Antwort auf: Ich höre gerade … Blues!

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friedrich

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zoji

friedrich

zoji Versteht sich von selbst, dass er akustischer und weniger rowdy als gewöhnlich auch beherrscht.

Die ist super! Eigentlich das genaue Gegenteil von Hard Again. Hier akustisch und filigran, dort elektrisch und mit Wumms. Aber beides völlig authentisch Muddy Waters. Folk Singer wurde meines Wissens allerdings durchaus mit wirtschaftlichen Kalkül produziert. Akustischer Folk stand Anfang der 60er hoch im Kurs.

Das berührt einen Punkt, der mir früher sehr wichtig war. In den ersten Jahren meiner Bluesliebhaberei habe ich mir immer selber mächtig stolz auf die Schulter geklopft, weil ich so unkommerzielle Musik hören würde. Distinktionsgewinn durch Blues, muss ich heute selber drüber lachen. Zumindest sorgte die Antwort „Blues“ auf die Frage „was hörst du für Musik?“ Mitte der 80er unter Gleichaltrigen für ratlose Gesichter.
Ist schon ein paar Jahrzehnte her, dass ich mich damit beschäftigt habe, aber so aus der Erinnerung (bitte ggf. um Korrektur): Waters selbst hat einen ähnlichen Move ja Ende der 60er noch einmal wiederholt, mit Psychedelic-Blues-Rock-Alben, ich meine, da gab es sogar eines zusammen mit seinem alten Rivalen Howlin‘ Wolf. Quellen finde ich jetzt nicht mehr, aber ich erinnere mich mehrmals gelesen zu haben, dass die Chess-Brüder keineswegs Bluesliebhaber waren, sondern da mehr reingestolpert sind, als sie entdeckten, damit Business machen zu können. Die Rückbesinnung auf Folk Blues hatte vor Waters schon Big Bill Broonzy hingelegt, als er, der eigentlich längst Teil der Chicago-Szene war, entdeckte, dass er damit die weißen College Kids zieht. In den 20ern und 30ern gab es einen kleinen Trend von Antwort-Songs, ein erfolgreicher Titel wurde im wesentlichen in annähernd identischem Arrangement gecovert, aber mit neuem Text versehen. Überhaupt war, meine ich, die Blues-Produktion überwiegend in den Händen großer Firmen, deren Bosse sich vermutlich nicht sehr um die Musik scherten. Mag sein, dass es auch damals schon kleinere Liebhaber-Label gab, aber so richtig ging das wohl erst in den 60ern los. Die bedeutendsten nichtkommerziellen Aufnahmen bis dahin waren vermutlich die für die Library Of Congress. Was ich sagen will: ich denke, mit der ersten kommerziell erfolgreichen Aufnahme war Blues ein paar Jahrzehnte Popmusik, wenn auch für ein vorwiegend afroamerikanisches Ziel-Publikum, und finanzielles Kalkül dahinter war der Standard, und nicht die Ausnahme.Ich finde das auch gar nicht verwerflich, erst recht nicht aus Künstlersicht. Wenn ich mir vorstelle, ich wäre Teil einer rassistisch diskriminierten Minderheit, deren Lebensperspektive bei Geburt 12-, 14-, 16-Stunden-Tage mit harter körperlicher Arbeit ist, ohne damit jemals aus prekären Verhältnissen herauskrabbeln zu können, aber mit einem Talent gesegnet, das es mir ermöglicht, diesen Bedingungen wenigstens teilweise zu entkommen, wenn ich mich ein wenig anpasse und Erwartungen bediene, da hätte ich alles gemacht. Jesus, ich habe viel bessere Startbedingungen gehabt, aber trotzdem hätte ich mich skrupellos, wenn ich damit ein reguläres Arbeitsleben hätte vermeiden und richtig eincashen können, nur noch fettes Zeug gegessen, mich den Wildecker Herzbuben an den Hals geworfen und sie zum Trio komplettiert.
Ich weiß gar nicht, inwiefern sich Bluesmusiker der Frühzweit selbst als Künstler begriffen haben. Hätte man denen aus den 20ern und 30ern gesagt, dass ihre Musik noch in hundert Jahren, zwar nicht mehr von vielen Menschen, dafür aber rund um die Welt und von vielen Weißen gehört wird, hätten die meisten wahrscheinlich entweder „Bullshit“ oder „mir egal, ich brauche jetzt Geld“ gesagt.
(…)

Über die Chess Bros. hatten wir hier ja schon mal gesprochen. Die kamen aus dem Schnapshandel über den Betrieb von Nachtclubs ins Musikgeschäft. Sie hatten das Kapital, die Geschäfttüchtigkeit und die Verbindungen, Willie Dixon, Muddy Waters, Howlin‘ Wolf, später sogar Chuck Berry hatten die Musik und das Publikum sorgte für die Nachfrage. Sam Philips (Sun Records) war Musikliebhaber und Geschäftsmann („If I could find a white man who had the Negro sound and the Negro feel, I could make a billion dollars.“), Syd Nathan (King Records, das u.a. James Brown veröffentlichte), verkaufte alles an alle, wenn es sich nur rechnete: („We saw a need. Why should we go into all those towns and only sell to the hillbilly accounts? Why can’t we sell a few more while we’re there? So we got in the race business. „ (Wikipedia). Und der Afro-Amerikaner Berry Gordy (Motown) hat auf Soul ein ganzes Großunternehmen aufgebaut. Ich denke, in den 50er/60er Jahren boomte der Markt für Popmusik in den USA dermaßen, dass das alles nur eine logische Entwicklung war. Ist ja auch nicht verkehrt.

Es gibt dieses Electric Mud-Album aus den späten 60ern von Muddy Waters, wo er produziert von Marshall Chess (also Chess Jr.) einen auf Jimi Hendrix, Rolling Stones, Cream usw. macht. Verkaufte sich damals gut und hat auch seine Reize – je nach Perspektive. Muddy Waters konnte mit der Musik zwar nicht viel anfangen, hat sich aber über die Einnahmen gefreut. Und es ist natürlich schon wieder paradox, dass mit The Folk Singer eine eigentlich als nicht-kommerziell gelabelte Musik aus kommerziellen Gründen produziert wurde. Aber hat sowohl künstlerisch als auch geschäftlich funktioniert.

Popmusik und Geschäft gehören zusammen. Man kann sich da nicht auf Staatsknete oder wohltätige Spender verlassen. Heute ist Blues wohl ein Nischenprogramm und wer mit Musik zuvorderst Geld verdienen will, orientiert sich besser in eine andere Richtung. Wobei umgekehrt in den verschiedensten musikalischen Nischen ja oft die interessanteste Musik erblüht.

Ob sich frühe Blues-Musiker als „Künstler“ verstanden haben? Bob Dylan hat sich etwas augenzwinkernd mal als „song and dance man“ bezeichnet.

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„Für mich ist Rock’n’Roll nach wie vor das beste Mittel, um Freundschaften zu schließen.“ (Greil Marcus)