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gypsy-tail-windKurz fassen konnte er sich wohl erst nach überstandener Krankheit und dadurch erzwungener Schaffenspause wieder (wieder, weil das in frühen Jahren auch ging, dazwischen ohne nachzuprüfen eher mal in semi klassischem Kontext: beim Treppenhaus oder den dunklen Intervallen). „The Melody at Night with You“ ist quasi ein Album mit Miniaturen, ab „Radiance“ änderte sich auch das Konzept bei Soloauftritten: statt sehr langer Bögen sind kürzere – manchmal auch für Pop-Verhältnisse richtig kurze – Stücke die Regel. Die Pop-Verhältnisse erwähne ich bloss, weil für mich als jazzgeeichter Mensch 5–6 Minuten lange Stücke kurz sind. Solche gibt es bei Jarrett immer wieder mal, hätte ich gedacht.
Der große Unterschied zwischen den größtenteils recht kurz und knapp, fast im Popsong-Format gehaltenen Vorlagen und den ausschweifenden Interpretationen von Keith Jarrett fiel mir hier halt sehr auf. Die beiden Gesangsstücke von Nancy Wilson und Anita O’Day sowieso, aber auch Konitz‘ Lover Man und sogar Coltranes Easy To Remember (und der neigt sonst ja auch nicht gerade zur musikalischen Einsilbigkeit) sind prägnant auf den Punkt gebracht. Da wird kein Ton verschwendet, keine Sekunde bleibt ungenutzt. Keith Jarrett macht was ganz anderes: Er nimmt sich alle Zeit der Welt um aus den zugrunde liegenden Kompositionen die unter der Oberfläche liegenden Schichten freizulegen, die feinsten Nuancen herauszukitzeln und freie Assossiationketten zuzulassen. Klingt wie eine banale Feststellung? Vielleicht, aber hier ist es mir besonders aufgefallen und bewusst geworden, zumal er sich ja ausdrücklich auf diese anderen Aufnahmen bezieht, selbst aber etwas ganz anderes mit den Originalkompositionen macht.
Das muss man wollen und sich trauen.
Eine meiner Lieblingsaufnahmen von Keith Jarrett ist ja seine Interpretation von It’s Easy To Remember. Kenne ich in zwei Aufnahmen, erstens auf At The Deer Head Inn – damit wurde ich überhaupt erst angefixt – und zweitens auf Tribute. Da dehnt er am Ende die Zeit, so dass man meint, sie bleibt für ein paar Augenblicke stehen, man hält inne und den Atem an und wenn er am Ende den letzten Ton tupft, fühlt man sich wie erlöst.
The Melody At Night, With You kenne ich nicht. Wäre mal interessant.
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„Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)