-Love / New Brazilian Funk, das zweite Set war dann vor allem eins: VERDAMMT LAUT! PNL spielte meisten unterkomplexe harte Beats, Kleppen legte trocken funky Bass-Licks drunter – und die zwei waren schon so laut, dass es den Rest gar nicht gebraucht hätte. Doch dann hätte das Publikum die völlig irre Gitarrenarbeit von Dinucci verpasst (er setzte manchmal seine Stimme ein, sang spät im Set auch mal einen Song), der kaum einen konventionellen Ton spielte sondern ständig Riffs raushaute, oft in unglaublichem Tempo und mit ständigen Verschiebungen und Klangverfremdungen. Dazu kam die Cuíca (bzw. deren drei oder vier) von Bicolor – da half es, hinzuschauen, um sie in der dichten Klangwand hören zu können – doch wenn man sie mal erfasst hatte, war es ziemlich verblüffend, was damit alles angestellt wurde. Gjerstad fügte sich ein mit kreischenden Klangkürzeln und da und dort Ansätzen zu Soli, die aber nie weit trugen, darum geht es in dieser Band nicht. Ich hatte bei diesem Konzert echt ein wenig Angst um meine Ohren – es war eine Stunde oder so Dauerattacke … und es war irgendwie super, aber irgendwie auch recht ermüdend. (Dazu gibt’s auch ein Album, aber das wirkt bestimmt vollkommen anders, schon weil diese übergriffige Intensität fehlt.)

*) Ein Dauerthema in Brest, in Läden, Restaurants oder auch im Kino, in dem ich den völlig irren Film „Emilia Pérez“ von Jacques Audiard sah – kommt wohl vom Meer.

Am späten Samstagnachmittag (18 Uhr ist 17 Uhr, die Sonne geht da fast eine Stunde später auf und unter als in unseren Breiten, das fällt echt auf) gab’s dann in einem kleinen Plattenladen Paal Nilssen-Love Solo. Zum Set fanden sich auch Kleppen und Gjerstad (hinten nebeneinander sitzend in der dunklen Denim-Jacke bzw. rechts daneben mit der runden Brille) und Dinucci (recht stehend mit der Wollmütze) ein. Auch da wurde es laut, es gab nun aber die ganze Palette von PNLs Spiel zu hören, dichte Polyrhythmen, schnell wechselnde Beats, allmähliches Auf- und Abschwellen, allerlei „little instruments“ usw. Das war ziemlich toll … und ich nahm dann noch die „Japan 2019“-Box mit, sieben CDs/Sets einer Tour mit Ken Vandermark (das Duo hörte ich vor ein paar Jahren auch mal live und fand es stark), bei der aber auch Akira Sakata, Masahiko Sato und Yuji Takahashi zu hören sind (gibt’s auf Bandcamp direkt bei PNL).

Nach einer kurzen Pause ging es dann eben noch ins Quartz, das grosse moderne Theater (Deutschland sei Dank gibt es in ganz Brest noch ca. dreizehn alte Steinmauern) direkt nebenan, in dem Abajur („Oberlicht“) vielleicht sowas wie den vorzeitigen Festival-Schlusspunkt setzen sollten. In diesem Projekt traf die Hälfte des Ensemble Nautilis (Rocher, Sery, Briet und Pointard) auf vier Musiker*innen aus Brasilien: Marçal, Bezerra, Bastos und Takara. Gespielt wurden oft schöne Melodien zu interessanten Grooves und Beats, entfernt vielleicht ans Trio Romano-Sclavis-Texier erinnernd (Rocher spielte Bb-, Eb- und Bassklarinette, glaub ich) – aber damit erschöpfte sich das keinesfalls. Stimme – oft mit wortlosem, meist wohl improvisiertem Gesang – und Klarinette dominierten zunächst, es dauerte ein wenig, bis die zwei Gitarren sich mehr Raum nahmen, wobei sie zunehmend mit schrofferen Kommentaren in den drohenden Wohlklang eingriffen. Die Bässe und die Drums waren von Anfang an ziemlich präsent, dass die Brasilianerin am E-Bass zwischen die französischen Kolleg*innen gestellt, der französische Kontrabassist zwischen die Brasilianer, fiel nicht auf, das wirkte alles wirklich organisch, die Begegnung von Musik aus dem Nordosten Brasiliens und Rock aus São Paulo (Rio war mit etwas Bossa am Sonntag dann auch noch vertreten, aber spielte bei dem Festival wie es scheint keine grosse Rolle) wirkte je länger das Set dauerte, je wilder und offener es wurde, desto organischer. Erst gegen Ende, als die „Aufbauarbeit“ quasi geleistet war, gab es dann auch ein paar Songs mit Texten. So richtig super fand ich das am Ende zwar nicht, aber locker gut genug, als dass sich der Besuch gelohnt hat.

Am Sonntag regnete es den ganzen Tag, ich guckte ein paar Filme und verpasste es nahezu, rechtzeitig aufzubrechen zum letzten Konzert, das schon um 17:30 in einem kleineren Theater auf der anderen Seite der anderen Seite der Penfeld. Dort sass Marcel Powell, der 1982 in Paris geboren wurde (er spricht auch seinen Namen französisch aus, also wie „Pavel“, einfach mit „o“), allein auf der Bühne und spielte höchst virtuos seine leider sehr laut verstärkte akustische Gitarre. Leider, weil dadurch alels recht flach zwischen Forte und Fortissimo endete, einiges an Nuancen verloren ging, die das Instrument sonst schon bieten würde. Viele der Songs stammten von seinem Vater, es gab auch mindestens je einen Song von Jobim und von Caymmi, dazu einige eigene Kompositionen. Die meisten spielte Powell rein instrumental, drei oder vier sang er – und ich war nicht unglücklich darüber, dass er das nicht öfter tat. Zu manchen Songs seines Vaters, zu denen Vinícius de Moraes die Texte schrieb, erzählte er gekonnt die Stories zur Entstehung. Ein familientauglicher, am Ende etwas eintöniger Festivalabschluss.

Ich hatte ja die Tage davor in Paris schon andere Pläne, aber das Festival hätte doch ab Dienstag noch einiges mehr geboten, u.a. weitere Double-Header im Vauban: am Dienstag spielten dort zunächst Damon Locks und Maurízio Takara im Duo, bevor Locks die jüngste der Bridge-Sessions aufführte, mit Macie Steward, Morgane Carnet, Fanny Lasfargues und Jozef Dumoulin. Auch ein weiteres Set von Carla Boregas (solo), ein Auftritt von Metà Metà (ein Trio, das aus Marçal, Dinucci und Saxophonist/Flötist Thiago França besteht – ein schon etwas älteres Album kann man auf Bandcamp streamen) und anderes mehr hätte es noch zu entdecken gegeben. Scheint insgesamt ein tolles Festival gewesen zu sein – und sehr schön fand ich, dass die Musiker*innen wirklich ständig zu sehen waren, wenn nicht auf der Bühne dann im Publikum (bei Powell sah ich dann niemanden mehr, Sonntag war wohl der Heimreisetag … oder ich hab in der steilen Theaterbestuhlung einfach nicht genügend mitgekriegt, kann auch sein).

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